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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Als ich in das elegante Zimmer bei dem Leiter des Breslauer Vereins eintrat, erblickte ich einen auf drei Füßen stehenden runden Tisch, auf dessen Platte man einen weißen Bogen Papier mit zwölf Kupferstiftchen befestigt hatte, worauf oben die Worte: „Heilig ist Gott der Vater. Amen!“, links eine Paraphrase des Vater-Unsers, rechts das Wort „Nein!“, ein großes und ein kleines Alphabet, sowie die Zahlen von 1 bis 9 und 0 geschrieben standen. Auf der Mitte des Tisches war in Form eines sogenannten Storchschnabels ein braunpolirter Psychograph befestigt, vor dem ein kleines weißes elfenbeinernes Crucifix stand.

Bevor die Sitzung begann, traten der Leiter, ein Breslauer Arzt, dessen vierzehnjähriger bleicher Sohn, den die Gesellschaft für ein inspirirtes Medium hält, und der Schatzmeister des Vereins zu mir, reichten mir und sich untereinander zum Gebet die Hände, worauf der Arzt Gott den Vater (Jesum Christum halten sie nur für einen sehr fein organisirten Bruder) um Segen und Erleuchtung für das Beginnen bat. Hierauf setzte sich das vierzehnjährige Medium in die Ecke des im Zimmer aufgestellten Divans und sprach, ohne jedwede Aufregung, im einfachsten Ton von der Welt Folgendes:

„Ich bin Johann Sparmer. Setze Dich! – Es giebt Vieles zwischen Himmel und Erden, was wir nicht verstehen – so sagen die Menschen – aber sie geben sich nicht Mühe, dieses Etwas zu erkennen, zu wissen, was eigentlich dieses Etwas ist, um es dann zu verstehen. ‚Es ist unmöglich!‘ sagen sie. O nein! – Einestheils wollt Ihr es nicht untersuchen, weil es Euch allerdings aus den ehrgeizigen Träumen herausreißt; anderntheils könnt Ihr es nicht, Ihr seid in Eurem Geiste noch zu schwach! Dieses Etwas will ich Euch erklären. Es ist der Magnetismus. Dieser regiert, so zu sagen, unter der Oberleitung Gottes das ganze Weltall; jedes Geschöpf, jede Welt, Alles, was in der Welt ist, besitzt Magnetismus; der magnetische Strom zieht durch Alles. Alle Verbindungen, mögen sie sein, wie sie wollen, sind durch Magnetismus hervorgerufen. Daß Manches sich nicht verbindet, wird dadurch hervorgebracht, daß, so zu sagen, Nordpol zu Nordpol, Südpol zu Südpol zusammenkommen; am geregeltsten in seinen Wirkungen ist der Magnetismus bei dem entwickelten Geschöpfe, dem Menschen und dem Geiste des edlen und starken Geschöpfes. Die Geister – auch schwache – umgeben den Menschen, durch den Magnetismus wirken sie auf ihn; es ist ein Gefühl, welches sich der des magnetischen Stromes Unkundige nicht erklären kann, der Kundige jedoch benutzt ihn, je nach der Stärke seines Geistes, der Gute in einer Gott wohlgefälligen Weise, um sich zu belehren und zu steigen, und später, wenn er Lehren genug gesammelt hat, zur wahren Erkentniß des Weltgeistes, der Vernunft und Gottes zu kommen; der Schwache dagegen, um ihn zu seinem materiellen, irdischen Nutzen zu verwenden. Man nennt dies den Geisterverkehr!

Ich weiß nicht, ob ich dies genügend klar machen kann, es ist eine Tiefe darin, welche eben nur Gott, der vernünftigste und edelste Geist, ausfüllen kann. Ich werde heute schließen. Ueber die besonderen Einwirkungen der Geister auf die Medien werde ich in einer späteren Sitzung sprechen!“ – Dies waren, nach stenographischer Aufzeichnung, die Aeußerungen des vierzehnjährigen inspirirten Medii, Aeußerungen, welche der halb erwachsene Knabe ohne irgend welche Exaltation seinem Vater dictando mittheilte, woran er noch folgendes kurze Gebet knüpfte, das man auch als vom Geiste Sparmer inspirirt annahm: „Gott, ich bitte dich, erleuchte alle unsere Brüder, Menschen wie Abgeschiedene, daß sie dich in deiner wahren Größe erkennen mögen und immer weiter vorschreiten auf dem Wege des Lichtes! – Nun Adieu, höre auf!“

Als ich nach dieser Inspirationssitzung wahrscheinlich ein sehr ungläubiges, oder doch zweifelvolles Gesicht machte, wurde ich gefragt, was ich von dieser Auseinandersetzung und Offenbarung halte, worauf ich erwiderte: „Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube, weil ich keinen Beweis habe, daß überhaupt ein ‚sogenannter Geist‘ das eben Gehörte inspirirt hat, da wohl anzunehmen ist, daß ein vierzehnjähriger Knabe, der im Spiritismus groß gezogen und einigermaßen geistig begabt, solche allgemeine Phrasen wie die obigen zu machen im Stande ist. Aber angenommen, der Knabe sei wirklich inspirirt, so imponire mir der völlig unbekannte Geist Sparmer keineswegs, da er keine hervorragende Persönlichkeit gewesen!“ – Der Führer entgegnete hierauf, daß er diese meine Antwort vorhergesehen, ich aber wohl noch später an die Unfehlbarkeit des inspirirten Medii glauben würde. Hiernach erschien ein junges Mädchen, die Wirthschafterin des Arztes, am Psychographen, legte ihre Hände auf und schrieb: „Heilig ist unser Gott und Vater! Ich bin Eleonore Gleisberg (die geistige Führerin des Mädches). Meine Lieben, Ihr fühlt immer noch nicht, wie schwach Ihr ohne höheren Beistand seid. Ich weiß, woran das liegt, auch Ihr wisset es, nur gehet Ihr zu leicht darüber hin. Es ist dies nicht gut, besser wäre es, wenn Ihr, wie ich Euch früher schon sagte, mit Liebe und ernstem Gebet daran gehen wolltet. Nehmt meine Worte, welche immer aus wohlgemeintem Herzen kommen, mit Liebe und Ueberlegung auf. Ich werde meine Anhänglichkeit zu Euch nicht aufgeben, nur würde meine Freude groß sein, wenn ich sähe, daß meine Arbeit Früchte bringen möchte; denn meine Ermahnungen haben oft wenig Erfolg. Nun Adieu!“

Ebenso wenig wie die Inspiration befriedigte mich die Sitzung an dem Psychographen, weshalb ich bat, selber einen Geist citiren und diesem eine Frage vorlegen zu dürfen. Das Erste wurde abgelehnt, das Zweite gestattet, indem man mir bedeutete, ich müsse aber die geistige Führerin des Mediums, also hier die Eleonore Gleisberg, befragen. Ich legte danach dem abgeschiedenen Geiste die einfache Frage vor: „Welcher Unterschied ist zwischen Glaube und Wissen?“ worauf man mir entgegnete, daß jene philosophische Frage für die geistige Führerin der Wirthschafterin, hier also des psychographirenden Medii, zu schwierig sei, man überhaupt auch nur solche Fragen an die Geister thun dürfe, welche über den Ideenkreis nicht hinausgingen, in welchem sie sich als eingekörperte Geister, d. h. als lebende Menschen, bewegt, und daß die Mutter des jungen Mädchens, ihre geistige Führerin, eine einfache Frau gewesen. Als ich hierauf den Geist meiner vor einigen Jahren verstorbenen Mutter citiren wollte und ich die Ueberzeugung aussprach, daß mir dieser, sei eine Correspondenz überhaupt möglich, gewiß erscheinen würde, verneinte man auch dies mit dem Bemerken, daß dieser Geist, als ein edler und feingebildeter, schon in einer Atmosphäre schwebe, aus der er nicht mehr zu mir dringen könne. Da ich keinen Beweis vom Gegentheil beibringen konnte, mußte ich mich bescheiden und die Sitzung wurde mit einem Gebet beschlossen, und ich verließ unbefriedigt und unüberzeugt das Zimmer und das Haus.

Bei dieser Gelegenheit kommt mir ein anderes spiritistisches Abenteuer in das Gedächtniß, das ich schon in früheren Jahren gehabt habe und das ich den Lesern der Gartenlaube nicht vorenthalten will, weil sie das am Ende noch interessanter oder doch – unterhaltender finden dürften, als das ersterzählte von Breslau. Während meines Aufenthaltes in München vor mehreren Jahren lernte ich den Redacteur einer dortigen ultramontanen Zeitung kennen, der sich viel mit Mystik und religiösen Forschungen beschäftigt hatte und in Folge dessen stets salbungsvolle, von Frömmigkeitsbalsam triefende Floskeln auf den Lippen trug und dadurch einen ebenso unangenehmen als peinlichen Eindruck machte. Seine Gattin war eine wohlthätige hübsche Münchenerin mit sehr weltlich-lüsternem Blick, und ihre schönen schwarzen Augen schauten begehrlich in die blühende Gotteswelt hinein, doch war auch sie, wenigstens äußerlich, von dem Gifte eines heuchlerischen Pietismus afficirt und betrachtete ihren heiligen, der Offenbarung seliger Geister so nahen Mann mit einer wahren Verehrung, und jedes seiner Worte schien ihr eine köstliche Perle, ein Himmelsthautropfen zu sein, den ihre schönen Augen begeistert von seinen Lippen küßten.

Dieses Ehepaar führte mich nun zu einem ihnen befreundeten Oekonomen, der einen Psychographen und außer diesem ein magnetisch schreibendes Medium besaß und auf meinen Wunsch mit beiden experimentiren wollte. Bei unserem Eintritt saß die Magd Marie, das Medium, starr und steif in einem Winkel des Zimmers und erhielt erst Leben, als man vor der Sitzung soupirte, bei welchem Souper sie einen höchst prosaisch-irdischen Appetit entwickelte, woraus ich schloß, daß sie einen besonders starken Geist besitzen müsse, da der Träger dieses Geistes, ihr Körper, ein so bedeutendes Consum zu seiner Existenz nöthig habe. Unser Wirth hatte ein durchaus nichtssagendes Gesicht, ausdruckslose Augen und einen rothen Zwickelbart. Der Mann erregte bei Tisch meine ganze Bewunderung, da er zu gleicher Zeit ebenso viel Braten und Salat zu sich nahm, als er eifernde und polternde Reden über die Genußsucht der halsstarrigen bösen Welt von sich gab.

Das Medium Marie war klein, von sehr schwächlichem Körperbau,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 796. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_796.jpg&oldid=- (Version vom 16.12.2022)