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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

liegend recht jämmerlich im nächtlichen Regen fror und vergeblich den Schlaf ersehnte, erinnerte ich mich daran, mit welch’ maulendem Gesicht und ärgerlichem Unbehagen ich mein erstes Strohlager in Polnisch Breule, einem kleinen Dorfe Schlesiens, eingenommen und mit Schmerzen der weichen mütterlichen Federbetten gedacht hatte. Doch tempora mutantur! jetzt hätte ich wohl viel gegeben, ein solches Lager wieder einmal zu genießen!

„O Wonne! Heut’ kommen wir in Quartier!“ lief es von Mund zu Mund, als wir zum Abmarsch vom Bivouac antraten. Fünf Stunden hatte unser Marsch gedauert, bald bergauf, bald bergab, bald durch grünende Wiesen und fruchtbare Felder, und bald durch duftigen Wald, da lag in einem lieblichen Thale unter uns das ersehnte Ziel, ein kleines Dörfchen. In vielfachen Windungen führte uns die Chaussee den Abhang des Berges hinunter; vor dem Eingang in’s Dorf machten wir Halt, die Fouriere meiner Compagnie erschienen und theilten die Quartierbillets aus.

„Strzevo“, radebrechte ich von meinem Zettel, „Schenkwirth des Dorfes.“ Mit mir hatte das gleiche Quartier ein Unterofficier, Cadet Z., mit neun Mann zu theilen.

„Still gestanden, das Gewehr über, marsch!“ commandirte der letztere seinen Hausgenossen, und hinter dem kleinen Zuge her schritt ich in’s Dorf. Einen schmutzigen, zerlumpten Jungen, der, beide Hände im Munde, eifrig beschäftigt war, mit der Reinigung seiner Finger auch noch einen Zungenschmaus zu verbinden, und uns verwundert anglotzte, rief ich an: „Wo liegt denn das Wirthshaus des Dorfes?“

„Nerozumi!“ (ich verstehe nicht) war die Antwort.

„Das Wirthshaus oder die Schenke des Dorfes mein’ ich!“ schrie ich nochmals.

Ein höhnisches Grinsen überlief sein Antlitz; endlich zog er die eine Hand aus dem Mund. „Nerozumi!“ ertönte wiederum, und dahin lief er!

Ein zweiter Versuch, dasselbe Resultat. Verblüfft drehte ich mich nun zu meinen Leuten um, die mich aber auch nicht sehr schlau ansahen; eine dämmernde Ahnung stieg in unserer Seele auf, und in ein schallendes Gelächter brachen wir aus, als Cadet Z. seufzend unseren Gefühlen die Worte verlieh: „Das sind wirklich böhmische Dörfer!“

Was war zu thun? Entschlossen trat ich auf ein Haus zu und pochte an die Thür: ein Weib erschien, das ich nach seinem Aeußeren und nach dem Blick, den ich in das Innere der Wohnung warf, dringend in dem Verdacht hatte, die Mutter jenes vorhin erwähnten Buben zu sein. Ich frug wiederum nach der Lage des Wirthshauses und wies zu gleicher Zeit mein Quartierbillet vor; aber wiederum dieselbe Antwort: „Nerozumi“. Um mich verständlich zu machen, deutete ich nun auf ihr Haus und machte die Bewegung des Trinkens. Fest überzeugt, jetzt einen sichern Erfolg erlangt zu haben, schielte ich triumphirend seitwärts, um mich an den sicher über meine geschickte Zeichensprache staunenden Mienen der Soldaten zu weiden. Mit einer ungeheuren Zungenfertigkeit ergoß aber das Weib einen Schwall unverständlicher Worte über mich, aus denen ich nur das öftere, mit Betonung wiederholte „wodu“ (Wasser) verstand; dann stürzte sie in das Haus zurück und erschien mit einem Krug Wasser. Sie hatte geglaubt, wir wollten bei ihr trinken. Etwas beschämt schüttelte ich mit dem Kopfe, wies nochmals auf unser Quartierbillet hin und rief ihr mit stolpernder Zunge den Namen unseres künftigen Wirthes „Strzevo“ zu.

Laut lachte das Weib über unsern Barbarismus auf; aber wir waren zu erfreut, um dies zu strafen, als wir sahen, sie hatte unser Verlangen verstanden. Mit der Hand winkend eilte sie vor uns her und führte uns zu einem niedlichen Hause, das vortheilhaft von seiner Umgebung abstach. Wir traten hinein, und einem lieblichen Mädchen von ungefähr achtzehn Jahren, das uns entgegentrat, übergab ich, obgleich fest überzeugt, nicht verstanden zu werden, mit den Worten. „Zwölf Mann Einquartierung!“ unseren Zettel.

„Treten Sie gefälligst ein!“ ertönte zu unserer freudigen Ueberraschung aus dem Munde des Mädchens.

„Wie? Was?“ sagte ich, „Sie sprechen ja deutsch!“

„Nun, ist denn hierbei etwas zu verwundern?“ entgegnete sie schelmisch lächelnd. „Doch machen Sie sich’s nur bequem, ich werde unterdeß etwas zu essen besorgen;“ und wie eine kleine Elfe, so flink und hurtig, so zierlich und anmuthig verschwand sie durch die Thür, deren braune eichene Pfosten ihr liebliches Bild, das uns mit seinem blonden Haar und den funkelnden, lachenden blauen Augen so traulich anheimelte, gar eigen umrahmten. Noch sann ich nach, wie wohl eine solche Blume auf diesem Boden hatte entstehen und gedeihen können, als schon Z. jubelnd ausrief: „Hier ist es gut sein, Herr Lieutenant, wir haben den Vogel abgeschossen.“ Dann schnalzte er laut mit der Zunge, tanzte durch das Zimmer und warf einen verzweifelt verliebten Blick auf die geschlossene Thür, durch welche eben unsere kleine Fee verschwunden war. Unsere erste Sorge war nun, die Spuren des Marsches von uns zu entfernen. Z., ein Rheinländer, konnte damit nicht fertig werden, schon zum zwanzigsten Mal schaute er in den Spiegel, strich sich kühn die Haare zu einer stolzen Dolle empor und drehte dem Schnauzbart zwei schwungvolle Spitzen. Ueber seine siegeszuversichtliche Eitelkeit in ein helles Gelächter ausbrechend, verließ ich das Zimmer und trat in den Hof, als ich plötzlich hinter mir die wohllautenden Worte hörte. „Was erfreut Sie denn so, Herr Preuße?“ Und sieh! Das liebliche Mädchen stand hinter mir und schaute mich mit den blauen Augen so wundersam an. „Worüber lachen Sie denn so?“ wiederholte sie erröthend, da ich, ohne zu antworten, sie nur stumm anschaute.

„Wo wollen Sie denn hingehen?“ frug ich, da ich sah, daß sie ein leeres Körbchen in der Hand trug.

„Ach, nur in den Garten, um etwas Grünes für die Suppe zu holen,“ war die Antwort.

„Nun, dann werde ich Sie begleiten, wenn Sie es erlauben, und Ihnen den Grund meiner Heiterkeit mittheilen.“ Zögernd nickte sie, und munter plaudernd schritt ich neben der anmuthigen Gestalt hin. Wie wundervoll tönte ihr silbernes Lachen mir im Herzen wider; wie behende glitt das zarte Füßchen durch das duftende Grün, und wie geschäftig pflückte das Händchen die würzigen Blätter!

„Ich weiß nicht,“ sagte ich, „Sie sind doch wohl eine geborene Deutsche; woher reden Sie sonst wohl diese Sprache so rein, woher das blonde Haar und die Augen?“

„Ach!“ sagte sie, und trauernd und trüb umwölkte sich das zarte Antlitz. „Mein Vater ist ein Böhme, aber meine gute selige Mutter war eine Deutsche; ich hatte sie so lieb, so lieb, und mit gleicher Zärtlichkeit umfaßte mich ihr Herz, sie war so gar nicht wie die Frauen hier im Dorf, die so unreinlich und unwissend, so falsch und gefühllos sind. Ihr verdanke ich mein Wissen und die Kenntniß ihrer Muttersprache; allein wo sollte ich hier etwas lernen? Und manches schöne deutsche Lied, das ich aus ihrem Munde gehört, steht mir fest im Herzen eingeschrieben und seine sanften, treuen und milden Melodien beruhigen oft meinen Schmerz und die Sehnsucht nach der theuren Abgeschiedenen. Es ist dann, als spräche ihr Geist in den schmelzenden Tönen zu mir.“ Traurig senkte sie das Köpfchen. „Mein Vater,“ so erzählte sie weiter, „lernte sie in Prag kennen, heirathete sie dort und zog dann mit ihr hierher. Er hatte sie sehr lieb, aber er verstand das zarte Wesen meiner Mutter nicht, und so verletzte er sie oft, wo er es selbst gut mit ihr meinte. Dazu mochte noch kommen, daß sie sich unter diesem ungesitteten Volk stets fremd fühlte. So kümmerte sie hin und verschied wie ein zartes Pflänzchen, das nur auf heimischem Boden unter der sorgsamsten Pflege gedeihen kann. Mein Vater war sehr erschüttert von ihrem Tode, und der noch immer zehrende Gram hat ihn sehr darniedergebeugt, und so,“ setzte sie, sich von ihrer Traurigkeit aufraffend, hinzu, „führe ich eigentlich die Wirthschaft allein.“

„Dann müssen Sie auch gut Böhmisch sprechen?“ frug ich.

„O ja,“ erwiderte sie, „noch besser als das Deutsche; aber ich habe dieses in mein Herz geschlossen, als die Sprache meiner lieben Mutter, und freue mich jedesmal inniglich, wenn ich die Gelegenheit habe, mit Jemand einmal wieder in dieser Sprache zu reden. Doch Sie wollen gewiß Böhmisch von mir lernen?“ frug sie, mich schelmisch anblickend.

„Ich weiß nicht, wie mir in diesem Augenblick der Muth kam. „Ja, ja,“ nickte ich und schaute ihr in das rosige Antlitz; „was heißt denn im Böhmischen: ‚Holdes Mädchen‘?“

„Heska holka,“ antwortete sie zögernd.

Und dann fuhr ich fort: „‚Ich liebe Dich‘?“

„Já tebe mamrád,“ flüsterte sie.

„‚Gieb mir ein Küßchen‘?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_720.jpg&oldid=- (Version vom 14.6.2023)