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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Ihr kennt sie so, die rührende Gestalt,
Die sanft das Haupt zur Erde niedersenkt,
Sich beugend vor des Todes Allgewalt
zum Staube träumerisch die Blicke lenkt.

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So neigt die reife Aehre sich zur Erde,

Wenn ihr der Schnitter mit der Sense naht,
Und bietet mit demüthiger Geberde
Ihm ihre Früchte dar als neue Saat

Er war der unsre‘ - so, so stand er da:

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‚Den Leiden und dem Tode früh vertraut‘,

Bevor das Unvermeidliche geschah, -
So haben unsre Väter ihn geschaut!
Er war der unsre - nein. wir sind die Seinen!
Er ist und lebt! kein Tod hat ihn geraubt!

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Und nie und nimmer wird der Tag erscheinen,

Wo Er zum Staube neigt sein edles Haupt!

Er lebt und strahlt, wie heut, so immerdar,
Geschlechter schau’n Ihn im Vorübergehn
Und neigen Ihm sich, den unwandelbar

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Sein Licht ausstrahlend sie am Himmel sehn.

Das ist der Dichter, der befreit vom Scheine
Der Sterblichkeit vor Geistesaugen schwebt!
,Was uns noch Alle bändigt, das Gemeine,
Liegt hinter ihm’: Er hat gesiegt! Er lebt!“

Und als in diesem Augenblick die Hülle fiel, mußte vor diesem Bilde Jedermann der Wahrheit Beifall zollen von Marbach’s Schlußworten.

„O sehet, wie mit ahnungvollem Graus
Der Künstler unsern Schiller einst geschaut.
So blickt der Dichter in die Welt hinaus,
Die ihm gehört, die sich sein Geist erbaut!
So steht er da verklärten Angesichtes,
Vom Weltbeherrschermantel stolz umwallt,
Aus seinen Augen quillt ein Strom des Lichtes,
Ans seinem Munde Geistes-Allgewalt!“

Ja, so lebensstolz in Haltung und Blick tritt aus dieser Leinwand Friedrich Schiller’s Haupt hervor, als ob sein „Freude, schöner Götterfunken“ ihn noch auf den Lippen schwebte. Es ist offenbar, daß hier ein Künstler es gewagt, die gewöhnlichere Auffassung Schiller’s, die uns neben dem tiefen Denker den körperlich leidenden Mann nicht vergessen läßt, zu vermeiden und das gesunde, kühne, geistige Wesen des großen Dichters in dessen bildlicher Erscheinung allein wiederzugeben.

Woher kam aber dieser seltene Schatz? In einer Leipziger Auction ward das Gemälde vom Vereins-Vorstand erstanden, zu dessen Pflichten es gehört, alle literarischen und artistischen Werke, welche für seine Schiller-Andenken-Sammlungen in dem, dem Vereine gehörigen Häuschen in Gohlis, in welchem Schiller 1785 gewohnt, sich eignen, aus der Vereinscasse zu erwerben. So unscheinbar und verschwärzt das Bild war, so ließ es doch Schiller’s energische Züge und einen guten Künstler nicht verkennen. Aber erst nachdem ein Meister in der Restaurirung, der Leipziger Maler A. F. Schiertz, es in seiner ursprünglichen Schönheit wieder hergestellt und links am Rande die Inschrift entdeckt hatte. „Tischbein p. 1804“, erkannte man seinen Werth ganz und fand es angemessen, die Uebergabe desselben an den Verein der Festfeier einzuverweben.

Für Leipzig hat das Bild sogar doppeltes Intereste, insofern es von einem seiner Akademie-Directoren herrührt. Den Namen Tischbein tragen zwölf Maler und zwei Malerinnen. Johann Friedrich August Tischbein, 1750 in Maestricht geboren, wurde, nachdem er sich in Frankreich und Italien gebildet und in Holland, Arolsen und Dessau sich als Familienportraitmaler Ruf erworben, im Jahre 1800 Oeser’s Nachfolger als Director der Kunstakademie in Leipzig. Dort verkehrte er mit Schiller im December 1801 und im April 1804, und damals wurde unser Bild, und zwar im Auftrag von Schiller’s Verleger Crusius, gemalt und im folgenden Jahre auf der Kunstausstellung in Dresden gezeigt.

Eine Copie in Oelfarben hat mit Bewilligung des Vorstandes des Schillervereins der Maler Robert Krause in Leipzig für den Componisten Richard Wagner ausgeführt. Um das für alle Zeit hochbedeutsame Werk Tischbein's der Nachwelt sicher zu erhalten, hat der Vereinsvorstand dasselbe mit Vorbehalt des Eigenthumsrechtes des Leipziger Schillervereins dem Städtischen Museum zu Leipzig übergeben, für das Schillerhaus zu Gohlis aber eine lebensgroße Copie in Kreidezeichnung von dem Maler M. Müller herstellen lassen; demselben Künstler wurde zugleich gestattet, das Werk in kleinerer Ausführung nachzubilden, und so ist es jetzt den weitesten Kreisen zugänglich gemacht.

F. H.





Im Grabe der Verschütteten.

(Schluß.)


„Jetzt einmal eine Excursion da rechts hinein!“ sprach mein Cicerone im Orcus. Ich sah nach der angedeuteten Richtung hinab; da unten blitzten zwei Lichterchen herauf. In ein paar Augenblicken hatten wir sie erreicht. Wir waren „vor Ort“, mitten drin in einer ansehnlichen, hohen, gerundeten Höhle, die man aus dem Kohlenflötze herausgearbeitet hatte, und Decke und Wände der Grotte glänzten von den schönsten, massiven, schwarzen Diamanten.

„Glückauf! Glückauf!“ rief’s von Neuem herüber und hinüber. Zwei Häuer, schon ziemlich bejahrte Gesellen, hatten hier ihr mächtiges Arbeitsfeld; um einen weiteren Umblick zu haben, trugen sie ihre Blenden hoch oben an den Hüten, und die umherliegenden Kohlenblöcke und ein hinter ihnen gefüllt stehender Korb bekundeten, daß sie ihre Schicht tüchtig ausnützten. Diese Körbe holen dann die Förderleute ab und entleeren dieselben in die oben auf der Förderstrecke bereitgestellten Wagen. Das Werkzeug des Häuers, das „Gezähe“, wie es in der Bergmannssprache heißt, ist sehr einfacher Art; sein Hauptinstrument bildet die Keilhaue. Mit derselben schlägt er unter die abzubauende Kohlenmasse zunächst einen horizontalen, anderthalbe Elle tiefen Einschnitt, den Schram. In diesen wird alsdann mittels eines eisernen Bohrers ein etwa sechsunddreißig Zoll tiefes und drei Viertel Zoll weites Loch ausgegraben, in welches die an die Zündnadel, einen Eisenstab, gespießte, zwölf Zoll lange Pulverpatrone zu liegen kommt. Oben rammt man das Bohrloch mit einer festen Masse zu, „besetzt“ es, wie das Kunstwort lautet. Aus Patrone und Besatz wird hierauf die Zündnadel wieder herausgezogen und so der Zündcanal gewonnen. Eine Rakete bewirkt schließlich die Explosion, durch welche die Kohlenblöcke von der Wand losgesprengt werden. Damit nun aber Decke und Wände der ausgehöhlten Grotte nicht am Ende einstürzen, wenn sie der stützenden unteren Kohlenschichten beraubt sind, schlägt der Häuer, je weiter er im Abbauen vorrückt, immer mehr Träger oder Stempel, dicke Holzpfosten, ein, welche einem Zusammenbrechen des Gewölbes vorbeugen.

Von noch zwei oder drei solchen „Orten“, an deren jedem stets blos zwei Häuer zu arbeiten pflegen, sahen wir auf unserer Weiterfahrt die Blenden heraufblinken, alle anderen lagen abseits unserer Tour, in den von uns nicht berührten Seitenstrecken, viele schon weiter oben. Solcher „Orte“ oder Arbeitsstellen zur Kohlengewinnung enthält das Neue-Hoffnungswerk augenblicklich vierzig, ebenso viele der Segen-Gottesschacht, doch können noch mehrere „belegt“, d. h. von Arbeitern abgebaut werden. Da nun vor jedem „Orte“ immer zwei Häuer während einer Schicht beschäftigt sind und die Tagesarbeit in drei Schichten eingetheilt ist, so ergiebt sich hieraus für jedes der beiden Werke eine Gesammtzahl von zweihundertundvierzig Häuern.

Das Quantum von Kohle, welches ein Häuer pro Schicht gewinnen kann, ist natürlich hauptsächlich von der festeren oder weicheren Beschaffenheit des Kohlenflötzes abhängig, im Durchschnitt läßt sich indeß annehmen, daß ein geübter Häuer während einer achtstündigen Schicht fünf bis sechs Tonnen Kohle losbricht. Sonach würden die beiden vereinten Gruben täglich die erkleckliche Summe von zweitausendvierhundert bis zweitausendneunhundert Tonnen Kohle liefern.

Bis jetzt hatte ich von der durch das Unglück verursachten Zerstörung nur wenige Spuren zu Gesicht bekommen, höchstens sah ich dann und wann an einem neuen Deckenbalken da und dort an einem frischen Stempel, daß das Zimmerwerk theilweise zertrümmert

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 712. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_712.jpg&oldid=- (Version vom 12.11.2022)