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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Ueber Hypnotismus bei Thieren,

nebst gelegentlichen Bemerkungen über Naturwissenschaft und Spiritismus, Geistermanifestationen u. dergl.
Von Prof. Joh. Czermak.
(Fortsetzung des zweiten Vortrages.)

Doch lassen Sie mich, meine hochverehrten Anwesenden, eilen, Ihnen darzulegen, daß man bei dem höchst auffallenden und eigenthümlichen Einfluß, den das Vorhalten des Fingers auf die Tauben thatsächlich ausübt, vernünftiger Weise auch nicht entfernt an mystische Agentien, wie thierischen Magnetismus, Od etc. denken dürfe oder gar müsse, Agentien, welche irgendwie aus der lebendigen Organisation des Experimentators herbeifließen und etwa von dem vorgehaltenen Finger ausstrahlen sollen; eine Glaskugel, ein Korkstöpsel, eine kleine Wachskerze, oder sonst ein unverdächtiger, gleichgültiger, lebloser Gegenstand, der auf einem passenden Gestelle befestigt oder der Taube geradezu auf die Stirnschnabelwurzelgegend festgeklebt wird, thut genau dieselben Zauberdienste, wie der Finger der Menschenhand, nur muß man natürlich dafür sorgen, daß das Thier irgendwie, zum Beispiel durch vorhergehende sanfte Ueberwältigung, in die Stimmung versetzt wird, Blick und Aufmerksamkeit längere Zeit auf den Gegenstand zu fixiren, daß, mit einem Wort, sein Gehirn „anbeißt“. –

Ich habe Tauben, ganz freigelassen, minutenlang mit offenen Augen, welche sich dann allmählich wie schlaftrunken schlossen, regungslos sitzen bleiben sehen, nachdem ich ihnen, statt des vorgehaltenen Fingers, ein Zündhölzchen oder ein Wachskerzchen quer auf die Schnabelwurzel geklebt hatte.

Auch mit Hühnern gelingen diese Versuche oft in ganz überraschender Weise. So habe ich wiederholt Hühner, deren Hals und Kopf frei und unberührt blieb, zwischen beiden Händen am Rumpfe gefaßt, mit sanfter Gewalt in die hockende Stellung niedergedrückt und gegen ein Gestell herangeschoben, an welchem zum Beispiel eine kaum wallnußgroße Glaskugel in solcher Höhe befestigt war, daß sie ganz knapp über die Schnabelwurzel des Hühnerkopfes zu stehen kam. Ganz freigelassen, blieb das Thier dann minutenlang, regungslos die Glaskugel anstarrend, sitzen. Dasselbe geschah, wenn ich dem Blicke des Huhnes statt der auf dem Gestell befestigten Glaskugel einen Korkstöpsel darbot, den ich ihm flink auf die Schnabelwurzel festgeklebt hatte.

Endlich will ich noch erwähnen, daß ich den niedergehaltenen Hühnern auch ein kurzes Stück Bindfaden oder ein geknicktes Holzstäbchen, ein hufeisenförmig ausgeschnittenes Stück Pappe, wie ein „Reiterlein“ quer über den Kamm hängte, so daß die Enden dieser Körper knapp vor den Augen herabhingen, und zwar erwähne ich diese Versuche besonders, weil es sich bei denselben ereignete, daß die freigelassenen Hühner nicht nur minutenlang regungslos sitzen blieben, sondern die Augen schlossen und geradezu einschliefen, wobei der Kopf bis zur Berührung der Schnabelspitze mit der Tischplatte herabsank und die Glieder sich in Erschlaffung lösten.

Noch bevor die Hühner einschliefen, konnte bisweilen ihr Kopf durch einen sanften Druck auf den Scheitel nach unten gedrückt oder umgekehrt hoch emporgehoben werden und verblieb dann starr in der gegebenen Stellung, wie wenn er auf einem Halse von Wachs säße. Das ist aber ein Symptom des sogenannten kataleptischen Zustandes, wie er auch beim Menschen unter pathologischen Verhältnissen des Nervensystems und beim sogenannten „Hypnotismus“ beobachtet wird.

Nachdem ich die eben mitgetheilten und theilweise vorgeführten Thatsachen bei den Tauben und Hühnern entdeckt hatte, war mir nun sofort zweierlei klar:

Erstens, daß das Ziehen des Kreidestrichs im Kircher’schen Experiment allerdings etwas und – was es zu bedeuten habe; – es giebt die die Kreide führende Hand und der gezogene Strich ein Object ab, auf welches das Thier den Blick und die Aufmerksamkeit richtet, durch welche Anstrengung allein schon ein räthselhaft veränderter Zustand der Leistungsfähigkeit gewisser Theile des animalen Nervensystems hervorgerufen werden, von kataleptischen Erscheinungen begleitet sein und in Schlaf übergehen kann; und

zweitens, daß es somit, wie man zwar schon längst vermuthet und sogar ausgesprochen, bisher aber noch niemals genauer untersucht und erwiesen hat, thatsächlich auch bei Thieren echte sogenannte „hypnotische“ (von ὕπνος der Schlaf) Erscheinungen giebt; das heißt jene eigenthümlichen und räthselhaften, schlafähnlichen, mitunter von kataleptischen Erscheinungen begleiteten und in Schlaf übergehenden Verstimmungen oder Alterationen des Nervensystems, welche bei manchen Menschen eben durch einfache, gespannte Fixirung des Blickes auf einen gleichgültigen kleinen Gegenstand und durch Concentration des Willens, behufs der Ablenkung der Aufmerksamkeit von den bunt wechselnden Eindrücken der Außenwelt auf den gleichförmigen Zustand des unverwandten Blickes oder einer sonstigen monotonen Action oder Wahrnehmung hervorgerufen werden können.

Es ist bekannt, daß im Jahre 1841 M. Braid, ein schottischer, in Manchester etablirter Chirurg, welcher den öffentlichen „mesmerischen“ Schaustellungen des „Magnetiseurs“ Lafontaine beigewohnt hatte, zuerst auf die Idee kam, daß die als Wirkungen eines mysteriösen, sogenannten magnetischen Fluidums proclamirten und producirten sonderbaren Erscheinungen wohl nur eine ganz natürliche Folge der Starrheit des Blickes und der intensiven Abstraction der Aufmerksamkeit sein könnten, welche sich bei den Versuchsindividuen unter den monotonen Manipulationen des Magnetiseurs einzustellen pflegen.

M. Braid bewies in der That durch seine Versuche die völlige Entbehrlichkeit eines sogenannten Magnetiseurs und seines vermeintlichen, durch gewisse Manipulationen von ihm aus- und überströmenden, geheimnißvollen Agens oder Fluidums; er lehrte nämlich die dafür empfänglichen Versuchsindividuen sich selbst willkürlich in jene sogenannten magnetischen, schlafartigen Zustände einfach dadurch versetzen, daß sie einen beliebigen, leblosen Gegenstand mit gespannter Aufmerksamkeit und unverwandtem Blicke längere Zeit fixirten. Es ist hiernach klar, daß der durch die Starrheit des Blickes und durch die Abstraction der Aufmerksamkeit in einem Theile des Gehirns willkürlich hervorrufbare Zustand der Nervenelemente jene anderen Hirntheile in Mitleidenschaft zieht und in ihrer Function verändert, an deren normale Thätigkeit die Erscheinungen des Willens und der Intelligenz geknüpft sind. Dies ist der thatsächliche, natürliche, physiologische Zusammenhang dieser mysteriösen Erscheinungen, nur bleibt noch zu ermitteln, welche Gehirntheile primär und secundär dabei betheiligt sind und verändert werden, und worin diese Veränderungen eigentlich bestehen.

Nach Braid’s Bericht hatten sich zum Beispiel bei einer Gelegenheit, in Gegenwart von achthundert Personen, zehn von vierzehn erwachsenen Männern durch dieses einfache Verfahren in hypnotische Zustände versetzt.

Alle hatten den Versuch zu gleicher Zeit begonnen; die Einen, indem sie die Augen auf einen an ihrer Stirn vorspringenden befestigten Kork richteten, die Anderen, indem sie mit ihrem Blick beliebig gewählte, feste Punkte im Versammlungslocal fixirten.

Schon nach zehn Minuten hatten sich die Augenlider dieser zehn Personen unwillkürlich geschlossen. Bei Einigen blieb dabei das Bewußtsein erhalten, Andere waren in Katalepsie und vollständige Unempfindlichkeit gegen Nadelstiche verfallen, Andere endlich wußten beim Erwachen von Allem, was während ihres Schlafes mit ihnen geschehen war, absolut nichts. Ja noch mehr, drei Personen aus der Zuhörerschaft fanden sich ebenfalls eingeschlafen, indem sie ohne Wissen Braid’s das angegebene Verfahren befolgt hatten, welches einfach darin bestand, den Blick starr und unverwandt auf einen Punkt im Versammlungslocale zu richten.

Braid’s Versuche, welche als der erste Anfang einer nüchternen, wissenschaftlichen Untersuchung äußerst verwickelter und mit Recht verdächtiger Nervenerscheinungen zu bezeichnen sind, fanden damals nicht jene bleibende Beachtung und Würdigung, welche sie verdienten, und geriethen bald in Vergessenheit; – was sich aus ihrer unliebsamen Verquickung mit dem Mesmerismus sattsam erklärt, obschon gerade jener Lafontaine, dessen „magnetische“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_160.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)