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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


sich nur am Sonntage zu gestatten, wo er, fromm im besten Sinne, wie er ist, fast regelmäßig die nahegelegene Dorfkirche zu Gräditz besucht.

Gegen zwölf Uhr Mittags zieht sich Molke in sein Schlafgemach – auf unserm Bilde durch das vierte Fenster links bezeichnet – zurück, um bis zur Zeit der Mittagstafel Siesta zu halten. Punkt zwei Uhr versammeln sich die Familienglieder im Speisesaale. Den Ehrenplatz nimmt an der Tafel Frau von Bort ein, die Schwester und Schwiegermutter des Grafen in einer Person; denn sie gab einst die Stieftochter dem genialen Bruder zur Frau. Der älteren Generation gehören außer dem Marschall selbst dessen Bruder, der Kammerherr von Moltke, und seine Schwägerin, die verwittwete Frau Geheimrath von Moltke, an. Um diese ehrwürdigen Vertreter des alten Geschlechtes Moltke gruppiren sich die jüngeren Mitglieder der Familie: die vier Töchter der Frau Geheimräthin und zwei junge Officiere, Moltke’s Neffen, nämlich der Hauptmann von Bort und der Lieutenant von Moltke, Letzterer des Marschalls Universalerbe und künftiger Gutsherr von Creisau.

Nach aufgehobener Mittagstafel werden vom Grafen noch einige etwa eingegangene Correspondenzen erledigt. Die übrigen Familienglieder haben sich inzwischen, wenn das Wetter günstig ist, in den weit ausgedehnten und vom Grafen selbst angelegten Park begeben, wohin ihnen später Moltke zu folgen pflegt. Dort, auf einer freien, saftiggrünen Rasenfläche steht, einsam und mit kolossalen Zweigen weit ausgreifend in die Luft, eine herrliche, echt deutsche Eiche. Mit schattendem Blätterdache überwölbt sie eine an ihren kräftigen Stamm sich lehnende einfache Ruhebank. Wie oft kühlt hier, an seinem Lieblingsplätzchen, der Marschall seine von energischer Gedankenarbeit müde Stirn in den milden Lüften des Parkes! Gar mancher strategische Plan, der später Europa in Erstaunen setzte, mag hier in der erfrischenden Stille in seinem ersten Keime entstanden sein. Von hier aus schweift der Blick des Schlachtenhelden durch eine weitgedehnte Lichtung, die er zum Theil mit eigener Hand durch dichtes Gebüsch gebrochen hat, über die dunkeln Höhen des waldreichen Eulengebirges hin, oder er folgt sinnend den seltsamen Wolkengebilden, welche die eben dicht am Parke vorübersausende Locomotive zurückgelassen hat.

Ist die Promenade vollendet, so wird gewöhnlich noch eine Spazierfahrt veranstaltet, bei welcher Gelegenheit die Herrschaften mitunter ihrem Gutsnachbar, dem Geheimen Rath von Gellhorn auf Jacobsdorf, einen Besuch abstatten. Rath Gellhorn hat auch die Oberaufsicht über die ökonomische Verwaltung von Creisau, das mit zwei benachbarten Gütern eine gut arrondirte Herrschaft von zweitausendzweihundert Morgen bildet, übernommen.

Gegen acht Uhr Abends wird im Schlosse der Thee servirt, und das ist die Stunde, welche die Familienglieder noch einmal vor der Nacht – bald nach zehn Uhr sucht Excellenz sein Lager auf – in traulichem Gespräch zu versammeln pflegt. Aber nicht selten, wenn der Abend mild ist, sehen wir den ernsten Grafen, die Gesellschaft meidend, noch einen stillen einsamen Gang machen. Es ist ein Gang der Trauer und der Wehmuth, der Erinnerung und der Andacht; denn er gilt dem Mausoleum, in welchem der Schlachtendenker seine am Weihnachtsabende 1868 verschiedene, innig geliebte Gattin zur Ruhe gebettet hat.

Auf dem mit Ziersträuchern reich bepflanzten Gipfel eines ziemlich steil ansteigenden Hügels erhebt sich, nahe am Park, das Mausoleum, zu welchem Graf Moltke selbst den Plan gezeichnet hat. Die vielen Zeichen sorgsamer Pflege, die dieser Hügel aufzuweisen hat, deuten an, daß es der Geist der trauernden Liebe ist, der über dieser Stätte des Friedens schwebt. Der Bau selbst, aus Ziegeln mit Sandsteinverbrämungen aufgeführt, erscheint einfach und prunklos. Sein schlichtes Portal schauet weit in’s Land hinaus. Erhebend und fast überwältigend jedoch wirkt das Innere dieses Todtentempels. Ernste Dämmerung herrscht in dem ernsten Raume; keine vorlaute Zierde drängt sich in dem einfachen Ganzen dem Auge des Beschauers auf – in lichten Umrissen treten nur die edlen plastischen Formen der Gestalt des Welterlösers hervor. Hochaufgerichtet über der Gruft, die Arme halb erhoben, wie um Diejenige zu segnen, welche da unten schläft, steht der Gottgesandte, und über seinem Haupte leuchten die Worte der Schrift:

„Die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung.“

In diesem kleinen Heiligthume pflegt der Graf lange und oft zu verweilen, und der Volksmund sagt ihm pietätvoll nach, daß er stets, der todten Gattin die Ehre gebend vor den Lebenden, wenn er von Berlin nach Creisau kommt, vor dem Gehöfte vom Wagen steigt und sofort zur Gruft geht, deren Schlüssel er immer bei sich trägt. Gewiß ein rührendes Beispiel treuer Gattenliebe! Der Graf muß in der That in einer höchst glücklichen Ehe gelebt haben.

Als seine Gemahlin noch auf dieser Erde wandelte, sah man ihn fast nie allein, sondern immer von dieser begleitet. Wer Gelegenheit hatte, das Gattenpaar, wenn auch nur flüchtig, auf den täglichen Ausflügen zu beobachten, gewann die Ueberzeugung, hier habe er eine Ehe vor sich, so tiefinnig und in reinster Harmonie der Herzen, wie man eine solche leider so selten findet. Herzerquickend war es für Jeden, welcher irgend Sinn dafür hatte, zu sehen, wie die jugendliche Gattin im schlichten Kleide, den Strohhut oft in der Hand tragend, in heiterem Gespräch am Arme ihres Gemahls daherwandelte, oder bei einer Ausfahrt zu beobachten, wie die selbst kutschirende Frau in heiterem Scherz im Peileflüßchen ein Stückchen auf und ab fuhr, wobei von dem Gestampf der Pferde das Wasser hoch aufspritzte und die Insassen des Wagens näßte; dann sah man, daß der sonst so schweigsame Graf auch heiter scherzen und lachen konnte.

Mit Thränen in den Augen erzählte Graf Moltke nach dem erfolgten Tode seiner Gemahlin seinen Untergebenen, wie die Kranke trotz der wüthendsten Schmerzen – sie starb am Gelenkrheumatismus – als ihr Gesicht schon so geschwollen war, daß sie ihn nicht mehr sehen konnte, mit den Händen nach ihm getastet, ihm die Wangen gestreichelt und ihn in dieser Weise über den bevorstehenden Verlust habe zu trösten gesucht. Man begreift daher die Verehrung, welche der Graf der verstorbenen Gattin widmet. Sie leuchtet in Creisau aus Allem hervor.

Mit der früh dahingegangenen Gemahlin scheint der Graf ein gutes Stück seines Familienglückes begraben zu haben. Die Vaterfreuden sind ihm versagt geblieben. Aber für den großen Verlust ward ihm eine große Entschädigung: Deutschlands Kinder sind seine Kinder geworden. Für sie hat er gedacht, gekämpft, gelitten – und dafür spricht jeder Deutsche vom „Vater Moltke“ mit Dank und Ehrfurcht.




Blätter und Blüthen.

Die Farrnbaum-Schluchten Australiens. Viele, welche Jahre lang in Australien gelebt und wohl auch nicht unbedeutende Touren in den Colonien dieses Erdtheiles unternommen haben, berichten, daß die Scenerie des australischen Urwaldes durchaus ein monotones Gepräge trage. Will man gerecht sein, so kann man dieses Urtheil nur theilweis bestätigen und voraussehen, daß jene Berichterstatter entweder nie solche Plätze besucht oder achtlos daran vorüber geschritten sind, wo die australische Natur in einer nie geahnten tropisch erscheinenden Pracht sich entfaltet. Wie die todte, einförmige Wüste ihre fruchtbringenden, erquickenden Oasen, so hat die australische Waldesnatur ihre geheimen Schlupfwinkel, in welchen sie das Schönste verborgen hält, was zu erzeugen sie fähig ist – und dies sind ihre Farrnbaum-Schluchten. Der Botaniker wie der Entomolog folgt nicht der breiten wegsamen Ebene, die der Wanderer der Bequemlichkeit halber nur so ungern verläßt; ihm eröffnen die dunklen, feuchten Schluchten, die verworrenen, fast unzugänglichen „nooks“ (Winkel) der hohen Gebirgspartien Schätze, die ihm reichlich alle gehabten Mühen lohnen, und hier erst öffnet sich dem Naturfreunde ein Tempel, in welchem er gern als dienender Priester weilen möchte.

Besuchen wir eine solche Schöpfung! Unsere Pferde sind nach einem guten Tagesritt müde, und da die Sonne sich dem Horizonte der weiten Ebene hinter uns schon sehr genähert hat, so ist es besser, zu rasten und morgen die Tour fortzusetzen, um in die hinteren Schluchten des vor uns sich erhebenden Gebirges einzudringen. Bald ist eine passende Stelle zum Nachtlager gefunden, die ringsum von grünendem Gebüsch eingeschlossen, während ein schmaler aber klarer Wasserfaden, vom Gebirge kommend, unfern von uns melodisch vorüberrieselt. Wir schnallen die wollenen Decken (unser Buschbett) ab, entsatteln die Pferde und koppeln oder ketten die Vorderfüße jedes einzelnen.

Bald lodert ein mächtiges Feuer, lebhaft genährt von den massenhaft umherliegenden todten Aesten und Zweigen der Bäume. Da wir

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_396.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)