Seite:Die Gartenlaube (1873) 569.JPG

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


und Don Alberto de Bourbon, sämmtliche Generale und Officiere, und Alle trugen, gleich ihr, Bänder an ihren Kleidern oder Kopfbedeckungen.

Endlich gegen Abend wurde der Weitermarsch angetreten. Gegen vier Uhr Morgens erreichten wir, nach zweistündiger Rast um Mitternacht, den verabredeten Sammelplatz Odena. Hier trafen wir bereits den General Saballs mit fünfzehnhundert Mann Infanterie und zweihundert Mann Cavallerie. Der Zuzug weiterer Partidos steigerte bald die Gesammtmacht auf viertausend Mann, womit ein Handstreich gegen Igualada geführt werden sollte; er gelang auch in der Folge, doch nur mit einem Verluste von vier- bis sechshundert Mann.



Der Vampyr-Schrecken im neunzehnten Jahrhundert.
II.

Der Vampyr-Aberglaube hätte wahrscheinlich ebensowenig wie der Hexenglaube jemals eine größere Gewalt über die Gemüther gewonnen, wenn demselben nicht die Kirche ihre Autorität geliehen hätte. Als die Trennung der griechischen Kirche von der römischen eine Thatsache geworden war, hielten es die Patriarchen der ersteren vor Allem nöthig, eine straffe Kirchendisciplin einzuführen, wozu sich wiederum nichts zweckmäßiger zeigte, als die Ausstattung des Kirchenbannes mit übernatürlicher Gewalt. Sei es, daß man auf einem in Osteuropa vorhandenen Aberglauben fußte oder denselben neu schuf, es schlich sich in die kirchliche Verfluchungsformel der Abtrünnigen der Satz ein: „Dein Platz sei bei dem Teufel und dem Verräther Judas! Nach Deinem Tode sollst Du in Ewigkeit nicht zu Asche werden, sondern unverweslich liegen wie Stein und Eisen!“ Während die katholische Kirchenlehre in vielen Fällen die Unverweslichkeit eines Todten als Zeichen besonderer Heiligkeit auffaßte, bestrebte sich die griechische Kirche, denselben Zustand als Zeichen ihres Fluches darzustellen, und bald bildete sich die neue Lehre dahin aus, daß der Teufel sich des unverweslichen Leichnames als seines Eigenthums und einer Maske bemächtige, um damit die überlebenden Verwandten so lange zu plagen, bis sie dafür gesorgt hätten, daß der Verstorbene vom Kirchenbanne losgesprochen sei. Die griechische Kirche brauchte, wie man sieht, einen Ersatz für das von ihr verworfene, aber für die Kirche sehr einträgliche Fegefeuer. Man nannte solche im Kirchenbanne gestorbene unverwesliche Leichen Tympaniten, weil sie sich durch Aussaugen des Blutes Lebender nähren und dadurch aufschwellen wie eine Trommel oder Schafzecke.

Seit der Mitte des elften Jahrhunderts, in welchem die griechische Kirche selbstständig geworden war, wurden eine Menge Geschichten in Umlauf gesetzt, welche die bindende und lösende Macht des Priesterwortes in dieser Richtung an Beispielen beweisen sollten. Viele sind von Reisenden des fünfzehnten, sechszehnten[1] und siebzehnten Jahrhunderts gesammelt worden; Heineccius hat eine besondere Abhandlung „über die Erlösung der Tympaniten“ verfaßt, in welcher viele Beispiele erzählt werden, die in der Hauptsache alle auf dasselbe hinauslaufen, so daß man gezwungen wird zu glauben, Experimente, wie das nachfolgend erzählte, welches dem dritten Bande der Geschichte der griechischen Kirche von Heineccius entnommen ist, seien wirklich öffentlich in den Kirchen zur Beförderung des Glaubens angestellt worden. Mahomed der Zweite hatte diesem Berichte zufolge davon vernommen, daß die im Banne der griechischen Kirche gestorbenen Todten erst nach Aufhebung des Fluches zu verwesen begännen, und befahl dem Patriarchen des von ihm eroberten Constantinopel der Curiosität wegen, einen derartigen Leichnam aufsuchen zu lassen und das Experiment vor Zeugen zu wiederholen. Man erinnerte sich, daß der Patriarch Gennadius vor vielen Jahren eine Priesterwittwe in den Bann gethan, die darin ohne Absolution gestorben war. Als man das Grab öffnete, fand man einen gräulichen Anblick, nämlich einen Körper, der wie eine Trommel aufgeschwollen und so hart wie Stahl und Eisen war. Man legte denselben in einen Sarg, der zur Verhütung aller Täuschung mit des Sultans Siegel verschlossen wurde, und trug ihn in die christliche Kirche. Daselbst hielt der Patriarch das Amt, sprach die Frau vom Banne los und verlas das darüber ausgefertigte Schriftstück. Sobald er damit fertig war und Amen gesagt, vernahm man innerhalb des Sarges ein gewaltiges Prasseln, und als man ihn öffnete, fand man nichts in demselben, als ein Häufchen Asche mit einigen Knöchelchen.

Diese und ähnliche Geschichten, bei denen das Poltern im Sarge immer zum Handwerk gehört, möchten manchem Leser spanisch vorkommen, und ich will sie in unsere Sprache übersetzen. „Sie sehen hier, meine hochverehrten Herrschaften, ein hölzernes, außen schwarz angestrichenes Kästchen, ganz leer, ohne doppelten Boden oder irgend welche Vorrichtung – bitte, sich selbst zu überzeugen! – und hier eine große, massiv gearbeitete Puppe, – wollen Sie sich gefälligst durch Anfassen überzeugen? – die ich in das Kästchen lege, welches sie so vollkommen ausfüllt, daß ich, wie Sie sehen, nur mit Mühe den Deckel schließen kann. Ich decke ein Tuch darüber, damit nichts heraus und nichts hinein kann, und bitte Sie, Ihre Aufmerksamkeit genau auf das Kästchen zu richten. So wie ich spreche: ‚Hocus, pocus, fiat‘ und den Deckel mit der Spitze meines Zauberstabes berühre, hören Sie ein Klimpern im Kästchen, und finden nach dem Oeffnen die Puppe in’s Land der Dummen abgereist und an ihrer Stelle einen niedlichen Kranz, an welchen die Taschenuhren geknüpft sind, welche Sie die Güte hatten, mir vorhin zu leihen, und an denen Sie, obwohl ich sie vorher in jenem Mörser zerstieß, ganz genau sehen können, was die Glocke geschlagen hat.“ Damit man mich nicht eines frivolen Spottes über Gegenstände des griechischen Glaubens zeihe, erlaube man mir noch ein historisch verbürgtes Parallelstück aus der Geschichte der katholischen Kirche zu erzählen, bei welchem die Taschenspielerei direct nachgewiesen wurde.

Im Beginne des sechzehnten Jahrhunderts kam ein wunderthätiges Madonnenbild im Augustinerkloster zu Genf plötzlich in den Ruf, durch eine besondere Gnade kleine, ohne Taufe gestorbene und somit, gleich den Trommelflüchtigen der griechischen Kirche, dem Teufel verfallene Kinder auf seinem Altare so lange wiederzubeleben, daß die Taufe an ihnen vollzogen werden könne. Diese raffinirte Erfindung führte Hunderte von Kinderleichen nach jener Kirche, die man in Reih und Glied auf den Altar legte, jede mit einer Flaumfeder vor den Mund, die sich dann zum Zeichen des Lebens während der heiligen Handlung rhythmisch bewegte. Bisweilen sah man Schweißtropfen auf dem Leibe der Kleinen, fand ihre Glieder nach der Taufe warm, und bemerkte noch andere unbeschreibliche Erinnerungen an ihr zeitweiliges Aufleben auf dem Altare. Indessen am 11. Mai 1535 wurde die Klosterkirche auf Antrag des Stadtrathes geschlossen, weil man in Erfahrung gebracht, daß hinter dem Altare einige fromme Schwestern angestellt worden, mit Hülfe einiger Blasebälge die keinen Leichen für die Zeitdauer der Taufe athmen zu lassen und sie durch heiße Steine in Schweiß zu bringen. Anton Froment und Agrippe d’Aubigné sind meine Gewährsmänner.

Es wird nach dem Obengesagten für Niemanden mehr auffallend erscheinen, daß der Vampyrismus stets nur in Ländern griechischen Bekenntnisses und in den nächsten Nachbarländern epidemisch aufgetreten ist. Sein Vorkommen im übrigen Europa ist stets nur sporadischer Art gewesen. Nach den Berichten zahlreicher Reisenden wurde der Vampyrismus dort zeitweise zu einer förmlichen Pest und Landplage, denn die vom Teufel besessenen Vampyre beschränken ihr Kommen endlich nicht mehr auf die Nacht; sie liefen hellen Tages, zum Beispiel auf den Weinbergen der Insel Chios umher, übten auf der Landstraße allerlei Schabernack und tödteten Thiere und Menschen; aber sie erscheinen nicht immer blos Leben nehmend, sondern zuweilen – und das ist der Humor von der Sache – Leben gebend. Ein Reisender notirt es als einen besondern Vorzug des griechischen Archipels, daß man daselbst die Vaterschaft unehelicher Kinder auf einen Vampyr schieben könne. Vorwiegend blieb indessen ihre Erscheinung im höchsten Grade unheimlich und gefürchtet. Auf der Insel Chios bildete man sich, wie Leon Allatius

  1. Vorlage: „sechssehnten“
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 569. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_569.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)