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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

vom Malergriffel, wie von der beschreibenden Feder wiederzugeben. Die Sammlung der in diesem in vierzehn große Unterabtheilungen zerfallenden Flugkäfig gehaltenen Pracht-, Zier- und Singvögel ist einzig in ihrer Art; die luftige Vergitterung gestattet von jeder Seite aus den vollen Durchblick durch den ganzen gewaltigen Raum. Man mag vielleicht einmal noch größere Volièren bauen und die Schaar der gefiederten Insassen bis in das Unberechenbare vervielfältigen – an Zierlichkeit und Anmuth und zugleich an Großartigkeit und Fülle wird dieser Prachtbau stets ein vollgültiges Muster bleiben.

Es würde selbstverständlich den Rahmen dieser Schilderung sprengen, wenn wir alles Das, was hier Beachtens- und Besprechenswerthes sich bietet, erwähnen wollten. Der Farbenreichthum der tropischen Vögel, die Klangfülle der vielen Meister der Gesangeskunst, der kunstvolle Nestbau der seltensten Webervögel, darunter der der seltenen Büffelweber, das Alles im Einzelnen dem Leser vorzuführen, ist schlechterdings unmöglich – gehört doch selbst für den aufmerksamen Liebhaber ein wiederholter Besuch dazu, um sich in diesem bunten Chaos der unaufhörlich durcheinanderschwirrenden lustigen Gesellschaft einigermaßen zurechtzufinden. Dazu schweift der Blick noch unwillkürlich an den kunstvollen umgebenden Felsenwandungen entlang, um hier die ersten Süßwasserbecken, dort Krokodil- und Schildkrötengrotte (B und E der Abbildung), hier die in seltsamster Lage hängenden, in ihren Flügeln wie in einem Mantel eingewickelten Flederhunde, dort Nörz und Flatterhörnchen zu betrachten. Es ist zu viel, um Alles zu sehen, und sucht das Auge wirklich einige besonders hervorragende Gestalten festzuhalten, will es das Flammenkleid des rothen Ibis oder den Atlasschmuck der Glanzdrosseln, das bunte Sammetgefieder der Wittwen- und Webervögel oder das farbige Allerlei der Miniatur-Zierfinken genauer betrachten, dann schwirrt wie auf ein gegebenes Zeichen mit einem Male die nach Tausenden zahlende Schaar empor, gänzlich verändert ist die Scene – und was Du eben gesehen, hat einem andern Bilde Platz gemacht. So von immer neuen Eindrücken gefesselt, gelangen wir um den Flugkäfig herum und blicken auf die in Gruppe F dargestellte Süßwassergalerie.

Doch ehe wir diese betreten, wird unsere Aufmerksamkeit durch Das, was wir vor derselben in dem großen Käfig – rechts auf unserm Bilde F – erblicken, nachhaltigst abgelenkt. Der Schimpanse meint hier den Besucher nicht vorüberlassen zu dürfen, ohne ihn mit einem ausdrucksvollen „Oh! oh! oh!“ zu begrüßen und ihn zu bitten, ihm deshalb nicht etwa böse sein zu wollen, weil er und seine Sippe in den Verdacht der Verwandtschaft mit uns gerathen sind. Mit fast nie losgelassener Decke hinkt er uns entgegen, streckt vertraulich und bittend die menschenähnlichen Hände durch das Gitter und scheint aufmerksam prüfen zu wollen, ob wir seiner Zuneigung wohl werth sind. Sofort aber schwingt er sich an seinem Turngerüste in die Höhe, um uns in den ausgelassensten Capriolen und tollsten Gliederverrenkungen davon zu überzeugen, daß wir wenigstens in der Turnkunst noch sehr viel von ihm lernen können. Wenn wir nicht anderweitig noch mehr zu bewundern hätten, so könnten wir ihm wohl noch ein Stündchen Beobachtungszeit schenken und uns davon überzeugt halten, daß sein urdrolliges Benehmen uns fort und fort ergötzen würde. So aber – noch einen Blick nach links und rückwärts auf die ihre unwiderstehliche Anziehungskraft in immer neuer Großartigkeit bethätigende Volière – und nun betreten wir die bereits genannte Süßwassergalerie (F).

Die Mehrzahl der auf ihrer linken Seite befindlichen Wasserbecken sind zur Aufnahme von Seethieren eingerichtet worden. Auf der rechten Seite noch einmal Vögel, der Reihenfolge, nicht dem Werthe nach die letzten, welche die umfangreiche Sammlung besitzt, denn unsere und die besten amerikanischen Edelsänger, ferner australische Flötenvögel, amerikanische Troupiale, Heher und Tyrannen, sowie die in Gefangenschaft sonst nicht weiter gehaltenen zierlichen Lasurmeisen Sibiriens sind wohl eingehendster Beachtung und Beobachtung werth.

Durften wir bisher in einem nach oben durch luftige Glasdächer abgeschlossenen Felsenkessel zu wandeln glauben, so gewinnt das Bild in dieser Galerie einen wesentlich andern Charakter: ein langer nach beiden Seiten durchbrochener Felsengang nimmt uns auf, und nur seitwärts einfallendes Licht vergönnt das über uns sich dehnende starre Felsengewölbe zu betrachten. Die ersten Becken, für Süßwasserbewohner bestimmt und deshalb unter weniger bekannten auch unsere gewöhnlichsten Flußfische enthaltend, gewähren in ihrer künstlerischen Felsendrapirung und in ihrem reizenden Pflanzenschmuck das anmuthigste Bild, das man auf diesem Gebiete sich vorstellen kann. Sie sind die treffendste Illustration zu der Dichterstrophe: „Ach, wüßtest Du, wie’s Fischlein ist so wohlig auf dem Grund!“ Lachende Freundlichkeit und heiteres Leben ist hier die Devise – und gleich darauf, wie um den Contrast recht scharf hervortreten zu lassen, in den daran sich schließenden Seebecken der Ernst des Meeres und seiner unnahbaren Tiefen! Denn auch der bunte Schmuck der Seerosen, die sich hier gleich in einem der ersten Becken präsentiren, kann doch das geheimnißvolle Etwas nicht ganz verleugnen, das ihre räuberisch auf Beute ausgestreckten Fangarme jeden Augenblick zu bethätigen gewillt sind. Grotesk und unheimlich zugleich treten uns schon hier die langbeinigen abenteuerlichen Seespinnen und Tolkrabben entgegen; in zierlichen Schwimmbewegungen gleitet die sonderbare Gestalt des Störs vorüber, und plump in Form und Wesen meint auch der Dorsch die Bekanntschaft, die wir mit dem „gekochten“ schon wiederholt geschlossen, hier „roh“ sofort erneuern zu müssen.

Wir wandern weiter. Eine schmale Treppe führt links hinauf, eine breite rechts herunter. Es muß wohl die Erinnerung daran sein, daß der Tugendpfad schmal und der Sündenweg breit sein soll, daß so viele Besucher noch immer den unglaublichen Versuch wagen, die halsbrecherische schmale Passage zur Linken erklimmen zu wollen. Lassen wir auf dieser nur die Beamten des Instituts zu ihrem Futterboden gelangen und folgen wir dem breiten, mit stattlichen Pflanzen reich geschmückten Steinpfade zur Rechten in die Treppenhalle, die unsere Abbildung in den Gruppen G und H von der dem Kommenden entgegengesetzten Richtung her zeigt. Gerade vor uns haben wir die letzten für Süßwasserfische bestimmten Becken und die „künstliche Fischzucht“, letztere mit Brehm’schen und Lüer’schen Brutkacheln und Kuffer’schen Bruttiegeln. Die Verschiedenheit dieser Bruteinrichtungen näher zu entwickeln, würde für die vorliegende Schilderung ebensowohl zu weit führen, als wenn wir die künstliche Fischzucht überhaupt sachgemäß besprechen wollten. Hier mag die Mittheilung genügen, daß eingesetzter Laich von Salmoniden – Lachs, Lachs- und Gebirgsforellen etc. – regelmäßig lebensfähige Fischchen zur Entwickelung kommen ließ.

An der Bibergrotte – am Fuße der Treppe links – vorüber blicken wir nunmehr einen dunkeln wenig erhellten Weg entlang, der schließlich in ein Felsenwirrsal zu enden scheint (das Bild G zeigt ihn uns im unteren Gange). Hier ist schon Mancher bedenklich geworden, ob er sich in diesen Schlund hineinwagen soll; das wohlgemeinte „Vor Taschendieben wird gewarnt!“ ist an dieser Stelle auch nicht gerade geeignet, den sinkenden Muth zu heben. Nun, einen Blick wenigstens in das erste Seebecken rechts – hier ist es ja noch nicht völlig dunkel, und der Anblick ist mehr als verlockend: Fische im silberleuchtenden Schuppenkleid mit goldenen Längsstreifen, andere mit seltsamen Hörnern über den Augen – das verdient doch wohl nähere Betrachtung. Gewiß! denn nicht viele Aquarien können sich rühmen, die Goldstrichbrasse, die ihres Wohlgeschmackes wegen berühmte Aurata der Alten, den Chrysophrys des Aelian, und die gleichfalls dem Mittelmeere angehörigen Hörnerfischchen dauernd zu halten. Die Scheu vor der Dunkelheit im Gange ist überwunden; das Seewasser ist so krystallklar, die zierlichen Fische darin sind so munter – so laßt uns denn zum nächsten Becken treten. „Es ist gar nichts darin!“ tönt es uns von einem Besucher entgegen, der lange Zeit davor gestanden, ohne etwas entdecken zu können. Von Natur skeptisch, will Jeder selbst „Nichts“ mit eigenen Augen sehen – das ist aber doch kein Felsstück hier an der Seite? Behüte, es athmet ja, es löst sich los und hinein in’s Becken schwimmt ein durch Schönheit keineswegs excellirendes Geschöpf, ein ungeschlachtes Ungethüm, das fast so dick wie lang erscheint. Ein Seehase ist es, von den Fischern Lump genannt, weil er mehr Gräten hat, als zum Genusse dienlich sind; und da noch einer – und noch einer, und plötzlich beginnt der ganze Boden des Beckens zu wimmeln, die Schollen – Flundern, Steinbutt, Seezunge –, die es enthält,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_169.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)