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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Galerie historischer Enthüllungen.
2. Die Sage von dem Heldentode der vierhundert Pforzheimer.


Die Schlacht bei Wimpfen, welche Markgraf Georg Friedrich von Baden-Durlach gegen Tilly kämpfte, fand am 6. Mai 1622 statt. Nach einhundertsechsundsechszig Jahren wurde in einer Schrift von Ernst Ludwig Deimling die Mittheilung gemacht, es hätten in dieser Schlacht vierhundert Pforzheimer bei der Vertheidigung ihres Fürsten den Heldentod gefunden. In der fraglichen Schrift wird bemerkt, diese Begebenheit sei bis dahin nur Familienerzählung gewesen. Verfasser habe sie von seinem Vater, dieser wiederum von dem seinigen, und dieser – also E. L. Deimling’s Großvater – von seiner Großmutter erhalten, die der Schlacht angewohnt habe und die Tochter des Stadtpfarrers von Markgröningen, Namens Faber, gewesen sei.

Diese Mittheilung fiel in die Zeit der ersten französischen Revolution, deren Rückschläge auch in Baden fühlbar waren, und es lag nahe, daß man sich derselben gern bediente, ohne sie eingehend zu prüfen. Ja, es währte nicht lange, so erschienen die vierhundert Pforzheimer auf der Bühne. Von jetzt an wurde diese That verherrlicht, durch Zuthaten bereichert, so in der Pforzheimer Chronik von Gehres, der, ohne Quelle zu nennen, Alles in der Schlacht die Flucht ergreifen läßt, nur die Pforzheimer nicht. – Leichtler, in seiner badischen Kriegsverfassung, läßt die vierhundert Pforzheimer bei Ausbruch des Krieges von ihrem Bürgermeister Bertold Deimling zur Musterung auf das Mühlburger Blachfeld führen. – Ernst Münch in seinen Erinnerungen an die Schlacht schreibt: „Vierhundert Bürger aus Pforzheim, welche die Leibwache des Markgrafen bildeten, umschlossen die gefährdete Person des geliebten Fürsten eng und fest, wie eine Mauer, bis er sich in Sicherheit befand, darauf starben sie Alle, Tilly’s Gnade verschmähend, den ehrenvollsten Tod, welchen Helden gestorben sind.“ An dieser letzten Erzählung sieht man deutlich, wie das Unkraut rasch wächst. Der überschwengliche Verfasser vergißt, wie der Markgraf aus der ihn eng umschließenden Mauer hätte herauskommen sollen, denn wäre er darin geblieben, so hätte er mit den Anderen erschlagen werden müssen. Eine Leibwache bildeten die Pforzheimer nicht, worüber weiter unten mehr.

Es muß nun zugestanden werden, daß in der ersten Zeit keine Bedenken gegen diese Angaben auftauchten, sondern daß gerade diese Uebertreibungen dazu dienten, die Sage mehr und mehr zu verherrlichen. Der einst vielgelesene Trommlitz schrieb sogar einen längern geschichtlichen Roman: „Die Vierhundert von Pforzheim“.

Später wollte man am zweihundertsten Jahrestage die That besonders verherrlichen und Großherzog Ludwig von Baden bestellte 1821 eine Commission von drei höheren Officieren, welche die genauesten Recherchen anstellen sollte, die aber trotz aller Mühe kein Material fand, welches die Sage in dem Umfange bestätigte, den sie bereits gewonnen hatte. Einem Mitgliede dieser Commission verdankt Verfasser die eben gemachte Angabe. Diese Commission fand nur den Bericht des „ungenannten Augenzeugen“, welcher sagt: „Das weiße Regiment unter dem Oberst Helmstädt hat sich bis auf den letzten Mann gewehrt, hätte auch die Victorie erhalten, wenn nur die Reiterei Stand gehalten hätte.“

Die Pietät für die Sage war aber bereits so gewachsen, daß, ungeachtet des Resultats, welches die Arbeit der fraglichen Commission hatte, in dem 1824 für die badischen Truppen verfaßten Lesebuche die That der Pforzheimer unter Anderem auch erzählt wird, allerdings mit dem Zusatze, die Pforzheimer Compagnien, welche der Markgraf gewöhnlich zu seiner Leibwache genommen habe, seien in das weiße Regiment eingetheilt worden,[1] dessen Reste, namentlich die treuen Pforzheimer, sich bis auf den letzten Mann in einer Wagenburg vertheidigt hätten, damit der Markgraf nicht in feindliche Hände falle. Als Anführer der Vierhundert wird Bürgermeister Deimling genannt.

Diesen Angaben sieht man nun auf den ersten Blick an, daß man aus Tendenzrücksichten etwas zusammenreimen wollte, was doch nicht zusammen gehört; denn in das weiße Regiment konnte man nur die Fußcompagnie einreihen, nicht aber auch die Reitercompagnie; beide zusammen geben aber nur die vierhundert Mann ab, welche Stadt Pforzheim stellte. Wären diese vierhundert Mann aber eine Leibwache gewesen, so hätte man sie wieder nicht in das weiße Regiment einreihen können. Aber jeder Zweifel löst sich einfach dadurch, daß die Pforzheimer Compagnie von Haus aus stets zum weißen Regiment gehörte, wie weiter unten dargethan werden wird.

In den vierziger Jahren unternahm es nun ein badischer Officier, eine militärische Geschichte des dreißigjährigen Krieges zu schreiben.[2] Als die Darstellung der Schlacht von Wimpfen an ihn herantrat, hatte die mehrbemerkte Sage ihren Rundlauf gemacht und sich überall eingebürgert. Es lag nahe, daß der Officier diesen Kampf möglichst zu verherrlichen suchte, aber da er alle Angaben auch genau zu belegen sich bemühte, so bestrebte er sich, Zutritt zu den alten Quellen zu erhalten; auch wandte er sich an den damaligen Senior der Familie Deimling, um etwa dort befindliches Material zu erhalten.

Auf besondern Befehl des Großherzogs Leopold wurde ihm gestattet, die Manuscriptensammlung in der Hofbibliothek zu benutzen, ferner die Acten im großherzoglichen Landesarchiv, die bis dahin dort wohlversiegelt und unbenutzt lagen. Aus dem Stadtarchiv Heilbronn erhielt er interessante Notizen, und die städtischen Bücher Pforzheims gaben über manche Punkte völlige Aufschlüsse. Doch zur Sache!

Der älteste gleichzeitige Bericht über die Schlacht ist das Schreiben des Secretärs Abel, datirt Durlach den 8. Mai 1622, an den nürnbergschen Stadtoberst von Leubelfingen, „wie es in der Wimpfener Schlacht hergegangen“. Hier finden wir kein Wort über die Pforzheimer. Abel berichtet, daß die Reiterei retirirte, daß die Munitionswagen entzündet worden seien, wobei Oberst von Börslin auf das Jämmerlichste zugerichtet worden wäre, daß die Infanterie – der Bericht macht hier keine Ausnahme – sich aus den Spitzwagen trefflich gewehrt habe, aber durch die Confusion, entstanden durch die Entzündung der Munitionswagen, in Schrecken gerathen wäre und sich endlich „salvirt“ habe. Er sagt ferner: „Von uns sind 600 Mann auf der Wahlstatt geblieben“; wie er das „uns“ auslegt, ist zu erörtern jetzt nicht mehr möglich; ob er nämlich dasselbe auf das ganze Heer, wozu ein Regiment Pfälzer und ein Regiment Württemberger gehörte, oder nur auf den badischen Theil bezieht. Abel nennt endlich mehrere todte und verwundete Officiere, darunter Oberstlieutenant Hunelstein, Balthasar Stein, Lieutenant der Garde. Am 8. Mai zählten die beim Markgrafen wieder eingetroffenen Truppen 8000 Mann zu Fuß und 1500 Mann zu Pferd (es scheinen dieses nur Badenser gewesen zu sein).

Der zweite Bericht von einem ungenannten „Augenzeugen der Wimpfener Schlacht, Datum Heilbronn den 11. Mai 1622“, sagt beiläufig dasselbe; nur bezüglich der Stärke des Heeres hat er andere Angaben, was jedoch nicht hierher gehört. Bezüglich des Schlusses der Schlacht bemerkt er, die Feinde hätten 4 halbe Carthaunen genommen, „darzu denn ihnen sonderlich großen Muth gemacht, weil kurz zuvor dem Durlacher Lager von 5 Wagen mit Pulver, so angezündet worden, ein unaussprechlicher Schaden geschehen; denn das Pulver hat auf 2 Morgen Acker weit scheibenweiß herumb sowohl Menschen, Vieh und Wagen in die Luft gesprengt oder sonst verbrennet und versenget, welches eine jämmerliche Lücke in die Schlachtordnung und Wagenburg gemacht, ist Alles in Unordnung gebracht, erschlagen, gefangen genommen oder in die Flucht geschlagen worden. Der Oberst Helmstott (Helmstädt) hat sich mit

  1. Das ist auch unrichtig. Im Feldzuge 1610 führte der Markgraf seine Leibwache (Garde) in der Stärke von hundert Mann zu Pferde und fünfzig Harkebusieren mit. Im Jahre 1618 und 1620 scheint der Markgraf vorzugsweise mit gewordenen Truppen agirt zu haben, deren er seinerseits nur einige Tausend stellte.
  2. Der Dreißigjährige Krieg, vom militärischen Standpunke beleuchtet von dem großherzoglich badischen Hauptmann – nunmehrigen Generallieutenant a. D. Karl Du Jarrys Freiherrn von La Roche, drei Bände, bei Hurter in Schaffhausen. Ferner von demselben Verfasser: Die Kriegszüge des Markgrafen Georg Friedrich von Baden-Durlach, in der Zeitschrift für Kunst, Wissenschaft und Geschichte des Krieges, Jahrgang 1848, wobei eine Einzelbeschreibung der Schlacht bei Wimpfen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_216.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)