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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

sich nach mir umwandte. „Sehen Sie nur, ich muß den Docht meines Geleuchtes höher schüren, sonst bläst mir die Luft das Flämmchen aus. Ach, und Ihre Blende ist schon ausgegangen,“ setzte er hinzu und hielt mir seine Lampe her, um die meinige daran wieder zu entzünden. „Man hat uns auch den Vorwurf gemacht, unsere Wetterführung tauge nichts, sie sei nach verrotteten Principien organisirt und wir hätten keinen künstlichen Ventilator gehabt. Das Letztere ist wahr, einen solchen Ventilator hatten wir nicht, und wir müssen nun auf amtliche Verordnung uns einen bauen. Ich kann Sie aber fach- und wahrheitsgemäß versichern, die Systeme dieser Ventilatoren, wie sie bisher in Gebrauch waren, die sogenannten Fabri’schen, hätten für unsere Zwecke durchaus nicht genügt; bei einem Kohlenbau, wie z. B. in Oberschlesien, wo der abzubauende Kohlenflötz oft nur einige zwanzig Lachter unter Tage streicht, mögen sie ausreichen, für unsern Tiefbau von zweihundertfünfzig Lachtern und mehr hätten sie keinen Effect machen können; da war unsere seitherige Wetterführung viel wirksamer. Von dem obern Füllorte allein wird ein Wetterstrom, der in den heißesten Tagen des August nicht weniger als 36905 Cubikfuß in der Minute beträgt, den östlichen Bauen dieses Schachtes hier und den sämmtlichen darüber befindlichen Bauen der Neuen Hoffnung zugeführt, während der zweite untere Füllort, der also, wo wir jetzt stehen, den westlich gelegenen Bauen, die übrigens von keiner beträchtlichen Ausdehnung sind, einen Wetterstrom von etwa zweitausend Cubikfuß in der Minute zuführt, welcher durch das Flache Nr. 7 in die tiefste Stelle des Hoffnungsschachtes eintritt, jene Zwölflachterstrecke, die wir mit einander befahren haben.

Aber nun genug der Belehrung! Sie werden müde sein, ruhen wir darum auf der Bank dort ein paar Minuten aus, ehe wir uns von der Maschine wieder an das Licht des Tages aufziehen lassen.“

Die Reise durch die Unterwelt war vollbracht, sonder Fährniß und Abenteuer. Von keinem bösen Wetter getroffen, von keiner Wand, von keiner Decke lebendig begraben, saß ich wohlbehalten auf der Bank im Füllorte, – allein das allerschlimmste, das weitaus gefährlichste Stück meiner instructiven Expedition, die Ausfahrt zum Lichte aus einer fast achtzehnhundert Fuß messenden Tiefe auf schwankem Gestelle, also in einer Art von Schlot in die Höhe, in welcher der Thurm des Straßburger Münsters nahezu vier und ein halb Mal übereinander gesetzt werden könnte! – das stand mir noch bevor. Der Gedanke hatte etwas unbeschreiblich Grausiges, – er betäubte mich beinahe, ein kleiner Riß nur des Drahtseils, dem wir uns anzuvertrauen hatten, ein Defect an irgend einer beliebigen Schraube oder Parcelle der Dampfmaschine oben, ein falsch verstandenes Signal, – und wir waren verloren. Aber wollten wir nicht noch drei Stunden durch Strecken und Gänge fahren, über endlose Planken und Stufen klettern, um wieder da an’s Licht zu steigen, wo wir eingefahren waren – und das möchten kaum meine Füße und Kniee erlaubt haben, – so blieb uns nichts Anderes übrig, als der Hebeweg.

„Schlagen Sie an,“ commandirte mein Genosse – „daß man einige Bohlen auf das Gestelle legt, damit wir mit den Füßen nicht durchtreten; und dann,“ wandte er sich zu mir, „wenn die so ausgestattete Schale wieder herunter kommt, dann in Gottes Namen darauf und zu Tage! Das Tau ist ganz neu; wie Sie sehen, auch stark genug; es ist aus neunundvierzig einzelnen Drähten vom besten Holzkohleneisen auf das Festeste zusammengeflochten und wiegt seine vierundfünfzig Centner. Das hält uns Zwei schon, trägt es die zwanzig und mehr Centner wiegenden vollen Hunde, dann trägt’s uns gewiß! Also diese Angst wenigstens scheuchen Sie sich aus der Brust.“

Während wir auf unsere Reisekutsche warteten, theilte er mir noch einige Einzelheiten der Augustkatastrophe mit.

„Der Luftdruck war unter Anderem so gewaltig,“ erzählte er, „daß er hier das gesammte Holzwerk des Förderschachts zur Seite, zum Theil auch auseinander gepreßt hatte; und manche Stempel und Deckenbalken drüben im Hoffnungsschachte standen völlig umgedreht da, als wir zuerst eindrangen. Auch werden Sie bemerkt haben, wie, und lediglich durch diesen Luftdruck, in dem so schön gemauerten Querschlage, den wir vor wenigen Minuten durchwandert sind, ganze ellenlange Stücke aus dem Deckengewölbe, manchmal viele Zoll tief, gerissen waren. Daß alles Holzwerk darin und hier im Segengottesschacht überhaupt erneut werden mußte, haben Sie jedenfalls auch wahrgenommen. Die Wiederherstellung der Werke kostet Hunderttausende von Thalern, doch das möchte Alles sein, unser Chef ist reich, sehr reich, einen Andern hätte das Unglück vielleicht finanziell ruinirt, ihn ruinirt es nicht. Aber die Menschen, meine armen Cameraden – das frißt ihm und uns Allen am Herzen. Und das Aufsuchen, das Heraushacken und Herausschaufeln der Todten, das ich so manchen Tag mitgeleitet habe, und bei dem man in beständiger Gefahr schwebte, entweder in den bösen Wettern zu ersticken oder von dem Getrümmer erschlagen zu werden – es war entsetzlich, viel entsetzlicher, als es irgend eine Schilderung dargestellt hat und dazustellen vermag! Welche Scenen boten sich uns dabei dar! Bei einer habe ich damals laut aufgeweint. Denken Sie, da draußen, gar nicht weit von hier, fanden wir die Leiche eines alten, grauhaarigen Häuers liegen, und fest an sie geschmiegt, das hübsche, blonde Köpfchen an den breiten Rücken des Greises gepreßt, wie um hier Asyl und Stütze zu suchen, ruhte der Körper eines kaum sechzehnjährigen Burschen, eines sogenannten Hundejungen Es war unser hübschester Junge, ein allerliebster, von Allen wohlgelittener Mensch. Ich habe den Anblick lange nicht aus den Augen bringen können!“

Die Kette rasselte, die Förderschale stampfte polternd auf – jetzt galt es!

„Schlagen Sie Achtung!“ gebot der Einfahrer.

Es geschah.

„Signalisiren Sie nochmals Achtung, damit man oben ganz besonders auf der Hut ist!“

Auch das erfolgte.

„Und nun herzhaft vorwärts!“

Die sechs ominösen Schläge wurden gethan, die einen Menschentransport ankündigen, jene Schläge, die ich damals so oft mit klopfendem Herzen gezählt hatte oben in der Kaue, als sie die Ankunft neuer Opfer bedeuteten, und wir stiegen auf das Gestell, mein Geleiter links, ich zur Rechten.

„Bücken Sie sich, daß Sie sich nicht den Kopf einstoßen, und halten Sie sich fest am Gestell an.“

Dann faßte er mich selbst am Kittel, und – neues Kettengerassel, langsam, unsäglich langsam bewegte sich unser Vehikel in die Höhe. Dicht vor mir lag die enge Wand des Schachtes, aber bald sah ich nichts mehr, mir schwindelte, und ohne den Halt an meinem Gefährten wäre ich unbedingt umgesunken und – verloren gewesen. Nach einigen Secunden schwand der Taumel, allein nur um desto unangenehmeren Empfindungen Platz zu machen. Von Zeit zu Zeit, jedenfalls durch ungleiche Aufwickelung des Taues, geschah die Bewegung ruckweise, so daß der ganze Körper zitterte und jedes Mal mir der Gedanke kam, der Apparat zerbreche oder stürze unregiert in die endlose Tiefe hinab. Es war buchstäblich, im eigentlichsten Sinne des Wortes Todesangst, was ich litt. Der kalte Schweiß perlte mir auf der Stirn, dazu tropfte mir das Wasser durch den Kragen meiner Blouse auf den Hals und bis auf den Leib hinab, daß ich immer unwillkürlich zusammenzuckte, und die Luft heulte in dem tiefen Schlauche, als seien zweimalhunderttausend Teufel um uns losgelassen.

„Sind wir jetzt bald oben?“ frug ich meinem Nachbar mit matter Stimme.

„Noch nicht die Hälfte,“ lautete seine niederschmetternde Antwort.

Nein, ich kann es nicht länger ertragen! dachte ich, und von Neuem begann mich Schwindel zu umnebeln, wie scheinbar die Wand des Schachtes vor mir in die Tiefe hinabglitt. Dann wieder zogen alle möglichen Visionen an mir vorüber, mein unglückbedeutendes Umkehren oben am Eingang zur Tagesstrecke fiel mir ein und anderes tolles Zeug mehr, meine Pein stieg von Secunde zu Secunde, bis ich auf’s Neue halb bewußtlos stand und von meinem Führer fester gepackt wurde.

Ein neuer, diesmal Mark und Bein erschütternder Ruck. „Jetzt aber ist’s wirklich aus!“ dachte ich, aus meiner Betäubung aufgerüttelt – allein siehe da! von oben kommt’s heller und heller herein und langsamer, immer langsamer geht die Fahrt – wir nahen dem Tage. Und doch, diese letzten Secunden schienen die fürchterlichsten; denn je näher der Oberfläche, desto tiefer war der Sturz. Aber das Tau riß nicht, die Schraube gab nicht nach, kein Unheil ereignete sich; nur noch ein Ruck und Schlag kam, doch es war der letzte. Wir waren oben in der bergenden Kaue, das Gestelle stand mit dem Niveau ihrer Diele gleich, die

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