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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Herz treibt, den Kopf mit einem Grabscheite vom Rumpfe trennt, ihn aber nicht daselbst liegen läßt, weil er sonst wieder anwachsen würde, sondern ihn zwischen die Beine der Leiche, den Mund zu unterst, legt, oder endlich, wenn Alles nicht hilft, ihn zu Asche verbrennt. Bei dieser Operation vernimmt man, wie die düstere Sage weiter meldet, ein schweres Stöhnen, mitunter auch ein wildes Gelächter aus dem Munde des Vampyrs, und das Lebenden abgesogene Blut fließt in reichlicher Menge aus der Wunde.

Für die Erkranken, die bereits den Besuch des Vampyrs empfangen hatten, giebt es endlich einige wenige Mittel, sich zu retten: sie müssen Erde vom Grabe des Vampyrs essen oder besser sich mit dem Blute desselben salben, oder am besten das letztere mit Branntwein oder mit Mehl zu Brod gebacken genießen. Nach der Ansicht der fanatischen Anhänger dieses Aberglaubens schützen aber auch diese Mittel nur vor dem jähen Tode, und der einmal Angesteckte bleibt dem Geheimbunde der lebendigen Todten dennoch verfallen.

Nachdem der älteste Sohn des Hauses, Anton von Poblocki, seinem Vater so schnell gefolgt war, und mehrere seiner Geschwister sowie die Mutter erkrankt waren, bildete sich die vielleicht schon früher gehabte Vermuthung, daß der Vater in den Vampyrstand getreten sei, zu einer fixen Idee aus, man versammelte an den Betten der Erkranken einen Familienrath, in welchem einstimmig beschlossen wurde, das drohende Unheil durch die wirksamsten der eben erörterten Mittel zu bekämpfen. Die Ausführung wurde dem zweitältesten Sohne Joseph, der durch die beiden Sterbefälle so schnell zum Oberhaupte der Familie geworden war, übertragen. Da sein verstorbener Bruder nunmehr der Theorie dieses Aberglaubens zufolge ebenfalls aus einem Opfer des Vampyrs ein Bundesgenosse geworden war, wurde damit begonnen, ihm in der beschriebenen Art das Haupt vor die Füße zu legen. An dem Leichname des Vaters sollte die nämliche Operation in der Nacht vor dem Begräbnisse des im Stillen enthaupteten Sohnes vorgenommen werden. Joseph von Poblocki traf am Tage vor der Beerdigung, die aus den 22. Februar festgesetzt war, in Begleitung zweier beherzter, mit Radhacke und Spaten bewaffneter Arbeitsleute aus Kantrzyno in Roslasin ein und setzte sich mit dem Todtengräber des Ortes in Verbindung, demselben ein gut Stück Geld anbietend, wenn er das Grab für seinen Bruder so nahe an das des Vaters machen wolle, daß man in der Nacht ohne sonderliche Mühe die Erdscheidewand durchbrechen könne, um den Sarg des vermeintlichen Vampyrs zu öffnen.

Der Todtengräber sagte seine Mitwirkung zu diesem auf Rettung einer ganzen Familie gerichteten Unternehmen zu, und man stärke sich im Dorfkruge durch Bier und Spirituosen zu dem schaurigen Vorhaben. Inzwischen kamen dem Todtengräber doch einige Bedenken gegen den heimlichen Charakter des nächtlichen Werkes; er entdeckte dem Ortspfarrer Block die ganze Angelegenheit, wahrscheinlich erst, um von ihm zu erfahren, ob etwas Unrechtes an der Sache sei. Der würdige Geistliche beschränkte sich nicht darauf, ihm jede Betheiligung an der beabsichtigten Friedhofs-Entweihung zu untersagen und ihm aufzutragen, das Grab für den Sohn in angemessener Entfernung von dem des Vaters aufzuwerfen, sondern er ließ auch die Fremden vor der Ausführung ihres straffälligen Vorhabens warnen und den Arbeitern das Betreten des Friedhofes untersagen. Außerdem beauftragte er seinen Organisten und den Dorfnachtwächter, den Friedhof während der Nacht zu beobachten, um die in Aussicht genommene Grabschändung zu abergläubischen Zwecken zu verhüten. Der Organist wachte bis ein Uhr Nachts, ohne etwas Auffälliges zu bemerken; der Nachtwächter hat dann auch später – aus welchen Gründen, ist nicht erörtert worden – nichts wahrgenommen. Dagegen erwachte der Besitzer des nahe beim Friedhof gelegenen Dorfkruges und vernahm ein dumpfes Gepolter, welches von dem Aufschlagen der hartgefrorenen Erdschollen auf den Sarg hervorgebracht wurde, den man eben im Begriff war, wieder mit Erde zu bedecken. Er rief den auf dem Friedhofe beschäftigten Leuten zu, was sie da machten, erhielt aber keine Antwort und jagte sie endlich durch seine Annäherung in die Flucht. Auf diese Weise wurde die Arbeit unterbrochen und der Sarg erschien am andern Morgen nur zur Hälfte von Erde bedeckt.

Der Pfarrer Block, dem am andern Morgen sogleich Anzeige von dem trotz seiner Vorsichtsmaßregeln ausgeführten Werke des Aberglaubens gemacht wurde, begab sich früh an Ort und Stelle, und ließ den Sarg vollends bloßlegen und öffnen. Der Anblick war der zu erwartende. Der Kopf der Leiche lag am Fußende des Sarges, mit dem Gesichte nach unten gekehrt. Das letztere zeigte einen ruhigen Ausdruck, etwas geröthete Wangen und aufgeworfene Lippen, wie sie der Verstorbene bei Lebzeiten nicht besessen haben soll. Auch zeigte sich kein auffälliger Verwesungsgeruch, der indessen bei einer seit vierzehn Tagen beerdigten Leiche in der kalten Jahreszeit auch kaum zu erwarten gewesen wäre. Blut war im Sarge nicht wahrzunehmen; die Trennungsfläche am Rumpfe erschien natürlich blutroth. Der Pfarrer ließ den Sarg schließen und das Grab zuwerfen, nahm die bei der Flucht zurückgelassene Radhacke, welche sogleich von dem Todtengräber als das Eigenthum eines der Arbeiter erkannt wurde, mit denen er am Tage vorher verkehrt, als Beweismittel an sich, und erhob, nachdem er bei der Beerdigungsfeierlichkeit des Anton von Poblocki Gelegenheit genommen, den Leidtragenden wie den herbeigeeilten Dorfbewohnern das Sinnlose des Vampyr-Aberglaubens darzustellen, gegen Joseph von Poblocki und seine beiden Hülfsarbeiter bei der Staatsanwaltschaft Anklage wegen Entweihung eines Grabes zu abergläubischen Zwecken. Der hiermit eingeleitete Vampyr-Proceß hat länger als zwei Jahre bis zu seiner endgültigen Entscheidung gespielt und verdient wegen der darin hervorgetretenen Meinungsverschiedenheiten der Juristen über eine anscheinend einfache Gesetzesübertretung eine eingehendere Betrachtung.

Das Kreisgericht zu Lauenburg hielt die Rechtswidrigkeit der Handlung für zweifellos und verurtheilte im October 1870 den Gutsbesitzer Joseph von Poblocki und den Arbeitsmann Johann Dzigcielski, welcher an beiden Leichen die von dem Aberglauben geforderte Operation der Köpfung vermittelst eines Spatens vorgenommen hatte, zu je vier Monaten Gefängniß; den andern Arbeiter, welcher nur in weniger wesentlichen Dingen Beistand geleistet, zu sechs Wochen Gefängniß. Die Verurtheilten appellirten gegen dieses Erkenntniß mit dem Hinweise darauf, daß sie sich im Zustande der Notwehr befunden und ohne jede bösliche Absicht Dasjenige begangen hätten, was man ihnen als Verbrechen auslege. Rettung des eigenen Lebens durch ein Mittel, welches keinem Mitlebenden Schaden verursache, welches aber auf öffentlichem Wege nicht zu erreichen gewesen, der Umstand, daß dieses Mittel das einzige sei, was helfen könne, gegen Todesgefahren, die kein Arzt abzuwenden im Stande wäre, seien die Motive der dadurch gewiß hinreichend entschuldigten Handlung. Das Appellationsgericht zu Cöslin schloß sich im Allgemeinen diesen Ausführungen an und sprach die Angeklagten demgemäß von aller Strafe frei, da der Nachweis einer schlechten Absicht, – des dolus, wie die Actensprache sich ausdrückt, – vollkommen mangele. Indessen wollte der Oberstaatsanwalt eine derartige Auffassung, welche die Straflosigkeit jeder durch den Aberglauben veranlagten Gesetzesübertretung, sofern daraus ein directer Schaden für Niemand erwächst, proclamiren würde, denn doch nicht gelten lassen und wies die Angelegenheit zu einer neuen Beweisaufnahme, insbesondere hinsichtlich der Dolus-Frage, vor das Kreisgericht zu Lauenburg zurück. Hier ergab sich nun allerdings bis zur Zweifellosigkeit, daß die Angeklagten, wie man zu sagen pflegt, im besten Glauben – im schlechtesten, wäre wohl richtiger – gehandelt, daß die gesammte Familie noch jetzt fest der Ueberzeugung sei, der verstorbene Vater sei ein Vampyr gewesen, daß man ohne Schwanken beschlossen habe, das einzige Schutzmittel, so schrecklich es auch sei, anzuwenden. Eine der Töchter, Antonie, die sich seitdem an einen Edelmann in Westpreußen verheiratet hat, erklärte freiwillig vor dem Kreisgericht in Neustadt, daß sie es gewesen, welche den Arbeitsmann Dzigcielski überredet habe, dem verstorbenen Bruder den Kopf abzuhacken. Alle Erkrankten der Familie hatten von dem hierbei gewonnenen Vampyrblute – oder von dem des Vaters, genau kann ich diesen Umstand nicht angeben, – genossen und Alle waren darnach gesund geworden, mit Ausnahme der Mutter des Hauptangeklagten, Josephine von Poblocki, die es nicht über sich gewinnen konnte, den schrecklichen Trank zu genießen, die aber auch dafür, wie ihr Sohn Joseph den Gerichten gegenüber behauptete, am 28. Februar 1870, also in demselben Monat, ihrem Gatten

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