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verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

wetterleuchten. Ich würde Ihnen vorlesen aus den Werken unserer neuen Schriftsteller und Dichter, und ich bin überzeugt, bei jenem feinen Sinn für das Schöne, der Ihnen eigen ist und der sich, wie die verkehrten Urtheile unserer Literarhistoriker beweisen, durch keine Gelehrsamkeit ersetzen läßt, würden Sie, wie die mit der Wünschelruthe bewaffnete Hellseherin die Erzadern und Wasserquellen, das Talent herausfühlen und mit jenem plötzlichen Aufleuchten Ihres schönen Auges, das Ihnen so reizend steht, ausrufen: „Fürwahr, das ist ein Dichter!“

Doch auch aus der Ferne hoff’ ich noch, Ihnen hier und dort für mein Lob eine freundliche Zustimmung abzuschmeicheln; ich hoffe dies, weil wir Beide auf dem gemeinsamen Boden derselben ästhetischen Bildung stehen, auf jenem Boden, in welchem unsere großen Dichter wurzeln. Und so verwerfe ich alle Poesie, die nichts ist als Formenspielerei, in der kein großes Herz pulsirt, die keinen großen Geist verräth. Und eingedenk eines Schiller, Goethe, Shakespeare und Jean Paul verlange ich, daß die Dichter Tiefe der Weltanschauung und weltumfassende Bildung besitzen, und schätze die Poeten gering, die, über ihren Stickrahmen gebeugt, nach den schönsten Modellen die sauberste Arbeit liefern, daß alle Farben harmonisch geordnet sind und kein grobes Fädchen und Fäserchen den Eindruck des musterhaften Vollbildes stört. Dergleichen Gaben für die Weihnachtsausstellungen des Buchhandels sind keine Geschenke von dauerndem Werth für die Nation. Auch wissen Sie zu gut, Madame, wie es mit diesen Stickereien aussieht. Man bekommt sie zur Hälfte fertig in den Modeläden und braucht sich nicht allzusehr mit der feinen Nadelarbeit zu ermüden.

Ebenso wie ich diese Miniaturpoeten verwerfe, welche da glauben, man könne dichten ohne Geist, und Vernunft und Wissenschaft nach Kräften verachten, welche da meinen, die Poesie müsse auf dem Feenwägelchen der Shakespeare’schen „Königin Mab“ einherfahren, mit einem Geschirr aus feinem Spinngewebe und mit Zügeln aus des Mondes feuchtem Strahl und es gereiche ihr zum Verderben, wie jenem Phaëthon, den Sonnenwagen des Geistes lenken zu wollen: ebenso verwerfe ich jene nüchternen Photographen des alltäglichen Lebens, die ihren literarischen Schaukasten mit wenig retouchirten Bildern aus ihrer unmittelbarsten Umgebung füllen und sich für große Menschendarsteller halten, weil sie ihren Vettern und Muhmen abgesehen haben, wie sie sich räuspern und spucken, und so Bescheid wissen in jedem Handwerk und Gewerbe, daß die Dachdecker und Maschinenbauer sie aus Versehen für Ihresgleichen halten könnten.

Nein, Madame, Begeisterung gehört zum Dichten, wie zu jedem Schaffen. Wenn unsere Dichter aufhören, große Geister zu sein, so bilden eben zwölf von ihnen ein Dutzend und man kauft sie dutzendweise, wie die Leipziger Lerchen, bei denen man auch nicht nach ihrem Gesang fragt und wie hoch sie in den Himmel steigen.

Darin sind wir einig, Madame! Unsere Classiker, die Sie verehren wie ich, waren große Dichter und nur diejenigen der Neuzeit, die auf ihren Wegen wandeln, verdienen unsere Theilnahme.

So mögen meine Briefe Sie aufsuchen in der duftigen Laube, die auf einem Felsvorsprung aufgebaut ist in’s Meer, dort an jenem heimlichen Plätzchen, das die untergehende Sonne mit besonderer Liebe begrüßt und von dem aus Sie, durch die Ranken des Laubgitters, die Aussicht genießen auf die unendliche See, die seit den Zeiten des Altvaters Homer so viel Poeten begeistert hat.

Und ist nicht auch die Ostsee, welche unsere großen Dichter nie gesehn haben, voll Poesie, das Meer der Vikinger, aus dessen Tiefen die Glocken versunkener Städte läuten, dies Meer mit seinen Bernsteinnixen, die statt der grünen Schilfkränze die versteinerten Thränen der überflutheten Wälder der Vorzeit im Haar tragen und mit dem gelbleuchtenden Geschmeide Hals und Arme schmücken?

Unsere neueren Dichter sind minder undankbar gegen die Reize des bernsteinreichen baltischen Meeres. Zwar Heinrich Heine besang nur die Nordsee und ihre kecken Nomaden in seinen großartigen Seebildern; zwischen Hamburg und Helgoland hört er den Wundervogel Phönix singen und die Okeaniden und kaut verdrießlich den alten Hering, während die hochgehende Fluth das Schiff schaukelt. Doch unsere neuen Novellisten und Romandichter lassen sich oft an den Gestaden der Ostsee nieder und haben auf ihrer Palette alle Farben für die Seebilder, die das baltische Meer verlangt, mag es an Rügens Kreideküsten branden oder an die sturmverwehten Sandhügel der ostpreußischen Nehrungen. Da ist vor Allen ein begabter Novellist Edmund Hoefer, ein Sohn der alten Universitätsstadt Greifswald, der an den Ostseestrand seine geheimnißvollen Schlösser hinbaut, der uns oft auf der Barke oder im Meeresschiff über die baltischen Fluthen führt, der uns die hanseatischen Städte am Strand mit ihren Thürmen und Giebeln so traulich aufbaut, daß wir uns bald heimisch fühlen in ihren Patricierhäusern, in ihrem Handel und Wandel, in ihrer Gegenwart und Vergangenheit. Und dabei liebt er es, jene Charaktere zu schildern, deren Gediegenheit zur Starrheit wird, Charaktere vom knorrigen Wuchs der Strandeichen.

Doch wenn Sie Ihr heimathliches Meer, die Ostsee, in Frieden und Sturm, in allem Wechsel der Beleuchtung, und im engen Zusammenhang mit dem Geschick der Menschen geschildert sehen wollen, so müssen Sie Friedrich Spielhagen’s neuesten Roman „Hammer und Amboß“ (fünf Bände) aufschlagen; es wird Ihnen aus demselben ein frischer Hauch vom Meere entgegenwehn! Wie belebt ist die See von Dampfern und Schiffen jeder Art! Hier macht der junge Held als Primaner eine Vergnügungsfahrt auf dem Meere, dort hemmt der gereiftere Mann mit festem Entschluß den Zusammenstoß zweier Dampfer, dort segeln die Schmuggelschiffe zur Nachtzeit an den Strand der Insel, wo das Schloß eines Edelmanns ihren Waaren eine geheime Freistatt bietet. Ja, es ist ein alter Vikinger, dieser wilde Zehren, der nur sein Jahrhundert verfehlt hat; er treibt die Schmuggelei nach dem alten Rechte der Herren von Zehren, das für ihn noch fortbesteht; denn alle Schiffe, die durch den Sund fuhren, zwischen der Insel und dem Festland, mußten vor alten Zeiten dem Schlosse Tribut zahlen. Sie werden die Schilderung dieses alten, verfallenen Schlosses, wo man den besten Wein trinkt und die besten Cigarren raucht, mit Interesse lesen; denn das wilde Treiben der schmuggelnden Gutsbesitzer auf der Insel bei Jagd und Spiel ist mit lebendigen Farben geschildert, die Tochter des wilden Zehren, die zigeunerhafte Constanze, das tiefbrünette Mädchen mit dem wundervollsten Ebenmaß der Glieder, verstrickt in den geheimen Liebeshandel mit einem benachbarten Fürsten, paßt in die romantische Wirthschaft der vornehmen Strandpiraten, und die Katastrophe selbst, das Einschreiten der gesetzlichen Macht gegen die Schmuggler, der gewaltsame Tod des wilden Zehren, ist spannend erzählt und farbenreich ausgemalt.

Freilich werden Sie nicht ohne Grund fragen, ob irgend eine Lebenswirklichkeit diesen hochromantischen Ereignissen entspricht und wo man heutigen Tags die Pascher mit ehrwürdigen Wappen und Stammbaum zu suchen hat? Doch man muß der Erfindung der Romandichter etwas zu gute balten und nicht nach den Hausnummern und Reisepässen ihrer Helden fragen. Das freizügige Abenteuer, das sich polizeilich nicht einfangen läßt, braucht im Roman keine andere Legitimation, als den Reiz der Phantasie und die logische Möglichkeit.

Eins der großartigsten Seebilder finden Sie im weiteren Verlauf des Romans; die sturmempörte Ostsee, deren Donner die Mauern eines Zuchthauses erschüttert, droht einen schmalen Wall zu überfluthen, den die Zuchthaussträflinge mit opfermuthiger Begeisterung unter der Leitung ihres Directors schützen. Diese Schilderung ist prachtvoll; es ist ein Achenbach’sches Marinebild.

Sie wundern sich über die Rolle, welche der Dichter hier den Zuchthaussträflingen zuertheilt? Ein großer Theil des Romans spielt in der That im Zuchthause, wo von den Lippen des Directors das Evangelium der Humanität ertönt. Das sind solche schneidende Contraste, wie sie die neuen Schriftsteller lieben. Der Held des Romans, ein Primaner, der schulflüchtig, von seinem Vater verstoßen, in die Hände des wilden Zehren geräth, wird bei der Katastrophe, die das Schmuggelhandwerk ereilt, mitgefangen und zur Zuchthausstrafe verurtheilt, die er unter sehr gemilderten Umständen als Schützling des Directors und seiner Tochter verbüßt. Später finden wir ihn in einer Maschinenfabrik als tüchtigen Arbeiter, bis er sich zum Leiter und zuletzt zum Besitzer derselben aufschwingt. Ein Kleeblatt weiblicher Gestalten, die wilde Constanze, die stolze Hermine, die sanfte Paula, begleitet den Helden auf seinen Lebenswegen und erregt seine wechselnde Neigung. Hermine wird seine erste Gattin, sie stirbt zur rechten Zeit, um der Entwicklung des Helden nicht im Wege zu sein; denn nur Paula kann sie zu harmonischer Vollendung führen. Und es kostet einem Dichter ja blos einen Federstrich, um den Mißgriff seines Helden zu verbessern!

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verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1869, Seite 746. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_746.jpg&oldid=- (Version vom 1.1.2023)