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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

No. 19.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Glück auf!
Von E. Werner.


(Fortsetzung.)


Arthur fuhr auf, als habe eine Geisterstimme sein Ohr berührt, und blickte um sich. Dort auf der Schwelle, wo sie ihm Lebewohl gesagt für immer, stand sein Weib und in dem Moment, wo er sie erkannte, schwand Besinnung und Ueberlegung. Er machte eine Bewegung, ihr entgegen zu stürzen, und der Aufschrei des Glückes, der sich seinen Lippen entrang, das Aufleuchten seiner Augen verrieth alles, was eine mondenlange Selbstbeherrschung ihr bis auf diese Stunde abgeleugnet.

„Eugenie!“

Die junge Frau athmete auf, als sei eine Bergeslast von ihrer Brust gesunken. Der Blick, der Ton, mit dem er ihren Namen rief, gaben ihr endlich die so lang bezweifelte Gewißheit, und wenn er auch mitten in seiner stürmischen Bewegung inne hielt, wenn er wie zum Schutze gegen sich selbst die alte Maske wieder vorzunehmen strebte und den verrätherischen Blick verschleierte, es war zu spät, sie hatte zu viel gesehen!

„Wo kommst Du her?“ fragte er endlich, sich mühsam fassend, „so plötzlich – so unerwartet – und wie gelangtest Du in’s Haus? Die Werke sind noch in vollem Aufruhr. Du kannst sie unmöglich passirt haben.“

Eugenie näherte sich langsam. „Ich bin erst vor wenigen Minuten angekommen. Den Zugang habe ich mir freilich erst erzwingen müssen; frage mich jetzt nicht wie – genug daß ich ihn erzwang. Ich wollte zu Dir, ehe die Gefahr Dich erreichte.“

Arthur machte einen Versuch, sich abzuwenden. „Was soll das, Eugenie? Was willst Du mit diesem Tone? Curt wird Dich geängstigt haben mit seinen Berichten, trotz meiner Bitte, trotz meines ausdrücklichen Verbotes. Ich will kein Opfer der Pflicht und Großmuth. Du weißt es.“

„Ja, ich weiß es!“ entgegnete die junge Frau fest. „Du hast mich ja schon einmal damit von Dir gewiesen. Du konntest es mir nicht verzeihen, daß ich Dir einmal Unrecht gethan, und der Rache dafür hättest Du beinahe mich und Dich geopfert. Arthur, wer war der Schroffste, der Härteste von uns beiden?“

„Es war keine Rache,“ sagte er leise. „Ich gab Dich frei – Du hast es selbst gewollt.“

Eugenie stand jetzt dicht vor ihm; das Wort, das einst um keinen Preis der Welt seinen Weg über ihre Lippen gefunden hätte, es wurde ihr jetzt so leicht, seit sie sich geliebt wußte. Sie hob das dunkle thränenfeuchte Auge voll zu ihm empor.

„Und wenn ich nun meinem Manne sage, daß ich die Freiheit nicht will ohne ihn, daß ich zurückgekommen bin, um alles mit ihm zu theilen, was uns auch treffen mag, daß ich ihn – lieben gelernt habe: wird er mich dann zum zweiten Male gehen heißen?“

Sie erhielt keine Antwort, wenigstens in Worten nicht, aber sie lag bereits in seinen Armen, und in diesen Armen, die sie so heiß und fest umschlossen, als wollten sie das endlich Errungene nie wieder von sich lassen, unter den leidenschaftlichen Liebkosungen, mit denen er sie überströmte, fühlte Eugenie, wie tief ihn einst ihr Verlust getroffen und was ihre Rückkehr ihm war in solchem Augenblick. Sie sah das Aufstrahlen der großen braunen Augen in einem Glanze, wie sie ihn trotz alles blitzähnlichen Leuchtens darin doch noch nie gesehen. Die gebannte, versunkene Welt war herauf gestiegen aus ihrer Tiefe zum hellsten Sonnenlicht, und die junge Frau mußte doch wohl eine Ahnung haben von all den Schätzen, die sie ihr verhieß, denn sie legte mit dem Ausdruck des hingebendsten Vertrauens ihr Haupt an die Brust des Gatten, als er sich zu ihr herabbeugend leise sagte:

„Mein Weib! Mein Alles.“

Durch das offene Fenster wehte es herein wie ein Rauschen und Grüßen von den grünen Waldbergen drüben. Die Stimme mußte doch auch mitflüstern in dem neu erstandenen Glück; sie hatte es ja mit erbauen helfen. Sie hatte die Beiden längst erkannt, als sie sich selbst noch nicht kannten, als sie noch im herben Trotz und Kampf gegen einander standen und das Trennungswort aussprachen, gerade da, wo ihre Herzen sich fanden. Aber es nützt nichts, dieses Kämpfen und Trotzen der Menschenkinder, wenn sie mit ihrem Lieben und Hoffen in den Bann gerathen, den der Berggeist über sein Reich legt im wallenden Nebel der ersten Frühlingsstunde – und was sich da findet, das gehört zusammen für immer!




Der Tag, der für die Berkow’sche Colonie so stürmisch begonnen hatte, ging verhältnißmäßig ruhiger zu Ende, als man es nach den Scenen vom Morgen hätte erwarten sollen. Ein mit den Verhältnissen Unbekannter hätte vielleicht die Ruhe, die gegen Abend über den Werken lag, für den tiefsten Frieden halten können, und doch war es nur die Ruhe des Sturmes, der einen Augenblick inne hält, um dann mit erneuter Wuth wieder loszubrechen.

Auch in der Wohnung des Schichtmeisters herrschte jene

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_301.JPG&oldid=- (Version vom 3.6.2018)