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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Schaustellungen für Braid die erste Veranlassung zu seinen Untersuchungen geworden waren, nicht ohne Animosität auf’s Lauteste dagegen protestirte, daß der „Hypnotismus“ oder „Braidismus“ mit seinem „Mesmerismus“ identisch sei.

Leider kam noch dazu, daß Braid selbst, im weiteren Verlaufe seiner Beschäftigung mit diesen heiklen Dingen, seine anfängliche Nüchternheit und wissenschaftliche Strenge als Forscher allmählich eingebüßt zu haben scheint, und daß bald darauf, seit 1848, der Amerikaner M. Grimes mit seiner „Electro-Biologie“ hervortrat und jene intellectuelle Epidemie der Mediumwirthschaft und des ganzen spiritistischen Spuks hereinbrach, welche wir staunend miterlebten und fast alle Welt mehr oder weniger unheilbar ergreifen sahen! Da war es wohl kein Wunder, daß auch der Hypnotismus oder Braidismus in Mißcredit gerieth und von der Wissenschaft unbeachtet blieb.

Nur einmal, im Anfang der sechsziger Jahre, fesselte er, freilich nur sehr vorübergehend, das ernste wissenschaftliche Interesse, nachdem nämlich im December 1859 Velpeau und Broca, zwei angesehene französische Chirurgen, der Société de Chirurgie in Paris ihren das ungeheuerste Aufsehen erregenden Bericht über eine schmerzhafte Operation erstattet hatten, welche sie an einer nach Braid’s Verfahren in den hypnotischen Zustand versetzten vierundzwanzigjährigen Frauensperson ausgeführt hatten, ohne derselben den geringsten Schmerz verursacht zu haben. Damals wurde in den Journalen auch vielfach der Versuche über „Hypnotisation“ der Hühner gedacht, deren Beschreibung sich schon in einem Werke des Pater Kircher gefunden hätte!

Allein, charakteristisch genug für die nur nach praktischer Verwerthung der wiederverkündeten frohen Botschaft jagende Hast jener Tage – auch damals hat sich meines Wissens Niemand mit der Untersuchung des alten Kircher’schen experimentum mirabile ernstlich befaßt und nachzuweisen gesucht, daß es sich dabei in der That um echte hypnotische Zustände handelt, obschon dies doch von einleuchtender Bedeutung für die wissenschaftliche Lösung der damals brennenden Frage vom Hypnotismus überhaupt gewesen wäre, da man einerseits bei Thieren vor jedem Gedanken an Betrug und absichtliche Täuschung sicher ist, andererseits aber alle Hülfsmittel der exacten physiologischen Forschung – bis zu vivisectorischen Eingriffen – in Anwendung bringen kann, um das eigentliche Wesen der diesen wunderbaren Erscheinungen zu Grunde liegenden materiellen Veränderungen zu ergründen. Dieser Nachweis des Vorkommens echter hypnotischer Erscheinungen bei Thieren ist nun das vorläufige wissenschaftliche Endresultat meiner soeben mitgetheilten Beobachtungen und Versuche, welche ich noch weiter zu verfolgen und namentlich auch auf Säugethiere, an denen ich noch nicht experimentirte, auszudehnen gedenke. –

Dieselben haben aber für uns noch ein anderes Interesse. Sie haben uns schlagend gezeigt, wie schwer es ist, aus dem trügerischen Gebiete der „ungenau beobachteten“ Thatsache heraus auf den festen sicheren Boden wirklich thatsächlichen Geschehens zu gelangen; sie haben uns ferner gezeigt, welche Umsicht, welche Strenge des Beweises, welche Schärfe der Kritik die naturwissenschaftliche Forschung unbedingt fordern muß, wenn es sich um die Auffindung und Constatirung von Thatsachen handelt – und endlich haben sie jeden Einsichtigen erkennen lassen müssen, wie wenig Gewicht das aufrichtigste Zeugniß der glaubwürdigsten und ehrenhaftesten Personen für die Wissenschaft haben kann, wenn jene Personen – trotz aller Ehrenhaftigkeit und aller sonstigen, vielleicht selbst naturwissenschaftlichen Bildung – vom Geiste der exacten Naturforschung doch nicht wirklich und nicht völlig durchdrungen sind.

Ist aber diese überhaupt nie zu vernachlässigende Vorsicht bei der Werthschätzung von Berichterstattungen und Zeugnissen, namentlich über solche thatsächliche Erscheinungen, welche aus dem Rahmen der gewöhnlichen Naturvorgänge herauszutreten scheinen, schon dann besonders gerechtfertigt, wenn, wie bei hypnotischen Zuständen der Thiere, jede Spur eines Verdachtes von absichtlicher Täuschung und Betrug ausgeschlossen ist: um wieviel mehr ist dann selbstverständlich Zweifel, Zurückhaltung und Ablehnung unabweisliches Gebot und Pflicht, wenn es sich um Erscheinungsgebiete handelt, welche einerseits dem ganzen bisherigen sicheren Besitz der Wissenschaft Hohn sprechen, andererseits nicht nur dem Verdacht, sondern, zuweilen wenigstens, notorisch einem wirklichen Hineinspielen von absichtlicher Täuschung und Betrug unterliegen! Dieses letzteren, zwiefach bedenklichen Charakters erfreuen sich nun aber, wie jeder Besonnene zugeben muß, zweifellos die von Tausenden von Augen- und Ohrenzeugen berichteten und für wirklich gehaltenen Erscheinungen im Gebiete des Mesmerismus, der Hellseherei, des Spiritismus, der Geistermanifestationen etc.

Indessen, die strenge Naturwissenschaft, als eine Erfahrungswissenschaft, entscheidet sich niemals a priori, und der angedeutete, zwiefach bedenkliche Charakter an sich würde die Wissenschaft niemals abhalten, Erscheinungsgebiete solchen Charakters ernstlich in den Bereich ihrer Forschung und Prüfung zu ziehen – und dennoch verhält sich die Wissenschaft unserer Tage gegenüber dem Spiritismus und den verwandten Gebieten in jeder Hinsicht absolut ablehnend! Sollten etwa die leidenschaftlichen Anklagen und Vorwürfe, welchen die Vertreter der Wissenschaft und die Wissenschaft selbst, eben wegen ihres bisher unerschütterten, absolut ablehnenden Verhaltens, von Seiten der zahllosen fanatischen Bearbeiter und Gläubigen dieser mysteriösen Gebiete fortwährend ausgesetzt sind, am Ende doch nicht ganz unberechtigt sein?

Keineswegs!

Es wird mir leicht sein, vor Ihrem Urtheil, meine hochverehrten Anwesenden, nach Allem, was Sie hier gesehen und gehört haben, die viel verketzerte Haltung der Wissenschaft und ihrer echten Vertreter vollkommen zu rechtfertigen, oder doch zu erklären und zu entschuldigen, jene Vorwürfe und Anklagen aber einmal gebührend zurückzuweisen und abzufertigen. – Ich glaubte mich dieser undankbaren Aufgabe, als einer Pflicht meiner besonderen Berufsthätigkeit in diesen der Verbreitung wahrer Aufklärung errichteten Räumen, um so weniger entziehen zu dürfen, als mich das Thema meiner vorgeführten wissenschaftlichen Untersuchung so nahe an jene Gebiete herangeführt hat, auf denen Leichtgläubigkeit, Aberglaube, Urtheilslosigkeit – und oft noch Schlimmeres dominiren. „Undankbar“ nannte ich die Aufgabe, weil man sich Potenzen gegenüber befindet, gegen welche, wie das Sprüchwort sagt, „Götter selbst vergebens kämpfen“.

Immerhin! Die geringe Hoffnung, oder vielmehr die begründete Hoffnungslosigkeit, Besonnenheit und Vernunft mit einigem Erfolg zu predigen, das heißt Verirrte auf den rechten Weg zurückzuführen, Unkundige vor Irrwegen zu bewahren, die in ihrer Selbstüberschätzung und Verblendung durch die unwiderstehliche Macht der ungenau beobachteten Thatsache keiner Führung, keines Rathes zu bedürfen meinen, kann mich nicht abhalten, meine Pflicht zu thun. Die Genugthuung darf ich mir jedoch von vornherein versprechen, daß alle nüchternen Vertreter der Naturwissenschaft – ohne Ausnahme – mit meinen Bemerkungen, welche ich übrigens, schon zu meiner Sicherstellung gegen absichtliche oder mißverständliche Entstellungen, demnächst publiciren werde, völlig übereinstimmen werden. Ich bin mir klar und voll bewußt, daß ich im Sinne und im Namen der strengen Naturwissenschaft spreche.

So hören Sie denn, meine hochverehrten Anwesenden, was ich zu sagen habe, und machen Sie sich davon für Ihr ferneres Verhalten gegenüber den Lockungen vielleicht allzu lieb gewordener Beschäftigungen so viel zu Nutze, wie der ernsten und ruhigen Ueberlegung und Prüfung, die Sie nur immer aufbieten können, irgend möglich sein wird! –

Diejenigen, welche auf den fraglichen, durch den Reiz des Geheimnißvollen und Wunderbaren anziehenden und bestrickenden Gebieten thätig sind, lassen sich in zwei Hauptclassen bringen. – Die eine Classe wird von Menschen gebildet, welchen es gar nicht um die Constatirung und Erforschung der angeblichen wunderbaren „Thatsachen“ ernst und ehrlich zu thun ist, sondern die aus irgendwelchen mehr oder weniger unlauteren oder auch harmlosen Motiven zur Betheiligung an diesen Dingen getrieben werden. Hierher gehören die frivolen Zeitvertreib oder materiellen Gewinn Suchenden, also jene Berufslosen, die sich mit einem eitlen Nimbus umgeben und die Zeit mit scheinbar bedeutsamer Geschäftigkeit todtschlagen wollen, ferner die mehr oder weniger bewußten Charlatane, die betrogenen Betrüger und die Betrüger schlechthin. Von diesem Gelichter brauche ich hier nicht weiter zu sprechen!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_161.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)