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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Stadttheile unter verworfenem Gesindel. Ich bin ein morsches Wrack, das der brausende und tobende Ocean an eine öde Küste geschleudert.“

Im Laufe des Gesprächs erfuhr ich von dem Unglücklichen, daß er schon seit einer Reihe von Jahren nicht mehr den schmutzigen Stadttheil verlassen, aus Furcht, Jemandem zu begegnen, der ihn früher gekannt, und daß er seinen Namen geändert, damit man ihm niemals auf die Spur komme. „Meinen wahren Namen,“ schloß er mit einer eigenthümlich schmerzlichen Betonung, „meinen wahren Namen wird man selbst nach meinem Tode nicht erfahren.“ –

Ich sah diesen Mann nicht wieder. Was ist aus ihm geworden? Vielleicht weiß es Niemand; vielleicht hat es Niemand wissen wollen.




Blätter und Blüthen.


Carl August, der fürstliche Freund Goethe’s, war nicht nur ein ungewöhnlicher, über seiner Zeit stehender Regent und ein umsichtiger, tapferer Feldherr, was sein schwieriger, mit großer Gewandtheit ausgeführter Rückzug von 1806 beweist, er war auch ein liebenswürdiger Gast, ja, ein einfacher Hausfreund, frei von aller fürstlichen Grandezza. So kehrte er gern in der wahrhaft adeligen Familie des Präsidenten v. Z. ein. Hier neckte er sich besonders gern mit der liebenswürdigen und schlagfertigen Frau des Hauses. Ein Husar pflegte ihn da anzumelden, oft kurz vor seinem Eintreffen. So im Sommer 1825.

Die Familie v. Z. lebte auf ihrem ländlichen Gutssitze zu V. Es war ein schöner, warmer Tag, und die zahlreiche Familie sowie ein Gast, eine jener ungewöhnlichen Frauen aus dem damals schon fast ausgestorbenen Kreise in Weimar, bewegten sich heiter, behaglich in den schattigen Gängen des Parkes, als der bekannte rothe Husar Vormittags nach elf Uhr anritt und ein paar Zeilen brachte, welche den Großherzog von Weimar für ein einfaches Mittagsbrod anmeldeten. „Mein Gott,“ rief die Hausfrau, welche sonst nicht gleich das Concept verlor, „ich habe fast gar nichts im Hause, und gegen ein Uhr will der Großherzog kommen. Um zwei Uhr erwartet er bei uns das Mittagsbrod.“

Die eben noch im großen, schönen Parke gar bewegliche, heiter lebendige Gesellschaft wurde plötzlich stumm, und Jeder zog sich bedenklich in das Haus, in sein Zimmer zurück.

In dem Speisegewölbe prasentirt sich ein Küchen-Solitär – aber ein einziger – ein Rehrücken: – sonst, da und dort – nur Neigen, Ueberreste für das gerade heute sehr bescheidene Mittagsmahl der Hausgenossen. Und ein Großherzog will heute hier zu Mittag essen. Arme Hausfrau!

Gegen ein Uhr kam der alte fürstliche Herr, wie gewöhnlich in seiner grünen, einfachen Pikesche auf der sehr schlichten, harten Jagddroschke mit den zwei russischen Rappen. Der hochbejahrte, noch gar rüstige Herr war hier wie ein alter Bekannter, aber stets ritterlich gegen die Frauen. So saß er später auch mit einem Herrn v. F., den er mitbrachte, an der Tafel, um welche die ganze Familie versammelt war. Die Suppe war abgetragen; der Diener brachte den Rehrücken, diesen Retter in der Noth, und begann an einer Nebentafel zu tranchiren; aber er hatte kaum drei oder vier Stückchen gelöst, als unter dem ungeschickt geführten Messer der Braten vom glatten Teller ausrutscht und in das Zimmer fährt. So lag der einzige Braten des Hauses am Fußboden. Nur die paar von ihm schon abgeschnittenen Stückchen waren gerettet. Was sollte da, auf dem Dörfchen ohne Fleischer, bei den uns bekannten Speisevorräthen geschehen, jetzt noch geschehen? – die Frau des Hauses zuckte zusammen; sie wurde roth und bleich – doch nur einen Augenblick verlor sie die Geistesgegenwart.

„Walther,“ so hieß der Diener, „traget schnell den verunglückten Braten hinunter und lasset Euch den andern geben!“ rief sie und bat den Großherzog um Verzeihung wegen des nun zu erwartenden Aufenthaltes.

Sie schien ruhig; aber was mochte die arme Hausfrau bestürmen! Würde die Köchin so klug sein und die Absicht der Herrin verstehen, den verunglückten Braten säubern, neu zurichten und anständig zurückschicken?

Der Großherzog schien nichts zu bemerken, scherzte und erzählte allerliebst. Da brachte endlich der Diener wirklich den neu zugestutzten Rehrücken wieder und begann von Neuem zu tranchiren. Der Großherzog aber drückte die Hand der Frau Präsidenten und sprach ganz harmlos:

„Liebe Lonny,“ so hieß die Frau des Hauses, „ich bitte mir von der ersten Edition aus.“ Er hatte die Kriegslist der Hausfrau bemerkt, während die übrige Gesellschaft die ihr unbegreifliche Geschichte ängstlich abwartete.

Als später der fürstliche Herr Abschied nahm, schüttelte er der Frau des Hauses die Hand und rief lächelnd:

„Wie gut, liebe Lonny, daß es auch Esel in der Welt giebt! Ohne Ihren geschickten Speisemeister käme ich nicht so stolz auf Sie und nicht so wohl zufrieden mit mir nach Hause.“ Gar rüstig bestieg der Greis seine einfache harte Droschke und fuhr rasch hinweg.

A. Sr.

Ludwig Giesebrecht. Ein Dichter ist gestorben. Ludwig Giesebrecht ist, einundachtzig Jahre alt, am 18. März dieses Jahres zu Jasenitz bei Stettin sanft entschlafen. So fest, so sicher seine Handschrift bis zu seinem Lebensende war, so fest, so klar war sein Charakter, so entschieden ausgeprägt sein Denken und Handeln.

Im Jahre 1836, als der Dichter bereits vierundvierzig Jahre zählte, erschien die erste Auflage seiner Gedichte, der dreißig Jahre später die zweite reich vermehrte und mit biographischen Zwischenbemerkungen versehene folgte – um, wie jene erste, von der großen Menge unbeachtet gelassen zu werden. Wohl schrieb er mir im Jahre 1867: „Ganz so vergessen bin ich wohl nicht, wie Sie es sich vorstellen. Nur die Journalistik hat mich nicht begünstigt, und das ist meine Schuld; ich habe keine Zeit und keine Neigung gehabt, mich als Mitarbeiter an Zeitschriften allgemeinen Inhalts zu betheiligen, ungeachtet ich mehrfach dazu aufgefordert bin.“ In einem andern Briefe fügte er hinzu: „Der Dichter, der Schriftsteller überhaupt, soll, meines Erachtens, kein Paradiesvogel sein, der nur in der idealen Welt schweben und seinen Fuß nicht auf den Boden des wirklichen Lebens setzen will. Ich war im verwichenen Sommer in Nürnberg; ich sah das Haus, in dem Hans Sachs seine Schuhe und seine Gedichte gemacht hat. Es war ein unscheinbarer Bau, noch unscheinbarer, als das Haus Albrecht Dürer’s; aber die beiden Wohnungen haben mich doch sehr bewegt. Wie waren die beiden Meister doch zugleich mitten im zünftigen Handwerk und auf den Höhen der Kunst! Es ist nicht gut, daß wir in unserer Zeit das trennen wollen etc. Sehen Sie, lieber Freund, so denkt ein alter Mann, der nicht an der Spitze der Bewegung unserer Zeit geht, sondern bescheidentlich unter den Zuschauern seinen Platz hat.“

Er ist zu Jasenitz, dem in seinen Gedichten ein ganzes Buch gewidmet ist, bei seiner verwittweten Tochter, der er so liebliche Lieder sang, gestorben. Von dem Schlosse dort, wo er zuletzt gelebt, sang er:

Hier unter hatten vormals ihre Zellen
Gestrenge Chorherrn, die der Welt entsagt;
Von Liebe nicht umjauchzt und nicht umklagt,
Trat keines Weibes Fuß auf diese Schwellen.
Und oben hat einst auf hochgeh’nden Wellen
Der Sinnenfreude, keck und unverzagt,
Ein fürstlich Weib es mit der Welt gewagt;
Auch sie drang nicht bis zu der Liebe Quellen. –
Nun in dem untern mönchischen Gebäu
Seh’ ich als Hausfrau meine Tochter walten
Mit Mann und Kindern, liebend und geliebt,
Und oben ist das Gastgemach des Alten.
Entweicht, der Vorzeit Schatten, und zerstiebt!
Allleben wogt: Schloß Jasenitz ward neu.

Während Giesebrecht als Kind in einer fürstlichen Wiege geschaukelt wurde, die seine Mutter als Ehrengeschenk erhalten, hat er in dem Zimmer gelebt und mag auch da gestorben sein, in dem Elisabeth, die Gemahlin Friedrich Wilhelm des Zweiten, als Geschiedene ihre Tage verbrachte, bis sie nach Stettin übersiedeln durfte, wo man der kleinen unscheinbaren Dame noch in den dreißiger Jahren oft in den Anlagen vor den Thoren begegnete. Giesebrecht war fünfzig Jahre Lehrer am Gymnasium zu Stettin, wo er mit dem Balladencomponisten Löwe in intimer Freundschaft lebte. Als Geschichtsschreiber ist er durch seine „Wendischen Geschichten“ besonders bekannt geworden, wie er denn für den Verein für baltische Geschichte und Alterthumskunde vielfach thätig gewesen ist. Sein ehrenfestes Verhalten als Abgeordneter im Frankfurter Parlament ist bekannt. Selbst seine Feinde konnten ihm die Achtung nicht versagen. In Bezug auf religiöse Ansichten und Streitigkeiten, unter denen ja auch er zu leiden hatte, äußerte er: „So lange das Ministerium Altenstein waltete, blieben dogmatische Unterschiede dem Glauben und Gewissen des Einzelnen anheimgegeben. Anders unter seinen Nachfolgern. Die Kirche und das geistliche Amt erheben früher nicht gemachte Ansprüche, und die Staatsregierung begünstigt sie.“

Es ist gut, gegenwärtig an solche Worte von damals zu erinnern.

Friede ihm!

F. Brunold.

Eine Forderung der Menschlichkeit. Unsere deutschen Eisenbahnen lassen in Bezug auf bequeme Einrichtung Manches zu wünschen übrig; doch würde es schwer fallen, aus der Beschaffung größeren Comforts geradezu eine gesetzliche Verpflichtung zu machen. Ein Ding aber giebt es, dessen Vorhandensein unbedingt gefordert werden kann, weil es der Befriedigung eines unabweisbaren Bedürfnisses dient, das ist – ein Brunnen auf jeder Station, welcher, sofort in die Augen fallend und leicht zugänglich, dem reisenden Publicum Gelegenheit bietet, seinen Durst mit dem natürlichsten Getränk zu stillen und – was jedem an Reinlichkeit gewöhnten Menschen fast ebenso großes Bedürfniß ist – sich von Zeit zu Zeit die Hände zu waschen. Brunnenanlagen haben ja wohl sehr viele Bahnhöfe, aber dieselben liegen in der Regel ganz versteckt und sind daher von dem Fremden nicht aufzufinden; außerdem sind sie gewöhnlich nur für den Gebrauch der Bahnhofsbewohner bestimmt und gegen die allgemeine Benutzung theilweise sogar unter Verschluß gelegt. Wer aber einmal, insbesondere mit Frau und Kindern, einen ganzen Tag bei drückender Sommerhitze auf der Eisenbahn gefahren ist, der weiß, welche Qualen der Durst, nach raschem Verbrauche der vorsorglich mitgenommenen Getränke, namentlich den Kleinen verursacht. Mit Bier denselben zu löschen, dem gewöhnlichen Mittel, wozu die Bahnhofsrestaurationen und ihre „fliegenden“ Kellner Gelegenheit: bieten, erweist sich sehr bald, namentlich für Kinder, als gänzlich verfehlt; denn nach kurzer, augenblicklicher Befriedigung kehrt der Durst nur in verdoppeltem Grade wieder – darauf scheint ja leider die Zubereitung unsere heutigen Lagerbiere berechnet zu sein. Wasserflaschen aber findet man weder in den meisten Restaurationszimmern, noch auf den Servirtellern der Kellner, und jede Nachfrage nach Wasser kann meist nur auf ein mitleidiges Lächeln von Seiten der Letzteren rechnen, welches besagen soll, daß Restaurationen und Kellner nicht dazu da sind, dem Publicum Wasser zu liefern. Dies kann man auch von ihnen, wenigstens umsonst, nicht verlangen, recht wohl aber von den Bahnverwaltungen, für die es unbedingt zur gesetzlichen

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