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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


dem weißen Regiment gewehret bis auf den letzten Mann, hätte auch die Viktori erhalten, wo nur die Reiterei Stand gehalten hätte, welche sich aber gleich davon gemacht, weil sie gar keine Retirade hinter sich gehabt …“ Des verwundeten und verbrannten Oberst von Börslin erwähnt der Bericht auch mit dem Anfügen, daß er in Heilbronn Unterkunft gefunden habe. Den Verlust giebt er auf 5000 Mann an.

Der dritte Bericht, Datum Carlsburg (d. i. das Schloß in Durlach), den 13. Mai 1622, ist von dem Markgrafen Georg Friedrich selbst verfaßt und an den Markgrafen Joachim Ernst von Brandenburg gerichtet. Derselbe ist, wie der Markgraf bemerkt, acht Tage nach der Schlacht geschrieben, wo also schon eine bessere Uebersicht und Kenntniß des Ganzen möglich war. Er bemerkt, er hätte gehofft, sich noch verschanzen zu können, aber Cordova und Tilly hätten ihn so gedrängt, daß er das Feld habe räumen müssen, jedoch ohne großen Verlust, außer daß er Artillerie und Geld verloren. Schließlich gedenkt er des Todes des Herzogs Magnus von Württemberg und des Pfalzgrafen von Birkenfeld. – Ist es nun möglich, daß der Markgraf schreibt: „ohne großen Verlust“, wenn sich 400 Bürgerwehren für ihn opfern, damit er gerettet werde? Ist es möglich, daß eine solche That geschah, ohne daß derselben auch nur mit Einem Worte Erwähnung geschieht? Ja, nicht einmal des weißen Regiments erwähnt der Markgraf, und wenn es, wie man nach dem Berichte des ungenannten Augenzeugen annehmen dürfte, sich buchstäblich bis auf den letzten Mann gewehrt hätte, so wäre sicher der Markgraf am Schlusse seines Schreibens darauf zu reden gekommen, wo er bemerkt: „habe nicht unterlassen, unsere Truppen, weil möglich, wiederum zu sammeln, und sind Willens, Uns mit nächster Tage wiederum in’s Feld zu begeben.“

Die That des Einzelnen im Gefechte wird selten gleich im weiteren Kreise bekannt, aber die That einer ganzen Abtheilung thut sich sofort von selbst hervor, zumal wenn der Fürst und Feldherr ihr seine Rettung dankt wie hier. Doch weiter! Ein Jahr nach der Schlacht erschien von Jüngler eine Lebensbeschreibung des Markgrafen; aber auch sie erzählt uns nichts von den 400, so wenig wie die späteren Chroniken u. dergl., wie Crusius, Theckum, Schöpflin und Ziegler.

Wenden wir uns nun zu den Familiennotizen. Einen Theil davon haben wir schon im Eingange mitgetheilt; weiter wurde dem Verfasser des „Dreißigjährigen Krieges“ ein im Jahre 1823 gefertigter Stammbaum vorgelegt, auf welchem es heißt: „Berthold Deimling, Bürgermeister und Weißbäck, geboren 1586, vermählt mit Esther, Tochter des Special Faber von Markgröningen. Er war Chef und Commandeur jener 400 Pforzheimer, welche das weiße Regiment, genannt und als Garde des Markgrafen Georg Friedrich am 6. Mai 1622 in der Schlacht bei Wimpfen den Heldentod für Religion, Fürst und Vaterland gestorben sind.“

Für diese Notiz gab es aber keinen anderen Beleg, als die mündliche Ueberlieferung, immerhin aber gab sie Anhalt genug, um nach den Lebensereignissen des Berthold Deimling forschen zu können, welcher mit Esther Faber verheirathet war, und zwar deshalb, weil die städtischen Bücher der früheren Zeit noch einen Berthold Deimling enthalten. Es gelang nun dem damaligen Senior der Familie nachzuweisen, daß fragliche Ueberlieferung vier Unrichtigkeiten enthalte. 1) Berthold Deimling war 1622 nicht Bürgermeister in Pforzheim, 2) bildeten die vierhundert Pforzheimer weder die Garde, noch das weiße Regiment, 3) war der Commandeur des weißen Regiments Oberst von Helmstädt und 4) starben die 400 Pforzheimer nicht alle in der Schlacht.

Der Beweis wurde durch Folgendes geliefert:

Zu 1: Nach den städtischen Büchern war Bürgermeister in Pforzheim von 1613–1622 Jeremias Deschler, von 1622–1627 Wolf Karle.

Zu 2: Der Markgraf war einer der ersten Fürsten, welcher die geworbenen Truppen mit der allgemeinen Landesbewaffnung verband. Er hatte a. seine stehenden Truppen (Leibwache), nämlich: die Gardereiterei zu 154 Mann und das Gardefähnlein, 1 Compagnie zu etwa 300 Mann; b. 4 Fußregimenter, nämlich: 1) Unter-Baden, das weiße Regiment, 2) Ober-Baden, 3) Hochberg, 4) Kötteln; c. verschiedene Reiterfähnlein, von welchen immer eines aus mehreren Aemtern gestellt wurde; d. eine verhältnißmäßig sehr starke Anzahl von Geschützen.

Nach des Markgrafen eigenen Aufzeichnungen in der großherzoglichen Manuscriptensammlung sollte jedes Regiment aus 11 Compagnien zu je 300 Mann bestehen. 1622 zählte aber Unter-Baden, das weiße Regiment, nur 9 Compagnien oder Fähnlein und zwar stellten die Aemter Durlach 2, Graben 1, Mühlburg 1, Pforzheim 3, Kafforth mit einem Theile von Durlach 1, Stein und Langensteinbach 1 Compagnie. Davon traf Stadt Pforzheim 1 Compagnie oder 300 Mann, Amt Pforzheim, Stein und Langensteinbach stellten zusammen ein Reiterfähnlein von 100 Mann zu Pferd, was, weil Pforzheim den größten Theil lieferte, das „Pforzheimer“ genannt wurde. Somit kommen nicht ganz 400 Mann für Stadt Pforzheim heraus.

Zu 3: Es ist nachgewiesen, daß der Commandeur des weißen Regiments von Helmstädt hieß, auch nennen die Actenstücke der Manuscriptensammlung mehrere Hauptleute desselben, wie: von Liebenstein, Chr. von Helmstädt (der in der Schlacht fiel), von Danitz, von Steinfels, G. Ph. von Helmstädt, von Tannstein, woraus geschlossen werden könnte, daß die Anführer (Hauptleute) damals dem Adel angehörten.

Zu 4.: Berthold Deimling starb nicht auf dem Schlachtfelde. Es wird von ihm in den Taufbüchern nachgewiesen, daß er am 19. November 1622, 24. November 1627, 1. April 1629, 26. August 1631 und 20. Februar 1635 5 Kinder erhielt. – Er kommt 1624 (1. October) als Gevatter, 1630 und 1634 (wo er Bäckermeister genannt wird) gleichfalls als Gevatter vor und starb 1635 an der Pest.

Es wäre nun auch noch nachzuweisen, daß alle Pforzheimer unmöglich in der Schlacht geblieben sein können. Da die Todtenbücher in dem Orleansschen Kriege zerstört wurden, so muß der Beweis aus den vorhandenen Geburtsbüchern geliefert werden, weil klar ist, daß, wenn die damalige kleine Stadt Pforzheim auf einen Schlag nahezu 400 Bürger verloren hätte, eine Abnahme der Geburten sich gezeigt haben würde. Die Geburtslisten geben nun an: 1613 wurden geboren 126, 1614 124, 1615 132, 1616 126, 1617 124, 1618 124, 1619 114, 1620 137, 1621 127, 1622 114, 1623 121, 1624 143, 1625 141, 1626 124, 1627 103, 1628 140, 1629 122, 1630 138, 1631 124, 1632 141, 1633 124, 1635 82, 1636 80, 1637 79 Kinder. Die minder zahlreichen Geburten in den Jahren 1535–1637 waren eine Folge der Nördlinger Schlacht und der dadurch nöthig gewordenen Flucht. Nach 1622 dagegen fand eine Abnahme der Geburten nicht statt. Gehres in seiner Chronik nennt mehrere Namen von Gefallenen, aber es ist nicht möglich, sie Alle zu verfolgen, und Viele davon werden auch wohl auf dem Schlachtfelde geblieben sein. Er nennt auch einen Mann Namens Maler. Der verstorbene Geheime Rath Maler sagt aber Seite 13 in seiner Schrift über seine Familie: „Die von dem damaligen Amtskellerer Maler geschriebene Chronik dieser Familie weiß nichts davon.“

Das Hauptresultat ist nun kurz folgendes:

a. Nur ein gleichzeitiger Bericht eines ungenannten Augenzeugen erwähnt der besonderen Tapferkeit des weißen Regiments. Der von Abel sowie der vom Markgrafen selbst verfaßte schweigen völlig darüber.

b. Die Pforzheimer werden besonders gar nie erwähnt; im weißen Regimente standen nur 300 Bürger der Stadt.

c. Da die Reiterei anfänglich schon floh, so wird wohl das Pforzheimer Fähnlein auch dabei gewesen sein, wenigstens wird nicht das Gegentheil gesagt.

d. Berthold Deimling führte nicht die Pforzheimer, noch weniger das weiße Regiment. Er starb auch nicht auf dem Schlachtfelde.

e. Alle 400 Pforzheimer Bürger können unmöglich auf der Wahlstatt geblieben sein, das beweist die spätere Zahl der Geburten.

f. Die 166 Jahre nach der Schlacht entstandene Sage wurde ohne genaue Prüfung in die Welt geschickt und dürfte nun klar gemacht sein.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_217.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)