Seite:Die Gartenlaube (1873) 095.JPG

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

„Ich kann es nicht begreifen, Major,“ wandte ich mich nach einer Pause an den Agenten, „daß Sie hier oben so ruhig sein können, nachdem fast alle waffenfähigen Weißen in die neuen Regimenter eingetreten sind und die an sich nie starke Besatzung des Forts auf kaum hundert Mann reducirt worden ist. Fürchten Sie nicht, daß die Indianer dies zu Unordnungen und Raufereien aller Art benutzen werden?“

„Ihre Befürchtungen, mein lieber Herr,“ erwiderte der Agent, „mögen scheinbar nicht ganz unbegründet sein; doch glaube ich zuversichtlich, daß die Indianer sich ruhig verhalten werden; die gewöhnlichen Demonstrationen und auch wohl Drohungen abgerechnet, an die wir schon längst gewöhnt sind, wenn die Zeit der Vertheilung ihrer Jahrgelder herbeirückt. Da giebt’s immer mehr oder weniger Lärm, Unzufriedenheit mit den Agenten, besonders unter den ‚Blanket Indians‘, wenn sie sehen, daß die ‚Civilisirten‘ manche Vortheile genießen, oder Klagen über die Händler, von denen sie leider nur zu oft betrogen werden. Aber der Sturm legt sich in der Regel bald, und in einigen Wochen ist von der Aufregung wenig oder nichts mehr zu spüren.“

„In Bezug auf den letztern Punkt haben die Indianer auch Ursache zu klagen,“ fiel hier der Missionar, Herr R., ein. „Ueberhaupt müssen Sie zugeben, Major, daß sich unsere ganzen Indianerschwierigkeiten mehr oder weniger zurückführen lassen auf die schmähliche Behandlung, die sie seit ihrer Berührung mit den Trägern der Civilisation von denselben zu erdulden gehabt haben. Wer gab dem weißen Manne das Recht, seinem rothen Bruder das Land zu rauben, das derselbe seit Jahrhunderten besessen? wer das Recht, ihn mit den Waffen in der Hand von dem geheiligten Boden seiner Vorfahren, von den geweihten Grabstätten seiner Väter zu vertreiben? Womit kann unsere Race sich rechtfertigen gegen die Anklage, daß sie zugleich mit den Segnungen der Civilisation dem Indianer auch alle ihre Laster nicht nur nahe gebracht, sondern förmlich aufgedrungen hat? Wer brachte ihm das Feuerwasser, das seine ohnehin wilde Natur unbezähmbar macht? Wer betrog ihn in Handel und Wandel, im Großen wie im Kleinen? und wer entgegnete ihm, wenn er klagte und Recht suchte, mit Hohn und Verachtung? Derselbe, der vorgab, ihn erheben, ihn besser machen zu wollen, und auf den der einfache Sohn der Wildniß mit Verachtung und endlich mit Haß und Wuth blicken lernte. Und das Alles hat die Regierung gewußt, all’ dem hat sie zugesehen, ohne einen ernstlichen Versuch gemacht zu haben, dem Uebel abzuhelfen und vor Allem gegen untreue Beamte mit unnachsichtlicher Strenge zu verfahren. Ich weiß, Major, daß Sie mir Recht geben müssen, um so mehr, da Sie, seit Sie mit der Agentur betraut sind, mit so unermüdlichem Eifer und so seltener Treue Ihr schweres Amt zum wahren Wohle der Indianer verwaltet und schon so viel gethan haben, um alles Unrecht wieder gut zu machen.“

„Und wofür unser guter Major seinen Lohn einst auf gut Indianisch ausgezahlt bekommen wird,“ fiel hier der Doctor lachend ein. „Und Ihnen, lieber R., wünsche ich nur, daß Ihre idealen Theorien nicht einmal auf allzu grausame Weise zerstört werden mögen. Sie müssen nämlich wissen,“ fuhr er fort, indem er sich gegen mich wandte, „daß die Rothhäute in unseres würdigen Freundes Augen nun einmal seine Brüder sind, von denen er nicht lassen will, auch wenn sie sich noch so sehr gegen die Aeußerungen seiner Liebe sträuben. Da sind wir nun in dem Punkte beständig auf dem Kriegspfade gegen einander. Ich bin der unumwundenen Ansicht, daß der Weiße und die Rothhaut nicht nebeneinander existiren können; eine von beiden Racen muß untergehen; dies ist eine Naturnothwendigkeit. Und wer soll da siegen? Der Weiße, der mit all’ seinen Fehlern doch nun einmal der Träger der Cultur ist, oder der Wilde, der sich nicht civilisiren lassen will, der, von Natur wild, blutdürstig, treulos und unzähmbar, seinem sogenannten Unterdrücker ewige Rache geschworen hat, und der darum, wie die reißenden Thiere der Wildniß, je schneller je lieber ausgerottet werden muß? Erst wenn die Rothhaut verschwunden ist, wird der redliche fleißige Pionnier der Frucht seiner sauren Arbeit sich in Frieden freuen können.“

„Ich leugne keineswegs die Anschuldigungen, welche Herr R. gegen die Weißen erhebt,“ erwiderte der Major; „sie sind leider nur zu wohl begründet. Ebenso stimme ich mit unserem Doctor darin überein, daß beide Racen auf die Dauer nicht nebeneinander bestehen werden, sondern daß die rothe eventuell verschwinden wird. Aber freilich behaupte ich, daß die Feindseligkeiten zwischen beiden nicht zu vermeiden sind, sondern auf einer, wie der Doctor auch sagt, Naturnothwendigkeit beruhen. Als vor mehr als zweihundert Jahren europäische Cultur dies Land betrat, fanden die neuen Ansiedler ein Geschlecht vor, das zwar manche mildere Züge der menschlichen Natur zeigte, im Ganzen genommen aber ein trauriges Bild der Rohheit und Versunkenheit der wildesten Mitglieder der großen Völkerfamilie darbot. Die edeln und großartigen Eigenschaften, die dem Indianer von unwissenden oder unwahren Poeten und Romanschreibern zugeschrieben worden sind, existirten und existiren nicht. Sie finden auf die Indianer als Volk gar keine Anwendung; der Indianer befindet sich so ziemlich auf der niedrigsten Stufe der Barbarei. Aus dieser so ganz verschiedenen Culturstufe beider Racen entwickelte sich der Conflict zwischen Cultur und Barbarei, zwischen Intelligenz und Unwissenheit, oder was hier wenigstens im Grunde dasselbe, ist, zwischen Recht und Unrecht. Und hier behaupte ich: wären in diesem Conflicte auch nie andere Waffen als die des Geistes gebraucht worden, wäre auch nie ein Tropfen Blut geflossen, das Resultat würde doch dasselbe sein. Die niedrige Race muß entweder, feindlich kämpfend, vor der höheren zurückweichen, oder wenn sie unter dieselbe sich beugt, als eine durch Sitten, Gebräuche und Einrichtungen verschiedene Menschenrasse verschwinden, indem sie sich allmählich auf friedliche Weise mit der höheren amalgamirt. Und hier liegt die Grundursache aller der blutigen Kämpfe zwischen dem Europäer und dem Indianer: es ist die eingefleischte und unausrottbare Feindschaft der Wilden gegen die Reform.“

„In diesem Kampfe,“ fuhr der Redende fort, „hat der weiße Mann das Recht auf seiner Seite. Das Gebot Gottes an den Menschen, ‚die Erde zu füllen und sie sich unterthan zu machen‘, ist zugleich ein Naturgesetz. Hier stand nun auf der einen Seite der Träger der Cultur, bereit, überall, wo er seinen Fuß hinsetzte, dies Gesetz zu erfüllen; auf der andern Seite der Barbar, der von jeher der Ausführung desselben widerstanden hatte. Der Indianer, im jahrhundertelangen Besitze eines herrlichen Continents, hatte nichts gethan, denselben aus dem Zustande einer unwirtlichen Wildniß zu erheben, oder sich selbst aus der Rohheit eines faulen Jagd- oder blutigen Kriegslebens herausbringen; er hatte sich seiner Aufgabe unfähig gezeigt und dadurch seinen Besitztitel verwirkt. Der Weiße kam, bereit, jenes Gesetz zu erfüllen, und in dieser Bereitschaft lag sein Recht, das Land in Besitz zu nehmen und es der Civilisation zu öffnen, den des segenbringenden Pfluges harrenden Boden zu unterjochen und das Land mit Licht und Recht, mit Frieden und Wohlstand zu erfüllen, es zu einem Paradiese umzuwandeln, in welchem Millionen eine Zufluchtsstätte finden und in dem die Freiheit ihren hehren Tempel errichten sollte. Diese erhabene Aufgabe gab und giebt uns das Recht, den zügellosen Wilden, der sich nicht beugen will, in Grenzen zu bannen, ihn unschädlich zu machen; und das Bewußtsein von diesem Rechte, das der Letztere, wie ich glaube, wenigstens dunkel hat, wirkt auf seine unbeugsame Natur wie ein Stachel, der ihn immer auf’s Neue zum Widerstande anspornt, bis er endlich in dem ungleichen Kampfe untergeht. Dies ist meine Ansicht von der Sache. Zufällige Anstöße mögen immerhin die einzelnen Ausbrüche von Feindseligkeiten hervorgerufen haben; in jenem Grundconflict zwischen Cultur und Barbarei, zwischen Recht und Unrecht liegt die tiefere Ursache. Wäre dieser nicht da, so würden, trotz aller verkehrten Behandlung in einzelnen Fällen, alle Schwierigkeiten längst beseitigt worden sein.“

„So sprechen Sie also dem Indianer die Fähigkeit ab, seine Natur zu ändern und sich der Civilisation zu unterwerfen?“ bemerkte der Missionär.

„Im Ganzen genommen, ja,“ antwortete der Major; „ich glaube, die Erfahrungen der meisten, welche die Natur desselben kennen, stimmen darin überein, daß die Indianer als Volk nie die ersten Bedingungen der Civilisation erfüllen werden: ihr unstätes Leben aufzugeben und sich an die Scholle zu binden, aus rohen Jägern ruhige Ackerbauer oder Handwerker zu werden, und daß sie also auch nie fähig werden können, Bürger eines freien Culturstaates zu werden. Was ihre Christianisirung betrifft, so denke ich, lieber Herr R., daß Ihre eigene dreißigjährige Erfahrung

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_095.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)