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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

einzelnes Haar heraus- und herabzog, so reichte es bis an die äußerste Spitze des Zeigefingers des ohnedies schon sehr langen Arms. Man hätte sehr gut weit hinabreichende starke Zöpfe aus den Haaren dieses Backenbartes flechten können. Die Haare dieses Backenbartes waren überdies schon von Natur wunderbar schön gekräuselt. Der Ton und die Stärke seiner Stimme waren seinem riesenhaften Körper ganz angemessen. Er sprach stark und tief, verständlich und gemessen. Sein Gang war ganz der eines Ritters, würdevoll, aristokratisch, der Schritt abgemessen, die ganze Bewegung männlich graziös. Sein Mund war voll der schönsten Zähne, und diese hatten eine solche Stärke und standen so fest, daß er einst aus der Langen Bahn einen stämmigen Mann blos mit den Zähnen am Hosenbund frei in die Höhe hob.

Durch seine Gemüthsart zeichnete sich unser Comthur vor vielen Andern bestens aus. Er war theilnehmend, mitleidig, wohlthätig. Die Armen strömten an gewissen sogenannten Gehtagen fast in Schaaren zur Langen Bahn; schuldlos Herabgekommene wurden im Stillen vom ihm unterstützt. Eine andere schöne Eigenschaft unseres Ritters war, daß, wenn er bisweilen allerdings in heftigen Unwillen gerieth, er in diesem Affect sich nie zu weit vergaß, um nicht seinen Zorn zur rechten Zeit zu bändigen. Einst benahm sich ein Knecht des Hofes gegen den Pachter äußerst roh und ungezogen. Der Ritter sah und hörte es, am Fenster stehend, eine Zeit lang ruhig mit an. Als aber der Knecht es allzu arg machte, trat er heraus, faßte den Sünder oben am Kragen, hob ihn wie einen leichten Flederwisch hoch in die Höhe, stellte ihn dann in einen ganz in der Nähe stehenden, bis oben mit Wasser angefüllten Braubottich, tauchte ihn drei- oder viermal in aller Ruhe bis über den Leib unter, hob ihn dann heraus, legte ihn auf Rasen und rief ihm nun eine derbe donnernde Ermahnung zu. Der arme Kerl regte sich vor Schrecken nicht mehr, der Ritter aber ging, still in sich lächelnd, wieder in’s Haus zurück. Noch in demselben Jahr heirathete dieser Knecht, und der Comthur gab der Braut eine schöne Aussteuer.

Das häusliche Leben unseres Comthur war sehr einförmig, ein Tag fast wie der andere. Von vielen Besuchen war nicht die Rede, da die Lange Bahn für Viele zu weit entfernt und der Comthur selbst ungemein eng, im Grunde sehr schlecht logirt war. Doch sah er es gerne, wenn Gymnasiasten, Studenten, reisende Schauspieler etc. auf kurze Zeit bei ihm sich einfanden, da er von lustigen Streichen, Schnurren, Anekdoten gerne hörte; auch mit Handelsleuten, Juden, Hökerinnen etc. unterhielt er sich gern, da sie ihm allerlei Neuigkeiten zutrugen; doch banden sie ihm auch manchen Bären auf.

Ein besonderes Geschäft machte er sich daraus, die Wolken zu beobachten, deren Lauf, Richtung, Bewegung, Farbe, Zertheilung etc. Vom gestirnten Himmel hatte er nicht zu verachtende Kenntnisse, denn da er die meisten Nächte außer dem Bett zubrachte – er ging erst drei oder vier Uhr Nachts zu Bett, um Vormittags zehn oder elf Uhr aufzustehen – so benutzte er gern die lange nächtliche Zeit zur Beobachtung der Bewegung der Sterne. Vom Schreiben, Briefschreiben und dergleichen war er kein Freund; Schreibmaterialien gehörten bei ihm zu den größten Seltenheiten.

Einst hatte er den Einfall, eine Anzahl Mädchen aus der Umgegend auf die Lange Bahn zu sich zu einem Kaffee einzuladen. Sie stellten sich alle ein. Es war ein Sonntag und unter freiem Himmel wurde getäfelt. Bald überreichte eines der Mädchen dem Comthur einen schönen mit Bändern geschmückten Kranz, wozu sie einige Worte des Dankes sprach. Die Unterhaltung wurde immer lebhafter, fast bis zur Ausgelassenheit. Die Mädchen neckten den Comthur besonders deshalb, weil er nicht heirathen dürfe, warum er denn in einen so wunderlichen Stand oder Orden eingetreten sei etc. In fröhlichem Uebermuth brachten sie ihm einen zweiten Kranz, der gerade das Gegentheil von dem ersten war, nämlich einen Trauerkranz, ohne alle Blumen und mit schwarzem Flor oder Crep umwickelt, damit er wegen seines ehelosen Lebens ja recht trauern möge. „Ihr seid halt lose, durchtriebene Dirnl,“ sagte unser Comthur, der im gewöhnlichen Leben in der süddeutschen, alemannischen Mundart sprach, als er den Trauerkranz sah. „Müsche denn alle Mannsen heirathe? Ja, wenn alle Weiber gut wären. Wasch thut mer denn mit so anem Brummeise? Bei mir zu Land spreche gar viele Ehemannen ein Sprüchwort, das lautet: ‚Meine Frau heißt Lisabeth, wenn ich nur eine andre hält’.‘ Es muß auch alte Junggeselle gebe, wie’s auch alte Jungfere giebt.“ Der kecke Scherz störte seinen Gleichmuch so wenig, daß er sogar zu guter Letzt jedem Mädchen noch eine Düte mit sogenanntem Gregoriuszucker mit auf den Weg gab.

Daß dieser stattliche Körper auch gehörig versorgt sein wollte und daß die Leibesnahrung und Nothdurft das wichtigste Departement der Verwaltung auf der Langen Bahn war, versteht sich wohl von selbst; uns interessirt nur die kluge Absonderlichkeit, daß der Comthur fleißig auf Anordnung seines Freundes Trebra durch die Förster und andere Personen auch, mit Fischottern versehen wurde, weil nach den Satzungen der katholischen Kirche die Fischotter in Bezug auf ihr Fleisch nur für Fisch gilt und auch an den Fasttagen genossen werden darf.

Weil der Comthur in einer stockprotestantischen Gegend lebte und daher weit und breit weder eine katholische Kirche noch einen katholischen Priester fand, so hielt er um so strenger die Fasttage, da dies ohne eine Kirche und ohne einen Priester geschehen kann; und deshalb war er auch mit Fischen immer reichlich versehen. An den höchsten Festtagen seiner Kirche erschien er in seinem ganzen Ritterornat, ebenso an seinem eigenen Namenstag sowie dem des Papstes. Dazu ließ er bisweilen einen Capuzinermönch von Königshofen (im Grabfeld) kommen, der sich dann mehrere Tage lang auf der Langen Bahn aufhielt. In seinem Wohnzimmer sah man übrigens kein Heiligenbild, in seiner Hand nie einen Rosenkranz oder ein Brevier.

Gegen alles Erwarten verbreitete sich wenige Jahre später in Schleusingen das Gerücht, der Comthur sei Willens, die Lange Bahn für immer zu verlassen. Und so geschah es auch. Er zog von da weg und ist noch nicht in der Mitte der vierziger Lebensjahre stehend im Elsaß, wie man erzählte, in Folge von Schlagflüssen gestorben. Um dieselbe Zeit wurde die Lange Bahn vom Staat eingezogen und zum Staatsgut geschlagen. Die Gebäude wurden sammt und sonders abgebrochen, Alles der Erde gleich gemacht, das ganze Ackerland hörte als solches auf, es wurde mit Tannensamen besäet und mit Tannenpflanzen bepflanzt. Von der ehemaligen Langen Bahn sind gegenwärtig kaum noch einige Spuren aufzufinden. Ein hochragender Tannenwald ist an die Stelle des letzten Johannitersitzes getreten.

Alle Poesie ist ursprünglich Volkspoesie. Das Volk lebt mit ganzer Seele in dem Kreise des Wunderbaren, nicht allein der Märchen, sondern auch des Ritterlichen. Es müßte nun wunderlich zugehen, wenn der Ritter von Andlau auf der Langen Bahn für immer verschollen wäre. Nein! das ist er nicht, er lebt im Munde des Volkes noch fort. Schon bald nach seinem Tode läßt das dichterische Volk des Ritters Geist auf der Langen Bahn umgehen, besonders zur Zeit der zwölf heiligen Nächte. Man hört ihn da reden und rufen, man hört das Wiehern und Stampfen seines Pferdes, die ganze Lange Bahn scheint wiedererstanden zu sein. Auch der Geist eines Waldfräuleins, einer früheren Geliebten des Ritters, erscheint von Zeit zu Zeit in einem weißen Schleier, weinend, rufend, die Arme ausstreckend. Ja, die Lange Bahn ist verödet, verschwunden, der Ritter aber lebt noch fort.




Der Peterspfennig sonst und jetzt.

Mit Abbildung.

Im Dominicanerkloster zu Leipzig starb vor nun gerade vierthalbhundert Jahren, also schon zwei Jahre nach dem großen Thesenanschlag von Wittenberg, der Mönch, welchem unter den Tausenden von päpstlichen Ablaßpredigern das Loos gefallen ist, einen Namen von der unbeneidetsten Unsterblichkeit davon zu tragen. Es ist bemerkenswerth, daß dieser Johann Tetzel in seiner Person das damalige Pfaffenwesen leider nur allzu vollständig repräsentirte. Wir dürfen dem freundlich gemischten Kreis unserer Leser gar nicht zumuthen, sich vor ein wahres, unverschleiertes Bild des Lebens und Treibens der Geistlichen und besonders der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 637. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_637.jpg&oldid=- (Version vom 19.10.2022)