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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Zahl, hatte in’s Gefängniß werfen lassen, fühlte sich der Handelsstand der großen Lagunenstadt auf das Aergste gekränkt. Sie beschlossen, die Niederlage ihrer Waaren und die Abrechnung mit ihren deutschen Geschäftsfreunden an einen andern Ort zu verlegen, der nicht allzu weit von wälschen Gauen entfernt wäre. Von Tirol, das hierbei zunächst in Frage kam, wollten sie in ihrem Zorne nichts mehr wissen, konnten sich aber nicht zu weit von den Hauptverkehrswegen nach Deutschland entfernen. Da wählten sie das hart an den Tiroler Grenzsteinen gelegene Mittenwald, über welches ohnehin zu jener Zeit schon manche Maulthierkarawane gen Wälschland zog, weil die Wege über den Fern und den Finstermünzpaß noch nicht eröffnet waren. So brach für Mittenwald eine goldene Zeit an, von der sich noch manche Erinnerung in reichen Stiftungen und Bauten erhalten hat.

Mochte nun aber Mittenwald den reichen Venedigern auf die Dauer doch zu entfernt liegen, oder was sonst der Grund gewesen sein mag – genug die Mittenwalder Herrlichkeit nahm ihr Ende, nachdem sie immerhin hundertundzweiundneunzig Jahre gedauert hatte. Im Jahre 1679 wurde der große wälsche Markt wieder an seinen frühern Ort zurückverlegt.

Um eben diese Zeit nun brachte erwähnter Mathias Klotz seine Kunst von Absam nach Mittenwald, und die Noth schaffte ihm gelehrige Schüler. So wurde aus dem baierischen Marktflecken in kurzer Zeit ein deutsches Cremona, freilich ein Cremona ohne „Torrazzo“, ohne Kathedralen im lombardischen Styl, ohne Paläste mit Marmor und Götterbildern, aber in der Fabrikation der besten Geigen bald so berühmt wie jenes stolze Cremona am Po. Die fertige Waare wurde jedoch damals nicht, wie heute, durch die Post und durch die Boten, welche ihre Kisten den Spediteuren bringen, mittelbar nach Constantinopel und Kalifornien (die Ganges-Länder und Amerika sind jetzt den Mittenwaldern die Hauptmärkte) befördert, sondern gleich den geschnitzten Figuren der Tiroler Kraxenträger auf Tragkörben herumgeschleppt. Meist waren es die Verfertiger selbst, welche ihre Geigen, Baßgeigen und Guitarren in „Butten“ auf dem Rücken feilboten und dabei natürlich nicht sonderlich weit kamen, schwerlich viel über die anstoßenden Gebiete von Baiern, Tirol und der Schweiz hinaus.

So ging es etwas mehr als ein halbes Jahrhundert fort. Die Mittenwalder bearbeiteten fleißig ihre Haselfichten und trugen ihre Waaren in der Welt, besonders an den gastfreundlichen und musikliebenden Klöstern anklopfend, herum; ihre Thätigkeit wäre aber bei alledem eine dunkele geblieben, gleich der Bildschnitzerei so vieler armen Thäler, wenn nicht betriebsamere Köpfe unter ihnen aufgestanden wären, die auf den Einfall geriethen, sich nach weiteren Absatzgebieten umzuschauen.

Von 1730 an unternahm Johann Neuner und seit 1762 dessen Sohn Mathias Neuner Reisen, und namentlich von Mathias Neuner ist bekannt, daß derselbe längere Zeit als Geigenmacher in London lebte und zur Ausbreitung seines Geschäftsbetriebes große Reisen, bis in das tiefe Rußland hinein, unternahm. Nicht immer waren diese Männer von Glück begünstigt, so daß Mathias einmal von einer langwierigen, mühevollen Reise in Rußland nur einen einzigen Dukaten nach Haus brachte. Heutzutage hat der Hausirhandel fast gänzlich aufgehört und wird der Vertrieb der Waaren, welche der Mittenwalder Fleiß hervorbringt, nahezu ausschließlich von zwei Häusern, den Nachkommen der obengenannten Männer, Neuner und Hornsteiner, sowie von dem Hause Johann Anton Bader besorgt.

Diese Häuser „verlegen“, das heißt das Geschäft wird kaufmännisch betrieben, indem die genannten Geschäftsleute den Arbeitern ihre Erzeugnisse regelmäßig um einen fest bestimmten Preis abnehmen, dieselben in ihre Magazine stellen und den Verschleiß auf eigene Rechnung und Gefahr besorgen. Sehr anziehend ist ein Besuch im Neuner’schen Comptoir und Magazin. Tausende von Musik-, Saiteninstrumenten jeder Art füllen die weiten Räume, ihrer Fortschaffung harrend, um immerwährend durch andere ersetzt zu werden. Aus Asien und Amerika bringt der Postbote so viele Bestellbriefe in’s Haus, daß nur eine beschränkte Anzahl derselben berücksichtigt werden kann, und merkwürdig ist es zu sehen, wie der Geschäftsgeist der kundigen Verleger den verschiedenen Völkern ihren Geschmack abgelauscht hat, wie man die Zeichnungen und Masern im Holze kennt, welche der Yankee liebt, und die kleinen Anforderungen, welche der Ostindier an das Aussehen seiner wohlfeilen Geige stellt. Und, damit dem Eindrucke das Ursprüngliche und Alpenhafte gewahrt bleibe, was dem ganzen Erwerbszweige anhaftet, schaut das Comptoir auf den Karwendel hin, auf dessen Schneefeldern sich oft Gemsen tummeln – gewiß die einzige Kaufmannsstube in deutschen Landen, von deren Fenstern aus man die Herde des Bergesalten in ihrer Freiheit schaut.

So sehr nun auch in unserem Jahrhundert allenthalben die Nachfrage nach den Geigen wuchs, die an der blauen Isar geschnitzt und zusammengeleimt werden, so brachte den richtigen Aufschwung erst jene Erleichterung des Verkehrs mit Amerika in’s Geschäft, den wir der Flotte unserer norddeutschen Dampfer verdanken. Schon Ende der fünfziger Jahre schafften die zwei Häuser Neuner und Bader jährlich zehntausend besaitete Werkzeuge über das Weltmeer. Dann kam der große Bürgerkrieg und zwischen den Waffen schwiegen die Musen, wie überall. Nunmehr aber beträgt die Anzahl der Geigen und Cithern, die über den „großen Bach“ schwimmen, jedes Jahr wieder mindestens zwölftausend. Nicht minder wichtig ist den Mittenwaldern die Verfertigung von Cithern.

Dieses Musikinstrument, jetzt durch friedliche Eroberung auch über den Norden Deutschlands ausgebreitet, ist wohl allen meinen Lesern von Ansehen bekannt. Uns geht es nichts an, ob es aus der neapolitanischen Mandoline, aus der mittelalterlichen Laute, oder gar aus der indischen Vina hervorgegangen ist – wir wissen nur, daß es zuerst in der grünen Steiermark im Gebrauche war und von dort durch Bergleute nach dem Harz gebracht wurde. Gewiß klingt die Cither schön und alpenhaft und das eigenthümliche Nachzittern der Töne darin will an den Wiederhall gemahnen, mit welchem der Gesang in hohen Felseneinöden verweht.

Nun, gerade für die Cither, ein echt deutsches Instrument, ist Mittenwald die Heimath geworden. Hier ist der Ort, die Geschichte derselben eingehend zu studiren. In Neuner’s Magazin sieht man Cithern, wie man sie in alten Zeiten zu Mittenwald verfertigte, in Formen und Besaitungen, von welchen das heutige Geschlecht nichts mehr weiß. Die berühmtesten Cithermacher, Tiefenbrunner in München und Kiendel in Wien, sind Mittenwalder, haben in ihrer Jugend daheim gearbeitet und die Ehren vaterländischer Betriebsamkeit in alle Theile der Welt getragen. Mit nicht wenigen von den Cithern, welche sie auf den Gipfel ihres Ansehens unter dem eigenen Namen in ferne Erdtheile sendeten, haben sie weiter nichts zu thun gehabt, als sich dieselben von irgend einem[WS 1] bescheidenen Insassen Mittenwalds kommen und mit dem Merkzeichen ihrer Fabrik versehen zu lassen, worauf ihnen der Fremdling das Vier- oder Fünffache des Lohnes bewilligt, mit welchem sie den Mittenwalder Landsmann zufriedengestellt hatten. Nicht leicht wird sich eine Oertlichkeit so im Zusammenklang befinden mit ihren Erzeugnissen, wie es in Bezug auf Mittenwald der Fall ist; liegt doch der Ort inmitten jenes Hochalpenlebens, bei dessen Bildern man an die froh-wehmüthigen Töne der Cither denkt – hier geht der Jäger durch wildreiche Bergforste, ruft der Senner von hohen Graten, lagern die Holzfäller auf Felsen und zieht der Kahn über Seen, deren Wände den jauchzenden Gesang verzehnfachen.

Alles in Mittenwald erinnert an die lustige Thätigkeit seiner Inwohner.

Wenn man von Partenkirchen oder Walchensee herkommt, bemerkt man unweit der Straße ein großes Holzlager, in welchem die Bretter aufgeschichtet sind, deren Fasern späterhin mitzittern sollen mit den Schwingungen der Töne. Dreißig Jahre zum mindesten muß hier ein Holzstück lagern, bevor es in die bearbeitende Hand gelangt. Dadurch soll jene Trockenheit im Holze erzeugt werden, welche schon das halbe Gelingen eines guten Tonwerkzeuges ist.

Weiterhin gegen die grauen Wände des Karwendel treibt der Leutascher Bach, bevor er sich in die Isar ergießt, die „Neuner-Sägen“. Dort wird durch Wasserkraft das Holz so zugeschnitten, daß man es dem Arbeiter übergeben kann. Mehr als fünfzigtausend Violinböden und eine verhältnißmäßige Anzahl anderer Holzstücke harren stets des Eisens, das sie zubereitet. Ein phantastischer Dichter, wie es Amadeus Hoffmann war, möchte da Gelegenheit finden, sich mit den Geistern zu unterhalten, die in diesen Holzfasern schlafen, und mit dem „zweiten Gesicht“ des Poeten die Empfindungen und Handlungen zu überschauen, welche

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  1. Vorlage: einen
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_010.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)