Seite:Die Gartenlaube (1873) 215.JPG

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


All das ist das Werk weniger Augenblicke; jetzt sehen wir den Cylinder mit dem weißen Papier sich zauberhaft schnell um seine Achse drehen; einige Secunden später erscheint Blatt für Blatt nett bedruckt, und im nächsten Augenblicke ist es gefalzt. Diese Maschine ist im Stande, im Verlaufe einer Stunde elftausend Exemplare unseres Morgenblattes oder vierundvierzigtausend Exemplare unseres Abendblattes zu liefern.

In dem einen der Seitensäle befindet sich die Setzerei; an den Regalen ist eine Neuerung angebracht, die schon aus Gesundheits-Gründen mit Freuden zu begrüßen ist und nachahmenswerth erscheint; es ist ein vorspringendes Brett, welches dem Setzer ermöglicht, seine Arbeit im Sitzen zu verrichten. In dem andern Seitensaale ist die Stereotypie und die Seele sämmtlicher Mechanismen des Pavillons – eine sogenannte Wassersäulenmaschine – thätig. Die Haupttriebkraft ist also hier nicht, wie

Der Pavillon der „Neuen Freien Presse“ auf der Wiener Weltausstellung.

anderwärts, der Dampf, sondern das Wasser, wodurch alle die Unannehmlichkeiten, welche Dampfmotoren mit sich zu bringen pflegen, im Interesse der in diesem Hause Arbeitenden sowohl als des Publikums vermieden werden. Auf der dem Weltausstellungspalaste zugekehrten Seite enthält das Erdgeschoß überdies die Localitäten der Expedition.

Im ersten Stockwerke befinden sich die Redactionszimmer, das Sekretariat etc. Die Communication im Hause ist die sachgemäßeste, die man sich denken kann, und es wird den Besuchern gestattet sein, jeden einzelnen Zweig des Gesammtbetriebes aus unmittelbarster Nähe in seiner Thätigkeit zu beobachten. Damit dies, ohne daß irgend eine Störung zu befürchten wäre, geschehen könne, hat man die einzelnen Maschinen mit Galerien umfriedet, welche, während sie für das Publicum gewisse nicht zu überschreitende Schranken bilden, doch so eingerichtet sind, daß sie den Verkehr für die im Hause Beschäftigten nicht hemmen, sondern nach jeder Richtung hin frei halten.

Diejenigen Zuschauer, welche sich damit begnügen, von dem Ruheplatze der das Haus umspannenden Galerie das Getriebe in den Sälen des Erdgeschosses zu belauschen, werden die Empfindung haben, als sähen sie durch die Glastafel eines Bienenkorbes das Walten und Schaffen der fleißigsten aller Insecten vor sich. Da ist bei allem Eifer, bei aller Raschheit, jene ruhige Umsicht, welche bei den Thieren das Ergebniß des tausend und aber tausend Jahre dieselben Pfade weisenden und wandelnden Instinctes, bei den Menschen das Resultat von Erkenntniß, Erfahrung und Charakterbildung ist.

Unter allen Ausstellungsobjecten, welche im Prater zur Schau gestellt werden, dürfte dieser Pavillon eines der interessantesten und lehrreichsten sein. Er wird Jenen, denen auch heute noch die Presse zu schnell im Urtheil, zu wenig genau im Detail ist, die Ueberzeugung beibringen, daß die Journalistik nur deshalb eine solche Macht, ein solch imponirender Factor des öffentlichen Lebens geworden, weil sie mit der Plötzlichkeit der Inspiration arbeitet; jene aber, welche noch immer an das Märchen glauben, die Journalisten seien jemals verlegen um Stoff, werden durch den Augenschein erfahren, daß unsere größte Kunst nicht darin besteht, Alles, was wir erfahren, zu bringen, sondern in dem sicheren Geschmack, der uns aus der Ueberfülle der uns zugehenden Nachrichten, ohne lange zu wählen, stets das Wichtigste aufgreifen das Gleichgültige oder Nichtige aber bei Seite schieben läßt.

Unermüdlich, treffsicher, Alles beachtend – so soll eine große Zeitung sein und so wird sie hoffentlich auch in diesem Pavillon erscheinen.[1]

E. R.



  1. Wir hatten bisher nicht Veranlassung, die Vorarbeiten zur Wiener Weltausstellung unsern Lesern in Bild und Text darzustellen. Dagegen wurden unsererseits Anordnungen getroffen, nach Eröffnung der Ausstellung, wenn auch nicht regelmäßig wiederkehrende Referate, so doch zwanglos erscheinende und lebendig hingeworfene Skizzen über Aussteller, Ausgestelltes, Besucher und Ausstellungs-Freuden und Leiden in den Spalten unseres Blattes zu veröffentlichen.
    Die Redaction der Gartenlaube.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_215.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)