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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Messias erblickten. Als dieser auf Hohenasperg davon hörte, warf er die messianische Botschaft hin: „Lassen Sie die Kerle aufhängen!“ Dies geschah nun freilich nicht, aber auf Hohenasperg wurde an Barbareien nichts gespart, um sie zu bekehren. Schließlich, da sie alle Martern ergebungsvoll ertrugen, ließ man sie ruhig gewähren, worauf die Meisten, mehrere hundert Familien, nach Tiflis oder Amerika auswanderten.

Als sie 1813 den Asperg verlassen, kamen statt ihrer die Mergentheimer. Dies waren Bauern und Einwohner des Gebiets von Mergentheim, welches früher dem deutschen Orden gehört und nun würtembergisch geworden war. Gelegentlich der Eidesableistung und einer darauf bei Nacht durch Ueberfall versuchten Recrutenaushebung kam es hier zu hellem Aufstande. Man vertrieb die würtembergischen Beamten und richtete die Wappen des deutschen Ordens wieder auf. Daraufhin beschloß König Friedrich, ein Beispiel des Schreckens aufzustellen. Ein ganzes Armeecorps rückte nach Mergentheim und wüthete hier wie in einer eroberten Stadt. Die deutschmeisterlichen Wappen wurden durch Henkershand verbrannt, die Namen der Entflohenen an den Galgen geschlagen, die aufgegriffenen Gefangenen vor ein Kriegsgericht gestellt, theils zum Strang, theils zum Erschießen, theils zu lebenslänglicher Festungsstrafe verurtheilt. Die fürchterlichsten Drohungen ergingen: bei einem neuen Versuche werde man die Stadt dem Erdboden gleichmachen und alle erwachsenen männlichen Einwohner mit dem Schwerte ausrotten. Schandpfähle wurden an den Eingängen jener Dorfschaften aufgerichtet, von welchen Einwohner wegen dieses Hochverraths verurtheilt waren. Sie blieben einige Jahre stehen.

Zu den interessantesten Bewohnern des Asperg in neuester Zeit gehörten die französischen Kriegsgefangenen, deren es dort oben an neunhundert gab. Sie haben beim Spital einen Theil des Hofes aufgeschüttet und Bäume zu einer Promenade hier gepflanzt, die dem Hohenasperg zu ihrem Andenken verbleiben wird. Nicht recht aufgeklärt ist die Verschwörung, welche von ihnen augezettelt wurde, um die Festung durch einen Handstreich in ihre Gewalt zu bekommen. Zur Zeit, als Bourbaki bei Belfort durchzubrechen versuchte und in Süddeutschland nicht geringe Sorge darüber war, sollen die französischen Gefangenen des Hohenasperg sich mit denen in Ludwigsburg, wo ihrer an viertausend waren, zu jenem Zwecke in geheime Verbindung gesetzt haben. Es gab auf der Bergveste nur achtzig Mann Besatzung und die Möglichkeit eines Gelingens ihres Planes lag also nahe. Rechtzeitig aber wurde dies beabsichtigte Attentat noch entdeckt. Der bald nachfolgende Friede und die Freilassung der Franzosen machten auch der weiteren Untersuchung über diesen Vorfall ein Ende.

Deutschland aber, über welches eine neue Zeit hereingebrochen ist, wird hoffentlich auf immer von den Ketten der Fürstenwillkür befreit sein, welche in der Veste Hohenasperg eine ihrer gewaltigsten Zwingburgen fand.

S.-W.

Eine Heimstätte deutschen Fleißes.

Es sind jetzt etwa zweihundertdreißig Jahre her, da sah man im Gleirschthale in den bairischen Alpen, einem jener engen Kalkthäler, aus deren Quellen die Isar zusammenrinnt, öfter einen jungen Mann herumgehen, welcher sich die hohen Fichten der Berghänge mit prüfenden Augen betrachtete. Sein Gewand war nicht das eines Holzfällers; ein „Tourist“ konnte er auch nicht sein, denn von jener Art von Menschen, denen es gefällt, nur zum Vergnügen ihrer Augen unbewohnte Einöden zu durchstreifen, wußte man damals noch nichts. Als Jäger hätte er irgend eine Waffe tragen müssen – kurzum, wer ihn sah, konnte sich sein Gebahren nicht erklären, vollends dann nicht, wenn der rätselhafte Wanderer einen Hammer aus der Tasche zog, damit an irgend einen Stamm schlug und sodann das Ohr hart an den getroffenen Baum legte. Dabei konnte man bemerken, daß er vorzüglich alten Stämmen und zwar solchen nachging, bei welchen sich der herannahende Tod schon am Absterben der Aeste des Wipfels bemerklich machte. Sah der Mann einen gefällten Stamm am Boden liegen, so ging er hinzu und betrachtete die Schnittfläche. Er maß die Jahresringe, ob sie sich in den gehörigen Abständen von einander hinzogen, und verließ den Stamm entweder kopfschüttelnd, oder nachdem er ihn durch irgend ein Merkzeichen kenntlich gemacht hatte.

Am seltsamsten aber war das Benehmen dieses Mannes, wenn gefällte Stämme, wie es im Gebirge so häufig geschieht, von ihrem hohen Standorte über die jähen Berghänge in’s Thal hinabgerollt wurden. Dann saß er seitwärts auf irgend einem Felsblock und lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit auf die Töne, welche solche Stämme im Stürzen von sich gaben, denn es ist bekannt, daß manche Stämme im Auffallen Laute erzittern lassen, denen der Telegraphenstangen ähnlich, wenn der Wind den Draht bewegt. Diejenigen Stämme, von welchen ein besonders auffallendes Singen herschwirrte, merkte er sich, wählte sie aus und erstand sie von den Herren des Waldes.

Aus diesem Treiben werden wir keine rechte Vorstellung über die Absichten des Mannes gewinnen können und darum ist es besser, gleich zu sagen, wen wir vor uns haben. Es ist dies der junge Jacob Stainer aus dem Dorfe Absam, welches jenseits der grauen Jöcher liegt, die das Gleirschthal vom breiten Inn- oder vom Haller Salzthale trennen.

Seine Eltern sind arme Bauern, er aber hat sich auf die Kunst des Geigenmachens verlegt und ist bereits in den zwanziger Jahren seines Lebens darin zu Ruf und Ansehen gelangt. Niemand sieht es diesem bescheidenen Geigenmacher an, daß er zweihundert Jahre später der Held vieler Novellen werden soll. August Lewald läßt ihn aus unerwiderter Liebe zu einer schönen Italienerin wahnsinnig werden; andere Dichter erzählen von ihm, wie er schwermüthig in den Schluchten umhergeht und seinen Schmerz in den Tönen seiner Geige ausströmen läßt; wieder andere sehen ihn als Mönch – überhaupt ist nächst der Person des Andreas Hofer kaum ein anderer Mann des Tiroler Landes so tief in die Tinte der Novellisten gerathen, als der Geigenmacher von Absam.

Die Geschichte weiß blutwenig von ihm zu erzählen und dieses Wenige hat Sebastian Ruf rühmlichst an’s Licht gestellt. Es ist hier nicht der Ort, an der Hand dieses Gewährsmanns Stainer’s Leben zu verfolgen, wenngleich wir uns nicht versagen können, einige Geschichten aus dem dunkeln Lebenslauf dieses deutschen Meisters anzuziehen. Vor Allem findet sich keinerlei Hinweisung darauf, daß derselbe jemals als Lehrling in Italien gewesen sei. Wohl hat er sich nach den berühmten Kunstwerken des Amati gebildet, aber alle Geschichtsschreiber seiner Kunst bestätigen ihm, daß er den Bau seiner Geigen ganz selbstständig ausgedacht und dieselben in Ausrüstung und Klang so eigenthümlich geschaffen habe, daß man ihn den Vater der deutschen Geige nennen müsse, denn die Geigen dieses Meisters waren die ersten, welche sich wesentlich von denen der Italiener unterschieden.

Es konnte nicht fehlen, daß die fremden Kaufleute, welche Stainer seine Geigen auf den Märkten zu Hall abkauften, seinen Ruf überall hin verbreiteten und daß deshalb seine Waare in den benachbarten Ländern immer mehr und mehr gesucht wurde. Dies wurde Veranlassung, daß sich ein Bauer aus Mittenwald in den baierischen Alpen an der Isar, Mathias Klotz genannt, aufmachte, zum benachbarten Absam pilgerte und den Meister bat, er möge ihn in die Lehre nehmen, was auch geschah. Des Geigenmachens kundig, kehrte Klotz in den armen Marktflecken an der Isar zurück. Was nunmehr dort vorging, wird aber nur begreiflich, wenn wir einen Blick auf gewisse Vorgänge werfen, die des Interesses nicht entbehren, weil daraus allerlei über Handelschaft und Verkehr alter Zeiten zu ersehen ist.

Kein Vorfall hatte für Mittenwald größere Bedeutung, als ein Streit, welchen Erzherzog Sigmund im Jahre 1487 zu Bozen mit einigen Kaufleuten Venedigs ausfocht. Bozen war damals der Hauptstapelplatz zwischen deutschen Landen und Italien; die Kaufleute beider Völker rechneten dort auf den Messen mit einander ab; der Stadt war ein schnelleres Rechtsverfahren in Schuld- und Wechselsachen vom Kaiser verliehen worden – kurzum, die Bozener Märkte waren wohl die bedeutendsten von ganz Süddeutschland. Dieser Streit aber änderte die Sache. Nachdem der Erzherzog jene Kaufleute, hundertunddreißig an der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_009.JPG&oldid=- (Version vom 12.5.2018)