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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


der Arbeitstheilung, auf die Thätigkeit von Zunge und Magen übertragen, geistreich die Idee, daß, während der eine Gast sich am Flügel des Capaunen labte, der andere seinen Appetit am Schenkel des Vogels befriedigen konnte. Als Vater des Restaurants, dieser Unentbehrlichkeit des modernen Lebens, zählt Boulanger somit zweifelsohne zu den vornehmsten Wohlthätern der Menschheit.

Die erste Revolution, die sonst so ziemlich alles Bestehende über den Haufen warf, wurde dem Restaurant zur mächtigsten Förderin. Die hochadeligen Herren hatten entweder auf dem Schaffote geendet oder lebten als Flüchtlinge im Exile. Was sollten jetzt ihre Köche und Haushofmeister anfangen, wenn diese nicht die Zeit begriffen hätten? Durch den Verlust ihrer Stellen plötzlich Demokraten und Menschenfreunde geworden, hatten sie nichts Eiligeres zu thun, als ihre Talente dem allgemeinen Besten zu widmen und Speisehäuser und Wirthstische für den „dritten Stand“ zu etabliren. Der Aristokrat saß ihnen dabei jedoch immer im Nacken. Nachdem im Jahre 1814 die Bourbonen wieder ihren Einzug in die Tuilerien gehalten hatten, schritt der bekannte Restaurateur Beauvilliers, eine Berühmtheit jener Tage, durch seine Speisesäle im Hofkleide und mit dem Degen an der Seite. Gegenwärtig besitzt keine Stadt der Erde so viele Restaurants wie Paris; nach ihm kommt San Francisco in Californien; erst in dritter Reihe stehen die großen Städte Chinas.

Aus dem bisher Mitgetheilten erhellt zur Genüge, daß Dumas kein eigentliches Kochbuch schreiben wollte; die Idee, welche ihm vorschwebte, war anderer Art und schwieriger auszuführen. Er gedachte der Menschheit ein Werk zu hinterlassen, das nicht nur dem praktischen Kochkünstler bei seinen verschiedenen technischen Proceduren zum Leitfaden dienen sollte, sondern das auch der gebildete Mann mit Interesse und Vergnügen lesen könnte, wie man sich in müßigen Stunden gern an einem leichten Geplauder auch über uns fernliegende Gegenstände ergötzt. Vor allen Dingen aber trug er eine Reform der Kochkunst im Herzen; sein Zweck ging dahin, eine gewissermaßen kosmopolitische Küche zu schaffen, die sich das Beste von den Nationalspeisen aller Völker und Länder aneignete.

So ist zum Beispiel in Spanien der Essig ohne jedweden entschiedenen Geschmack, das Oel dagegen meist scharf und ranzig, folglich Salat zu genießen für nichtspanische Gaumen fast eine Unmöglichkeit, obschon die trockene Hitze uns nach einem Mundvoll kühler Speise lechzen läßt. Da war es nun Dumas, der die glorreiche Entdeckung machte, das Oel durch den Dotter roher Eier und den Essig durch Citronensaft zu ersetzen. Diese Mischung, über zarten Lattich oder Rabunzel gegossen, gab zusammen mit Salz und Pfeffer einen vorzüglichen Salat, welchen sein unsterblicher Schöpfer schließlich jedem auf dem in Frankreich gebräuchlichen Wege bereiteten vorzog. Trotz alledem aber, trotz seiner ruhmvollen Erfindung ist Dumas der Ansicht, zu der sich auch Schreiber dieser Zeilen bekennt, daß grüner Salat im Grunde nur eine Verirrung des menschlichen Geschmackes bedeutet; ist er doch lediglich ein Product unserer Ueberfeinerung. Schon der Gedanke, einen wohlgebratenen und mit Rahm angesäuerten Rehrücken, einen saftigen Fasan oder ein gutgeröstetes Birkhuhn mit Salat zu essen, ist eine culinarische Ketzerei und Versündigung. Eine Schüssel verdirbt die andere. Wer echtes Haut-goût-Wildpret anders genießt, als in dem dem Fleische entquellenden Safte, – der hat auch noch nicht einmal das ABC der edlen Kunst ergründet, welche uns lehrt, wie wir uns mit wahrer Weisheit der Freude einer gut besetzten Tafel hingeben.

Noch schlimmer, geradezu eine culinarische Gottlosigkeit ist es, den Salat, dieses Mixtum Compositum, dessen Herstellung eines Arztes, mindestens eines Chemikers bedürfte, von Damenhänden bereiten zu lassen, wie dies leider an unseren feinsten Tafeln mehr und mehr zu geschehen pflegt. Einzig und allein Hausherr oder Hausfrau, vorausgesetzt, daß sie würdig sind, des heiligen Amtes zu warten, sollten sich, nach Dumas’ Meinung, mit der Zurüstung der Salatschüssel befassen, und zwar muß dieselbe eine Stunde vor Tische fertig gemacht, in dieser Zwischenzeit jedoch drei bis vier Mal von Grund aus umgewandt und umgerührt werden. Nur dergestalt erhält man einen Salat, der sich wenigstens nicht unter die höheren Grasgattungen zählen läßt.

Wohl nicht allen unsern Lesern dürfte bekannt sein, daß das Beefsteak – „Bifteck“ hat man es in Paris corrumpirt – das erste Bindemittel wurde zwischen den sich in den ersten Jahrzehnten des laufenden Jahrhunderts als Todfeinde gegenüberstehenden Engländern und Franzosen. Während die Heere der Verbündeten Frankreich besetzt hielten, nach dem Tage von Waterloo, erblickte das Bifteck das Licht der Pariser Sonne. Bis dahin hatte englische und französische Küche eine ganz ebenso weite Kluft geschieden, wie die Politik die beiden Völker, und nicht klein war anfangs der Schrecken, welcher sich der gutfranzösischen Gemüther bemächtigte, als sie gewahrten, wie das fremdländische Gewächs immer weiter und üppiger wucherte auf dem Boden des schönen Frankreich und endlich seinen Platz eroberte in den gefeiertsten Küchen der französischen Hauptstadt.

Noch immer unterscheidet sich das neue Bifteck indeß sehr wesentlich von seinem britischen Urbilde. Franzosen und auch wir Deutsche bereiten Beefsteak aus dem unteren Theile der Ochsenlende; der Brite nimmt dazu das Kreuzstück – Rump nennt er es –, das, so belehrt uns Dumas, jenseits des Canals ein viel zarteres Fleisch liefert als auf dem Continente, weil John Bull seine Rinder besser füttert und frühzeitiger schlachtet als die Franzosen und wir es mit den unsrigen thun.

„Der englische Koch,“ besagt unsere Quelle wörtlich, „schneidet das zum Beefsteak erlesene Fleisch in halbzollstarke Streifen, schlägt diese ein wenig breit und schmort sie in einer eigens zu solchem Behufe construirten eisernen Pfanne an Steinkohlen-, niemals an hellem Holzfeuer. Um nach und nach eine richtige Vorstellung vom echten britischen Rumpsteak zu gewinnen, versäume ich nie, es zu essen, so oft ich nach England komme, und jedes Mal schwelge ich darin mit neuem Vergnügen. Es ist unendlich viel schmackhafter als unser Filet, und wer es in seiner ganzen Vortrefflichkeit kennen lernen will, der muß eine der alten heimeligen Tavernen der Londoner City aufsuchen, wo man es mit Madeirasauce, mit Anschovisbutter oder mit saurer Brunnenkresse anzurichten pflegt. Hauste irgend eine Nation auf dem Erdenrunde, die in das Geheimniß eingeweiht wäre, wie man Pfeffergurken einzumachen hat, dorthin würde ich wandern, wollte ich einmal ein Beefsteak zu mir nehmen, wie es aufgetischt sein soll.“

Das Cotelette erreichte den höchsten Grad seiner Vollkommenheit unter Ludwig dem Achtzehnten, der auf die Zubereitung desselben die größte Kunst verwandte. Seine Cotelettes wurden nicht einfach auf dem Roste gebraten, sondern zwischen zwei anderen Cotelettes geschmort. Eigenhändig legte der Monarch das also kostbar bereitete Gericht auf die Schüssel, um auch nicht ein Atom von Duft und Brühe zu verlieren. Seine Krammetsvögel ließ er sich innerhalb mit Trüffeln gewürzter Rebhühner rösten, und ehe die Speisen auf die königliche Tafel kamen, hatte eine probirende Jury ihr Urtheil darüber zu fällen. Der Bibliothekar des französischen Instituts Petit-Radel fungirte als officieller Pfirsichenkoster und leistete als solcher in der That Unübertreffliches.

Daß Dumas in seinem Dictionnaire seinen persönlichen Neigungen und Abneigungen, seinen Vorurtheilen und Eigenheiten Ausdruck leiht, kann uns nicht Wunder nehmen. So erklärt er, was rheinische Leser sicher nicht begreifen werden, frischen Salm, wie man ihn am Rheine auf den Tisch bringe, für eine abscheuliche Speise. Kopf und Mittelstück des Fisches, meint er – und damit mögen unsere Auszüge aus dem interessanten Buche beschlossen sein –, müßten mit einer Auswahl feiner Gewürze garnirt und das Ganze dann in altem Hochheimer oder Rauenthaler gesotten werden. Die wackeren Rheinländer aber befolgten dieses Recept nimmermehr. Anstatt den Wein in den Fischkessel zu gießen, ließen sie ihn lieber durch ihre Gurgeln laufen – woran sie unserer und vieler Anderer Ansicht nach übrigens vollkommen recht thun.

H. Sch.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_429.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)