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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


späten Blüthen, Blumen und Blattgrün in der herbstlichen Umgegend noch anzutreffen gewesen. Eben stellte sie das Geschirr auf den Tisch, als über die Treppe herunter Schritte laut wurden, die ihr von früher her nur zu wohlbekannt waren. Obwohl vorbereitet, erschrak sie, daß die Schalen klirrten, als sie dieselben auf den Tisch stellte; sie mußte sich selbst daran halten, als die Thür aufging und Wolf eintrat und ihr, erglühend wie sie, gegenüber stand. Ein Freudenfeuer loderte in seinen Augen auf, als sie ihm einige Schritte entgegentrat und ihm, den Blick gesenkt, aber freundlich die Hand entgegenstreckte.

„Verzeih’ mir, Wolf!“ sagte sie, Gluth auf den Wangen und ein schönes Lächeln um die bebenden Lippen, „ich habe Dir bitter Unrecht gethan. Verzeih’ mir’s und laß mich die Erste sein, die Dir daheim ‚Grüß’ Gott‘ sagt …“

Wolf hatte die Empfindung eines Menschen, der aus einem dunkeln Kerker plötzlich in einen hell beleuchteten Festsaal tritt; wie geblendet faßte er ihre Hand, aber zu reden wußte er nichts: er zog die sich nicht Wehrende an sich, und statt Frage und Antwort lag das Paar sich in den Armen, rasch zu einander gezogen, wie Eisenstein und Magnet, Hand in Hand, Brust an Brust und Mund an Mund. Sie wußten und fühlten nur, daß sie sich angehört hatten, ehe sie’s selber geahnt, wenn auch durch Land und Strom geschieden. Sie gelobten, auch fürder einander zu gehören, durch alle Geschicke, innig vereint, geläutert und gehärtet in den Schmelzgluthen der Trauer, der Verlassenheit und des Leides. Wohl traf dann Eines nach dem Andern die Reihe, von seinem Leben zu berichten.

Th’res erzählte, was sie von der eigenen Herkunft erfahren, was der Brunngraber-Sepp ihr mitgetheilt, und wie sie die Schwester wieder gefunden, nur um sie wieder zu verlieren.

Wolf berichtete von seiner Wanderfahrt – wie nach langen Mühen gerade die Beschäftigung, die er einst als Spiel getrieben und wegen der man ihn so arg geschmäht, der Angelpunkt geworden, an dem sein Glück sich gewendet, wie er nun das Erlernte wohl zu nützen gedenke, aber zu seinem alten Stande und Geschäfte zurückkehren wolle, um als ein freier, unabhängiger Mann nur ihr, dem Vater und sich selbst zu leben. –

Dann schilderte wieder Th’res die Entdeckung, die sie gemacht, als sie vor ihm geflohen, und Beide freuten sich der neuen, schönen Hoffnung, mit deren Erfüllung auch die letzte Sorge schwand und die Sonne über dem Lindhamerhof so wolkenlos stand, wie über keinem andern Fleckchen Erde, und wenn darauf auch der Palast eines Kaisers stünde.

Der eintretende Gehülfe sah und errieth lachend, was vorgegangen war; er mahnte, sich nicht selbst und zu früh zu verrathen: „Kommt Zeit für Alles,“ sagte er. „Jetzt darf noch Niemand wissen, daß Pany-Wolf ist wieder gekommen in Vaterhaus, was seiniges!“ Als er von Th’resens Entdeckung erfuhr, drang er darauf, eine Untersuchung vorzunehmen und mit der Arbeit zu beginnen.

Die Glücklichen trennten sich, um kurze Zeit nachher sich an der Stelle wiederzufinden, wo Th’res das befremdliche Geräusch gehört hatte. Alle Angehörigen des Hauses und viele Nachbarn waren wieder versammelt, um den Mann zu sehen, der aus Ungarn hergekommen, um in ihrer Nähe sich anzusiedeln und ihres Gleichen zu werden.

Eine flüchtige Untersuchung genügte, um die Richtigkeit der gemachten Entdeckung zu bestätigen; unter nicht sehr dichtem Geflechte von Erdschichten und Wurzeln stand die Quelle in einem natürlichen Schacht, von welchem sie, den Abfluß suchend, früher beim Lindenbrünnlein zu Tage getreten war. Neben dem alten Lindhamer, der es sich nicht nehmen ließ, der wichtigen Arbeit beizuwohnen, stand Th’res mit niedergeschlagenen Augen, denn ihr gegenüber stand Wolf und der Gehülfe; sie fürchtete sich zu verrathen, wenn sie zu ihm aufgeschaut hätte. Wenig Schaufelstiche genügten, bald war der Rasen weggeräumt, und schön und hell wie ein klares Auge blickte der Quellenspiegel empor. Ein allgemeiner Ruf der Freude begrüßte das wiedergefundene Kleinod; nur der Alte stimmte nicht ein – die Hände auf den Stock gestützt, starrte er auf die Erde nieder, als wolle er die verdunkelten Augen zwingen, ihm den verloren geglaubten Schatz zu zeigen.

„Ein Eljen in dieser Stunde!“ rief der Gehülfe laut und freudig. „Nun ist gewonnen Spiel; ist das Schacht natürlicher, wie nicht könnte gemacht werden schöner von erste Techniker. Von hier muß zum Brünnlein geleitet werden und wohin man sonst will, und geht nicht wieder verloren …“

Auf den Wink seines Herrn zog er aus einem Futteral einen schönen Krystallbecher hervor und reichte ihn Th’res.

„Hab’ ich gehört,“ sagte er, „aus diesem Brünnlein soll nur schöpfen, wer hat eine reine Hand, drum soll die Jungfer draus schöpfen zuerst, soll trinken und schreien: ‚Eljen, soll leben der neue Herr von Lindhamerhof, Eljen!‘“

Th’res beugte sich nieder und schöpfte.

„Das kann ich nit rufen, weil ich’s nit versteh’,“ sagte sie, „aber ich will das Glas mit dem herrlichen Wasser, in dem die Sonne so herrlich funkelt, in die Höhe heben und Gott danken und ihn bitten, daß er seine Hand über den Brunnen ausstreckt, über’s Haus und über uns Alle.“

Sie trank; – eine Thräne fiel in den Becher; nach ihr ergriff ihn Wolf, dann wurde er dem Alten gereicht, der aber vermochte ihn nicht zu halten; er begann zu zittern, daß das kostbare Gefäß, hätte Th’res es nicht gehalten, seiner Hand entglitten wäre.

„Bring’ mich heim, Th’res,“ sagte er schwankend; „ich glaube, ich mach’ es jetzt gar …“ Er wurde rasch in seine Stube gebracht, wo Th’res nicht von seiner Seite wich, während am Brunnen nach Anordnung des Gehülfen sogleich die nöthige Vorarbeit beschlossen und damit begonnen wurde, über der Quelle auf eingerammten Pfählen eine Brunnstube zu erbauen. Das starke Herz des alten Lindhamer hielt aber dem Sturm fester Stand, als man vermuthet hatte; schnell, wie seine Kraft gesunken, erholte sie sich wieder, und als es Abend wurde, ließ er nicht nach, bis ihn Th’res in’s Freie begleitete und zu seinem Lieblingsplätzchen unter den Linden führte. Sie setzte sich zu ihm auf die Bank und erzählte, wie die Arbeit am Brunnen unglaublich rasch vorschreite, und welch’ große Vortheile daraus für den Hof entständen, der dadurch seinen ganzen Werth wieder erhalte.

„Ja, ja,“ sagte der Alte mit traurigem Nicken, „ich freue mich auch – Gott ist mein Zeuge, aber es frißt mir doch das Herz ab, daß ich’s auch so hätte haben können, und daß der Hof nit in fremder Hand sein müßte …“

„Ihr müßt dem, was geschehen ist, nit so nachgrübeln,“ sagte Th’res, indem sie ihm die Hand drückte. „Das ist für nichts gut, macht nichts mehr anders.“

„Ich weiß wohl,“ entgegnete er, „einem Reuenden schenkt man nichts, und den Stein, den man nit heben kann, muß man liegen lassen. Ich lass’ ihn auch liegen. Er wird mich doch bald hinunterdrücken unter die Erd’.“

„Warum nit gar! Gebt doch keinen so traurigen Gedanken nach!“ sagte Th’res, „Ihr werdet Euch gar bald wieder zusammenklaub’n.“

„Ja, diesmal geht’s noch,“ sagte er, „aber ich hab’ es heut’ gar wohl gespürt, die Feder da drinn in der Brust, die mich aufrecht gehalten hat, die hat einen Knacks gekriegt, dafür giebt’s kein’ Medicin …“

„Wer weiß? Wenn Euch nun eine recht große Freud’ zu Theil werden thät?“ …

„Eine Freud’ und ich? Wir zwei kommen nicht mehr zusammen auf der Welt.“ Er schwieg, denn vom Hause her ertönten die Klänge einer mit Kunstfertigkeit und Empfindung gespielten Cither. „Was ist denn das?“ fragte er horchend. „Wer spielt denn da?“

„Der neue Herr,“ sagte Th’res, bebend vor Erregung; „er sitzt auf der Gräd und spielt Cither …“

„Ja, kennen’s denn in Ungarn drunten die Cither auch?“ fragte er verwundert. „Das hab’ ich nit gewußt, und schön spielt er auch,“ fuhr er fort, „das muß ich sag’n, so schön, daß es mich fast mahnt …“

Er brach ab und begann immer eifriger zu lauschen; mit angehaltenem Athem beugte er sich vor, während von oben her die zarten Töne in immer weicheren und verlockenderen Weisen herüber schwirrten.

Jetzt schlug der Spieler eine ländliche Volksweise an.

„Ja, wie ist denn das möglich?“ flüsterte der Alte. „Woher kann denn der fremde Mensch das G’sangl kennen, das ja

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