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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


war festgesetzt. Ascher mit der Titelrolle betraut, dieser schwierigsten Aufgabe für einen Anfänger, sei er auch noch so talentvoll. Auf die Frage, ob er die Rolle schon gespielt, antwortete er mit einem kühnen „Ja“, ausgepreßt von der Angst, die Rolle sonst zu verlieren, in Wahrheit aber waren ihm Rolle und Stück unbekannt. Man denke sich nun sein Entsetzen, als er bei seiner Heimkunft die voluminöse Partie und die Anzeige vorfand, daß die erste Probe am nächsten Tage stattfinden solle. Man muß das glänzende Gedächtniß Ascher’s und dessen eiserne Willenskraft kennen, um zu begreifen, daß er nach einer im angestrengtesten Studium hingebrachten Nacht, wenigstens der Worte des Clavigo mächtig, zur Probe sich einfinden konnte. Nach dieser Probe machte ihm Seydelmann in seiner ruhig ironischen Manier das zweideutige Compliment: „Sie haben eine Eigenschaft für den Clavigo, die Jugend.“

Abends wurde der Unglückliche in eine altmodische Uniform gesteckt, deren riesig hoher Kragen ihm über die Ohren zusammenschlug, während die Weste vorne zwei Hände breit unter dem gestickten Rock sich hervorschob, kurz der arme Clavigo gewährte in seiner Unbeholfenheit in diesem Costüm einen so burlesken Anblick, daß bei seinem Erscheinen ein heiteres Lächeln die Gesichter der Anwesenden überflog. Ihm gegenüber sah der bildschöne Carl Devrient als Beaumarchais wie ein Halbgott aus. In der großen Scene des ersten Actes hatte Ascher alle Anmerkungen des Dichters für Clavigo während der großen Erzählung des Beaumarchais nur zu gut inne, und brachte die Anordnungen des Autors: „verliert alle Munterkeit aus dem Gesichte“, „ist in entsetzlichster Verlegenheit“, „bewegt sich in höchster Verwirrung auf seinem Stuhl“, „es entfährt ihm ein tiefer Seufzer“ etc., in zwar gewissenhafter. aber mehr für eine Posse als für die Tragödie passender Weise zur Anschauung. Die erwähnte Erzählung schließt mit den Worten: „Unterdessen das Frühstück“. Hierauf soll nach einer Pause Clavigo die Worte: „Luft, Luft!“ in dumpfer Beängstigung vor sich hin murmeln. „Luft“ aber nennt man in Hannover auch eine beliebte süße Mischgattung von Schnaps in localer Bezeichnung. Als daher Devrient seine lange Rede mit den Worten „Und nun das Frühstück“ schloß, brüllte Ascher, ohne Pause und Uebergang, die Worte: „Luft, Luft!“ heraus. Das Haus bebte von dem rasenden Gelächter des Publicums, einem Gelächter, welches wie die Grabmusik aller seiner Hoffnungen dem armen Künstler in die Ohren gellte. Nicht nur für diesen Abend war der vorhergegangene günstige Eindruck verwischt, auch das nächste Auftreten (Don Carlos, Grunert spielte den König Philipp) brachte dem Publicum nur „ein recht mäßiges Vergnügen“. Bei dem warmen Ehrgefühl Ascher’s war ihm die Situation doppelt peinlich geworden.

Da kam von Dresden die Requisition, daß er heimkehren und seiner Militärpflicht genügen solle. Herr von Holbein, vielleicht froh die neue Erwerbung loszuwerden, deren Werth er noch nicht zu würdigen gelernt hatte, gab ihm die erbetene Entlassung nebst einem zweimonatlichen Gehalt als Abfindung für die Lösung des Contracts.

Ein glücklicher Stern führte Ascher in Dresden zu Ludwig Tieck, der sein Auftreten als „Landwirth“ im gleichnamigen Schauspiel der Prinzeß Amalie vermittelte, ein Debut, welches so glänzend ausfiel, daß ihm Ludwig Tieck nach demselben das in diesem Munde doppelt ehrenvolle Compliment machte: „Seit siebenzehn Jahren haben wir nach einem jugendlichen Liebhaber geschmachtet, den wir jetzt in Ihnen gefunden.“ Dies will etwas sagen an einer Bühne, wo ein Emil Devrient wirkte, der übrigens dem neuen Collegen mit herzlichem Wohlwollen und thatsächlicher Freundschaft entgegen kam. Durch die Vermittlung Tieck’s wurde die Militärpflicht Ascher’s gelöst und ein glänzender Contract an der königlichen Hofbühne erwirkt, die den jungen Mann bald zu ihren beliebtesten Mitgliedern zählte.




Der Krystallfund am Galenstock.

Von Max Wirth.

Alljährlich ziehen Schaaren von Touristen einerseits von Meiringen über die Furka in’s Reußthal, andererseits aus dem Reußthal durch’s Meienthal über den Sustenpaß nach Meiringen, – nur selten verirrt sich aber ein Fremder in die zwischen diesen beiden Gebirgspfaden liegende Hochalpen- und Gletscherwelt. So oft ich in den Herbergen am Steingletscher oder am Rhonegletscher Rast machte, erfaßte mich die Sehnsucht jenes über ihnen in Lichtglanz thronende Firnengebiet zu durchforschen. Dr. Abraham Roth’s prachtvolle Schilderung einer Fahrt über den Trift- und Rhonegletscher, das schönste Kleinod seiner „Berg- und Gletscherfahrten“, sowie die Errichtung einer Hütte mitten im Triftgletscher von Seiten der Berner Section des schweizerischen Alpenclubs, brachte endlich meinen Entschluß zur Reife. Ich brachte in Begleitung meines Bruders und der beiden Führer Andreas und Johann von Weißenfluh aus Mühlestalden vier Nächte auf dem Heulager der Clubhütte zu, die mit einem guten Kochapparate ausgerüstet ist, und sechs Stunden von der nächsten Hütte im Gadmenthale zwölf Stunden von der Grimsel entfernt liegt. Jeden Morgen wurde ein anderer Gipfel von elf- bis zwölftausend Fuß erstiegen: zuerst der Schneestock mit seinem dachartigen Firngrat, von dem wir rittlings die Beine auf der einen und der andern Seite herunterbaumeln ließen; den anderen Tag der hintere Thierberg, während mein Bruder, weil er sorgloser Weise zu wenig Gebrauch von seinem Schleier gemacht hatte, schneeblind in der Clubhütte Eisüberschläge machen mußte; den dritten Tag der Dammastock, der den Galenstock um dreißig Fuß überragende höchste Gipfel dieses Gebirgszuges.

Nachdem wir in dieser Nacht uns einer herrlichen Mondbeleuchtung erfreut, bei der die umliegenden Schneegipfel in einem zauberischen Lichtmeer schimmerten, – und vor Mitternacht noch einen verspäteten Gletscherwanderer, der von Grimsel und Galenstock kam, mit einer aus Liebig’schem Fleischextract gebrauten Suppe erquickt hatten, wollten wir am folgenden Tage den noch jungfräulichen, zwischen dem Damm- und Galenstock gelegenen Rhonestock erklimmen und von da einen Paß nach der neuen Furkastraße hinab suchen. Wind und Wetter vereitelten aber unser Vorhaben, so daß wir froh waren, mit heiler Haut die Grimsel zu erreichen und uns durch die Ersteigung des mittleren Wetterhorns vom Urbachthal und Rosenhorn aus nach Grindelwald hinab zu entschädigen.

Was uns mißlungen, das glückte wenige Wochen darauf den Herren Gebrüdern Lindt von Bern mit den Guttauer Führern Sulzer, Vater und Sohn. Dieselben entkleideten den Rhonestock seiner Jungfräulichkeit und stiegen von da über den „Tiefen Sattel“ auf den Tiefengletscher hinab, dessen Abfluß von der neuen Furkastraße überbrückt wird.

Bei dieser Gelegenheit bemerkten die genannten Alpenclubbisten östlich vom Galenstock am östlichen Rande des Tiefengletschers, ungefähr da, wo auf der eidgenössischen Stabskarte Blatt XIII. unten rechts im Worte „Gletschhorn“ der Buchstabe O sich befindet, ein mächtiges „Strahlband“, das heißt einen Gang oder eine Schichte im weißen Quarz, welche sich in einer Mächtigkeit von sechs bis zwölf Fuß, fünfzig bis sechszig Fuß breit, durch eine mehrere hundert Fuß hohe Granitwand (Fluh) schräg hinaufzieht.

Schon im vorigen Jahrhundert war eine große Krystallhöhle am Lauteraargletscher im benachbarten Gebirgsstock entdeckt worden, aus welcher mehrere Tausend Centner weißer Krystall nach Mailand verkauft wurden, wo sie, als Schleifwaare sehr geschätzt, zu hohen Preisen in den Handel kamen, da die Krystallglasfabrikation noch nicht entwickelt war. In den letzten Jahrzehnten ist die Gegend um den Galenstock wegen ihrer reichen Ausbeute an Krystallen von Gemsjägern und Hirten fortwährend durchforscht worden, und der alte Papa Weißenfluh hatte manch’ ein prächtiges Exemplar von seinem Platz, der lange seine Privatdomaine war, in’s Thal gebracht und an Fremde und Schleifer verkauft.

Die obengenannten Gletscherfahrer hatten in jenem „Strahlband“ etwa hundert Fuß über dem Gletscherrand einige dunkle Stellen bemerkt, welche von Peter Sulzer als Löcher erkannt wurden. Derselbe behauptete sofort, daß daselbst wie in allen Quarzbändern „Strahlen“, d. h. Bergkrystalle verborgen seien.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 733. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_733.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2022)