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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Alexandrine Tinne.

„Eine schöne blendend weiße Tochter des Sultans der Sultane, der Großherrlichkeit von Stambul, durchzog jüngsthin Jahre lang, mit vollen Händen spendend und dadurch überall die Herzen gewinnend, die unwirthlichen fernen Gegenden seines weiten Herrschergebietes in Afrika.“ – So glaubten wenigstens in ihrer Naivetät die wilden Naturvölker im Innern des großen Wunderlandes, das jetzt allmählich unserer Kenntniß erschlossen wird. Wie konnten sie wohl fassen, was in Europa selbst befremdlich erscheint, daß eine junge schöne Dame von zartem Körperbau bei einer reichen Ausstattung mit allen Glücksgütern dieser Welt, getrieben von einem in ihrem Geschlecht so seltenen Wissensdrang, beitragen wollte, das uralte Problem von der Entstehung des Nilstromes, dem schon so viele kühne Männer zum Opfer gefallen sind, seiner Lösung zuzuführen? Der Telegraph meldete kürzlich die Trauerkunde, daß Alexandrine Tinne, die fabelhafte Prinzessin und Tochter des Nachkommen der Khalifen, von den Tuaregs ermordet sei, jener wildesten und berüchtigtsten Bevölkerung der pfadlosen Sahara, die, um immer unkenntlich zu sein, gleich den ägyptischen Frauen ihr räuberisches Antlitz stets gänzlich verhüllt tragen.

Fräulein Tinne war auf dem Wege von Murzuk nach Ghat begriffen, als eines Morgens die Kameeltreiber beim Aufladen unter sich zu streiten begannen, worauf Fräulein Tinne’s beide holländische Diener aus dem Zelte gingen sie zu trennen, leider ohne Waffen. In diesem Augenblick stand Fräulein Tinne in der Thür des Zeltes mit dem Chef der Tuaregs, denen sie früher schon merkwürdiger Weise Vertrauen genug geschenkt hatte, um sie zur Besichtigung ihres Lagers einzuladen. Sie trat dann vor, um nach der Ursache des Streits zu fragen, wurde aber im selben Augenblick von hinten mit dem Schwerte niedergeschlagen. Auf ihr Schreien kamen die beiden christlichen Diener hergelaufen, um zu den Waffen zu greifen, wurden aber auf der Stelle getödtet. Die Tuaregs stürzten nun auf die eisernen Wasserkisten, glaubend, daß diese die Schätze enthielten, und dies muß als Grund der Ermordung angesehen werden. Fräulein Tinne’s tragischer Tod ist ein großer Verlust für die wissenschaftliche Durchforschung Afrika’s. Die größere Expedition, die sie zum Sultan von Bornu im Herbst zu unternehmen gedachte, bis wohin sie in der Nähe von Ghat unter Zelten leben und ihre geschwächte Gesundheit stärken wollte, würde uns unzweifelhaft viel des Interessanten gebracht haben, dessen wir jetzt durch die Goldgier und schreckliche Grausamkeit jenes afrikanischen Räubervolkes für immer beraubt sind. Mit der schönen Alexandrine ist einer unserer kühnsten afrikanischen Pioniere begraben.

Die Mutter des Fräuleins Tinne war eine Hofdame der Königin von Holland und stammte von der ihrer Kunstliebe wegen bekannten freiherrlichen Familie von Steengracht-Kapellen ab; der Vater, ein Engländer, war Kaufmann; ihn verlor die Tochter schon in ihrem fünften Lebensjahre. Als Erbin eines Millionärs ward es der jungen, auch durch Schönheit und lebhaften Geist brillirenden Dame leicht, einer Leidenschaft sich ganz hinzugeben, welche sie ihr ganzes Leben hindurch gefesselt hat, – der, die Welt kennen zu lernen und sie nach allen Seiten zu durchstreifen. Die geistvolle Königin von Holland liebte die junge Dame und öffnete ihr den Zugang zu verschiedenen Höfen Europa’s. Als schöne gewandte Amazone, welche mit außerordentlicher Sicherheit und Geschicklichkeit die wildesten Pferde tummelte, zog sie eben so wie durch die Anmuth ihrer Erscheinung und den Ruf ihres Reichthums die Aufmerksamkeit vieler Cavaliere auf sich, die aber vergeblich um Herz und Hand der Schönen warben; zwei Barone sollen ihr selbst bis Khartum gefolgt sein. Die Liebe der Dame schien ausschließlich der wild-grandiosen Natur zugewendet zu sein; ihre schroff ausgeprägte Eigenart erschien der großen Masse unbegreiflich, und es war daher natürlich, daß die wunderlichsten Gerüchte über ihre Abneigung gegen die Rosenketten der Ehe im Umlauf waren. Man wollte sogar wissen, daß die Liebe zu einem Prinzen sie in die Wildniß getrieben habe. Aber von allen Behauptungen ist mir diese besonders unwahrscheinlich, da Fräulein Tinne in der Unterhaltung stets eine äußerst freisinnige sociale und politische Anschauung bekundete.

Ihre erste größere Reise galt dem Nordcap, wo sie mit dem norwegischen Maler Saal, der durch seine nordischen, in der Dämmerung heller Nächte ruhenden Landschaften einen Namen erworben, bekannt wurde. Von diesem wurde mir manche interessante Anekdote über das Reiseleben in den hohen nördlichen Regionen mitgeteilt.

Schon im achtzehnten Lebensjahre machte die Dame eine Tour durch Kleinasien, Syrien und Aegypten, und seit jener Zeit hat sie die Liebe zu dem Wüstenleben und das Interesse an allen Entdeckungen des uns immer noch so unbekannten und räthselhaften Afrika nicht aufgegeben. Sie hatte in ihrer Vorliebe für den Orient die ägyptische Tracht adoptirt, welche der hohen blonden Gestalt sehr wohl stand; sie duldete nur afrikanische Diener und Dienerinnen, was ihr die Kenntniß der Sprache ermöglichte. Sogar einen Eunuchen engagirte sie zu ihrem Schutze oder vielmehr – weil es bei vornehmen türkischen Damen der Anstand erheischt, von einem Haremswächter geführt zu sein, wie bei uns Damen nicht allein, ohne von einem Diener begleitet zu sein, auszugehen pflegen.

Als ich eines Tages aus der Schubrahallee, wo die Equipagen des Harems des Khedive und der Paschas vorüberrollten, lustwandelte, begrüßte mich durch freundliche Hand- und Kopfbewegung eine verschleierte, in schillernde Seide gehüllte Frauengestalt. Das Erstaunen meines Begleiters, der durch langjährigen Aufenthalt die strengen Sitten der orientalischen Frauen kannte, war größer, als das meinige; ich dachte zuerst an eine scherzhafte Mystification, bis ich an den begleitenden Sclaven erkannte, daß der Gruß von Fräulein Tinne ausging. Ich war mit derselben nach ihrer Rückkehr von der großen Expedition in’s Gazellenstromgebiet durch Herrn Th. v. Heuglin bekannt geworden; zugleich hatte ich den englischen Consul für Central-Afrika Herrn Peterick kennen gelernt, welcher auch in Begleitung seiner Frau (gleich dem Nilquellenforscher Samuel Baker) in jenen Regionen des Gazellenstromes im Auftrage der englischen Regierung der Entdeckungsexpedition von Speke und Grant entgegengereist war. Nach jahrelangen Mühsalen waren sie jetzt wieder in eine civilisirte Gegend gekommen, und ich war der erste Europäer, der sie wegen ihrer Ueberwindung so furchtbarer Schwierigkeiten beglückwünschen konnte.

Fräulein Tinne war damals in ihrer Stimmung sehr herabgedrückt; sie hatte auf der Reise in Folge des mörderischen Klima’s ihre Tante und ihre Mutter, die ihr gefolgt waren, und von denen sie abgöttisch geliebt war, verloren. Außerdem war ihr Leibarzt, der Botaniker Dr. Steudner, welcher mit Heuglin zugleich von ihr zur Expedition engagirt war, ebenso wir ihre europäischen Kammerjungfern klimatischen Epidemien erlegen. Gleichwohl sprach mir die Dame wiederholt die Absicht aus, nie wieder nach Europa zurückzukehren, und wiederholentlich bekräftigte sie ihre Absicht, obgleich auf die Kunde von ihrer Ankunft in Aegypten ihr Stiefbruder aus England herbeigeeilt war, sie dem Schauplatz so mörderischer Unternehmungen zu entführen. Sie blieb allen Verlockungen gegenüber standhaft und verfolgte vielmehr den Plan, sich bei Kairo oder auf der Nilinsel Rhoda, wo sich die von einer südlichen Vegetation strotzenden Gärten Ibrahim Pascha’s befinden, ein Schloß zu bauen. Zu diesem Zweck ließ sie von dem Baumeister des Vicekönigs Herrn Franz-Bey (aus Wiesbaden), dem Erbauer des königlichen Schlosses von Ghesirah, Pläne entwerfen; auch mit dem berühmten Architekten in maurischem Styl, Herrn von Diebitsch, meinem langjährigen Freunde, der leider vor Kurzem seinem großen Wirkungskreis als ein Opfer der Blattern-Epidemie entrissen wurde, verhandelte sie über architektonische Entwürfe.

Bei ihren Bauplänen huldigte Fräulein Tinne einer sehr excentrischen Geistesrichtung, nichts war ihr phantastisch, nichts labyrinthvoll genug. Die arabische Architectur mit ihren sich verschlingenden Arabesken, mit der Unregelmäßigkeit in der Höhe der aneinanderstoßenden Räume, mit ihren Erkern und Säulenstellungen, war dieser Neigung äußerst günstig. Der Vicekönig von Aegypten, dem die Ansässigkeit der holländischen Dame unbequem war, verhinderte indeß mit Hülfe der Verwandten ihre architektonischen Entwürfe. Fräulein Tinne führte beim Khedive gegen den Pascha von Khartum einen Proceß wegen einer ihr von diesem widerfahrenen Unbill. Der Vicekönig wollte aber die verlangte Absetzung des Pascha nicht gewähren, obgleich das Unrecht desselben offenbar

war. Hierin lag das Interesse, die dauernde Niederlassung des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 601. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_601.jpg&oldid=- (Version vom 4.10.2022)