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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


eigenen Bruchschaden zu heilen, sich auf die Heilkunst geworfen, die ihn endlich bis zu Wundercuren durch Teufelsbeschwörung vorwärts brachte. Trotz des Verbots seiner Quacksalberei ging er immer auf dem einträglichen Wege weiter, setzte dem bischöflichen Vicariat zu Bruchsal 1819 sogar schriftlich seine Grundsätze über die Heilung durch Vertrauen und Glauben an Jesus auseinander und fand, abermals trotz eines abmahnenden Hirtenbriefs des Vicariats, in dem Fürsten Hohenlohe 1821 einen ebenbürtigen Spießgesellen. Bei seinem Schwager, dem Stadtpfarrer Dr. Bergoldt in Haßfurt, einem Hauptanhänger der römischen Curie, brachte Michel dem Fürsten zuerst die Idee bei, das Wunder an Prinzessin Mathilde von Schwarzenberg zu wirken. Beide reisten sofort nach Würzburg, wo der Fürst sich beim Stadtpfarrer Deppisch im Stifthauger Pfarrhofe einlogirte, während Michel im „Einhorn“ wohnte und seinen gewöhnlichen Wein- und Geldgeschäften nachging.

Erst galt es das Terrain zu sondiren. Hohenlohe wurde mit der Familie Schwarzenberg durch den Freiherrn von Reinach bekannt, machte Besuche, erhielt Gegenbesuche und Einladungen, speiste am 18. und 19. Juni bei Freiherrn von Reinach, erwähnte aber mit keinem Worte Michel’s, der, um Aufsehen zu vermeiden, am 16. nach Haßfurt zurückgekehrt war. Sobald jedoch Hohenlohe die Nachricht erhalten hatte, daß die Prinzessin Mathilde zur Erprobung ihrer Heilung reif sei, ließ er durch einen expressen Boten Michel von Haßfurt herbeiholen.

Man beachte die Zeit: am Neunzehnten hatte Heine der Prinzessin und dem Fürsten Wallerstein das Ende der Cur und den Erprobungstag angekündigt, – war es da wohl ein Zufall, daß gerade am Zwanzigsten, wo Heine seine Reise angetreten hatte (es war ein Mittwoch), der Fürst mit Michel zur Vollbringung des großen Wunders schritt? Gegen halbzehn Uhr früh, als die Prinzessin noch in ihrem gewöhnlichen zierlichen Nachtbette schlief, stieg Hohenlohe, der vorher in der Hauscapelle eine Messe gelesen, zu ihr hinauf. Sie wurde geweckt und er eingeführt. Der fürstliche Priester verhieß ihr Hülfe unmittelbar von Gott, belehrte sie über Michel’s wunderbare Curen und schloß: „Ich gehe und hole ihn.“ Michel wartete im Hof und war sofort zur Hand. Vom Fürsten eingeführt, begrüßte er die Prinzessin und murmelte Gebete. Der Fürst aber sprach: „Gott kann, will und wird helfen; er ist helfend. Stehen Sie auf, und seien Sie gesund! Sie werden Ihr Bett verlassen, sich festlich kleiden und Gott danken, der Sie allein geheilt!“ Mit diesen Worten war Hohenlohe immer näher gerückt und auf seinen Wink kam auch der Bauer heran. „Haben Sie festes Vertrauen!“ begann er, „Gott hilft, Jesus hilft! Reines Herz, unbefleckte Unschuld, reines Gewissen, christliches Vertrauen, dies Alles haben Sie. Wohlan! Im Namen Jesu stehen Sie auf und wandeln Sie! Erheben Sie sich von Ihrem Lager! Glauben Sie an Gott, hoffen Sie auf Jesus! Lieben Sie Gott und Sie sind gesund!“

Die von den beiden Fanatikern exaltirte Prinzessin rief hochglühend: „Ja Jesus, Jesus!“ und suchte sich aufzurichten. Beide Wundermänner verließen das Gemach. Die Gouvernante war längst um sie beschäftigt; die Prinzessin ließ sich ankleiden und berief nun die Wunderthäter vor sich. Von der Gouvernante unterstützt, erhob sie sich von ihrem Lager, trat ängstlich auf und ging, halb getragen, am Arm derselben, die beiden Männer neben sich, langsam auf und ab. Sie weinte dabei Freudenthränen, so bewegt war sie, aber nach einigen Minuten schon, als die Aufregung etwas nachgelassen, wurde sie schwach und mußte wieder auf’s Bett gebracht werden. Die Wunderthäter aber gaben keine Ruhe. Sie murmelten von Neuem ihre Gebete mit noch größerer Inbrunst, und nach heftigeren Anstrengungen schrie Michel zuletzt wiederholt: „Im Namen Jesu! Stehen Sie auf und wandeln Sie!“ Da machte die bisher so muthlose Fürstin eine gewaltige Anstrengung, wagte zum ersten Male rasch selbst auf den Boden zu treten und schnell zwei Schritte vorwärts zu gehen; es gelang, und vom Fürsten geführt, spazierte sie vier bis fünf Mal im Zimmer auf und ab.

Alle fielen auf die Kniee mit Thränen und Dankgebeten. In wenigen Augenblicken war das ganze Haus versammelt. Alles schrie: „Wunder! Wunder!“ Boten wurden zum Kronprinzen, an alle vornehmen Häuser gesandt. Estafetten gingen nach München, nach Wien, nach Wallerstein. In zehn Minuten wußte es die ganze Stadt.

„In den Garten!“ rief plötzlich die Prinzessin. Fürst Hohenlohe bot ihr den Arm, und so stieg sie, auch von Michel unterstützt, eine Treppe von vierundzwanzig Stufen hinab. Als sie unten angekommen war, fand sie, daß die Anstrengung über ihre Kräfte ging, und sie ließ sich wieder hinauftragen, um auszuruhen. Bei der Mittagstafel saß sie, an die Rückseite ihres Sopha gelehnt.

Nachmittags strömten nun hohe und vornehme Besuche von allen Seiten herbei. Alle umringten die Fürstin; Jeder wollte das Wunder mit eigenen Augen sehen; Alle, selbst die Männer, weinten und anerkannten gerührt die göttliche Einwirkung. Dem gewöhnlichen Volke aber sollte das Wunder am folgenden Tag servirt werden zur Erhöhung des Fronleichnamsfestes. Und in der That fand die Procession nie so zahlreiche Theilnehmer, war nie so pompös, so prachtvoll gewesen. Das Wunder versetzte Alles in glühende Andacht und fromme Begeisterung. Hohenlohe zeigte sich voll Würde und Salbung; das Bewußtsein, der Liebling der Gottheit zu sein, durch den sie Wunder wirke zur Verherrlichung der alleinseligmachenden Kirche, umgab ihn mit einem Heiligenschein. Das schöne Geschlecht besonders bewunderte an ihm das Gottähnliche, die kleinen Füße, die netten Hände, die vielsagende Männlichkeit des wohlgenährten Vicariatsrats, seine sonore Stimme, mit der er unter Seufzern und Thränen die Macht des Glaubens pries. Bald sprach man nur von ihm. Das Volk, welches jetzt die Fürstin, die so lange getragen ward, gehen sah, ohne zu wissen, wie weit das Heilverfahren gediehen war, schwur auf die Wahrheit des Wunders; selbst sonst Aufgeklärte waren in Ungewißheit, zumal da auch die höchsten Herrschaften, voran der Kronprinz, daran glaubten.

Zwar hatte die Behörde die Wunderthäter, die Geheilte und ihre Gouvernante und sonstige Zeugen der That vernommen, die Prinzessin erklärte jedoch, daß ihr Jesus und das Gebet allein geholfen, und der durchlauchtige Vicariatsrath gab eine schlechtstilisirte Erklärung ab, die von der größten geistlichen Anmaßung zeugt und seine jesuitischen Zwecke entlarvt. Denn da heißt es: „Es sei ein unmittelbares göttliches Einwirken gewesen, damit durch solche Ereignisse der in unseren Tagen so sehr gesunkene Glaube an die Gottheit Jesu wieder neu belebt werde unter den vielen Namenchristen, die aus menschlichem Stolze ihren Verstand dem Glauben nicht unterwerfen wollen.“ „Wir können solche Heilungen von Gott verlangen!“ so heißt es gegen den Schluß dieser Erklärung.

Was nun aber den offenbar um einen wohlverdienten Lohn gebrachten Heine betrifft, so traf ihn dieser Verlust als eine Strafe, wenn auch von ungerechter Hand, doch nicht ohne Schuld. Er hatte das arme Mädchen, trotzdem er wußte, daß es geheilt war, fort und fort in neue Maschinen gesteckt – aus Habsucht, weil er die Henne der goldenen Eier wegen, die sie ihm legte, so lange als möglich fest halten wollte. Der ganze Wunderschwindel wäre unmöglich gewesen, wenn er seinen Geiz beherrscht und den Triumph seiner mühevollen Cur noch am Neunzehnten gefeiert hätte. Jetzt war alle Anstrengung, gegen den siegreichen Wahn anzukämpfen, vergeblich. Er schickte einen kurzen Bericht an die „Allgemeine Zeitung“ und den „Correspondenten von und für Deutschland“, um durch Darstellung des wahren Sachverhalts der Wunderreclame entgegen zu wirken. Aber ohne Erfolg; denn als Heine am Abend des 23. Juni nach Würzburg zurückkehrte, fand er Alles in dieser Stadt schon in Aufruhr und mit Hilfsbedürftigen, die von überall herbeigeeilt waren, angefüllt und mußte noch an demselben Abend den Hohn erleben, daß der Bauer und der Fürst die Keckheit hatten, unerwartet und unangemeldet in sein eigenes Institut zu kommen und ihre Wundercur zu versuchen – ohne daß Heine von seinem Hausrechte Gebrauch machen und sie hinauswerfen durfte; ja am 29. Juni mußten sogar auf den Wunsch des Fürsten die Patienten Heine’s alle Bandagen ablegen. Sie hatten freilich nur die Mühe, sie wieder anlegen zu müssen, denn es wurde weder von ihnen, noch von den vielen Kranken der Stadt, die an diesem Tage ebenfalls in’s Heine’sche Institut geströmt waren, um von dieser Gelegenheit zu profitiren, ein Einziger geheilt. Doch diese Mißerfolge kamen nicht in Betracht. Glaubte doch selbst der Kronprinz daß schon über siebzig Personen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_249.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)