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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

zu machen und so wieder die unbestrittene Erbin zu werden, als Benedicte? Ein Zweifel an ihrer Schuld stieg in keines Menschen Seele auf – und ich, sollte ich sie rechtfertigen? Wahrhaftig, es war mir nicht zuzumuthen. Mir konnte diese Deutung nur willkommen sein. Was stand in dem Briefe, den sie ihrem Vater hinterlassen? Eine Erklärung ihres Schrittes, Klagen über die Gewalt, welche man ihrem freien Willen anthun wollen … das gewiß! Aber nicht auch mehr? Rächte sie sich nicht, indem sie uns anklagte? indem sie Deinem Manne das Geheimniß unserer Liebe verrieth? indem sie ihm alles aufdeckte, was sie beobachtet, durchschaut hatte? Ich zweifelte keinen Augenblick daran. Und was kam nun mehr im richtigen Momente, was entscheidender uns zu Hülfe, als dieser Verdacht, diese Ueberzeugung von der nichtswürdigen Handlung Benedictens – Dein Mann konnte, es mochte nun in dem Briefe stehen, was da wollte, nicht das mindeste Gewicht auf die Anklagen Benedictens wider ihre Stiefmutter mehr legen – die Anklagen eines Geschöpfes, das so zu handeln fähig!“

„Gewiß, gewiß, es war sehr politisch, sehr edel, daß Du schwiegst, und auch mich in dem Wahne ließest,“ sagte Marcelline bitter und ohne Duvignot anzusehen.

„Aber dieser Elende, dieser Grand, der mich so betrog!“ knirschte Duvignot ingrimmig zwischen den Zähnen. „Er ist mir unbegreiflich …“

„Mir nicht,“ sagte Marcelline mit leisem, aber fast höhnischem Tone. „Er entledigte sich des Kindes, das ihm eine Last war. Hätte sich seine Hoffnung erfüllt, wäre er der Mann Benedictens und der Eigenthümer ihres Erbes geworden, so war es für ihn viel beruhigender, Leopold ganz beseitigt als in Deinen Händen zu wissen. Du konntest später jeden Augenblick den Knaben wieder auftauchen lassen, um für ihn sein Recht zu fordern; Grand war in Deine Hände gegeben, so lange Leopold in Deinen Händen war – darum ließ er Leopold verschwinden!“

„Ich glaube, Du hast Recht, Marcelline,“ erwiderte offenbar überrascht Duvignot. „Wie Ihr Weiber solche Canaillerien stets schneller durchschaut als wir!“ –

Eine stumme Pause folgte. Marcelline begann in Spannung und Ungeduld auf jedes Geräusch, das im Hause laut wurde, zu horchen.

Dann wie mit einem plötzlichen sich Besinnen auffahrend sagte sie:

„Weshalb[WS 1] gehst Du, weshalb sendest Du nicht, meinem Manne die Freiheit geben zu lassen?“

Duvignot blickte sie an, ohne zu antworten.

„Der fremde Mensch hat es Dir zur Bedingung gemacht …“

„Hat er?“ fragte Duvignot wie zerstreut.

„Mein Gott,“ rief Marcelline auffahrend aus, „Du wirst das doch nicht leugnen wollen, Du wirst …“

„Ich werde Bedingungen, welche ich angenommen habe, auch erfüllen. Aber zuerst möchte ich doch sehn, daß dieser Fremde, der sie mir vorschreibt, auch die seinigen erfüllt! Ich sehe bis jetzt nicht viel davon und so lange … so lange ich Leopold nicht sehe, bin ich nicht geneigt, irgend Schritte zu thun, die wider mein Interesse sind, die mir die Waffen aus den Händen reißen …“

„Waffen? O mein Gott, wozu bedarfst Du noch der Waffen … was willst, was sinnst Du?“

Duvignot zuckte die Achseln.

„Was ich will, was ich sinne? Brauche ich Dir das zu sagen? Zum hundertsten, zum tausendsten Male? Glaubst Du etwa, ich hätte das zerknirschende Gefühl eines demüthigen Sünders in mir und zöge nun kleinlaut ab, mit einem ‚Verzeihung, Madame!‘ und ‚Seien Sie glücklich – weihen Sie mir Unglücklichem eine Thräne, wenn ich Ihnen anders derselben noch würdig scheine!‘?“

Duvignot lachte nach diesen Worten bitter und höhnisch auf.

„Nein,“ sagte er dann zornig, ingrimmig, die Stirn in Falten ziehend, die Arme auf der Brust verschlingend, „Du und Dein Kind, Ihr seid mein, mir gehört Ihr, und eher laß ich die ganze Stadt niederbrennen, eher spreng’ ich Eure Thürme in die Luft, eher laß ich den Main sich vor Leichenhaufen stauen, ehe ich meinen Willen beuge, ehe ich Dich lasse, ehe ich …“

Marcelline hatte sich langsam wie in furchtbarem Erschrecken vor diesem Ausbruch unbändiger Leidenschaft erhoben – sie hielt sich, geisterbleich, mit großen vor Angst starrenden Augen, zitternd an der Lehne ihres Sessels aufrecht … sie streckte die andre Hand gegen ihn aus und wie kaum mehr fähig zu reden und doch Herrin noch ihrer ganzen Willenskraft, sagte sie leise, aber feierlich:

„Und ich, ich schwöre Dir, daß ich mich eher unter diesen in die Luft gesprengten Thürmen begraben, eher zu den Leichen, die das Flußbett ausfüllen werden, werfen lasse, als daß ich jetzt, jetzt noch Dir folgte!“

Duvignot blickte sie mit wuthflammenden Augen an – dann wandte er sich ab, zuckte die Achseln und ging.

Marcelline lauschte seinen Schritten; als sie verhallt waren, sank sie in ihren Sessel zurück und athmete tief, tief auf. Und dann … dann fuhr sie wieder empor … lauschte … Schritte von Kommenden wurden hörbar auf der Treppe … sie stieß einen Schrei aus … sie flog zur Thür … diese öffnete sich eben und Benedicte trat herein, auf ihrem Arme den Knaben, dessen Haupt im nächsten Augenblick an der Brust seiner Mutter ruhte, überströmt von ihren Thränen. –

(Schluß folgt.)




Fang eines Potwals.

Aus meinem Tagebuche, von M. E. P.
(Mit Abbildung.)

Vor einigen Wochen hatten wir die Linie passirt und segelten jetzt nach Cap Horn und dem Stillen Ocean; das Wetter war trübe und eine scharfe Südost-Brise trieb die Wellen mit zunehmender Heftigkeit vor sich her. Die Hälfte der Mannschaft, durch unsere Wache vom Dienste abgelöst, verschlief den Nachmittag unter Deck; brummend schlenderte der Capitän umher, bald Segel und Masten mit prüfendem Auge überlaufend, bald dem Mann am Steuer ein grollendes Wort zuwerfend – da plötzlich erschallen von dem Mast herab die wohlbekannten, langgezogenen Töne: „Bläst! Er blä – – st! Bläst!“ Der Capitän springt nach vorn: „Wo hinaus?“ hallt es zum Ausguck hinauf. „Bläst! Bläst!“ antwortet ein jubelnder Chor von Deck aus; „dort sind sie!“ Und so ist es, nicht weit vom Schiff tauchen wohl ein Dutzend dunkle, glänzende Riesenleiber auf.

Ein kurzer Blick genügt dem Capitän. „Ruft alle Mann!“ kommt das Commando klar und ruhig. „Fertig zum Beidrehen!“ Wir springen nach den Brassen; ein gedehntes „Alle Mann auf! Zu den Booten!“ erweckt die Schläfer im Logis. Schon stürzen sie an Deck, Viele nur halb bekleidet nach ihren Plätzen eilend und im tollen Eifer das Nothwendigste in den Händen tragend. Eine scheinbare Verwirrung herrscht überall; die vorderen Segel schwingen zugleich herum und der Wind, sie voll von vorn treffend, bringt das Schiff zum Stillstehen. „Hißt und schwingt die Boote!“ Schon sind sie klar gemacht, kaum wird das Wort gegeben, so verschwinden sie über die Seite; Officier und Harpunier stehen im Stern und Bug derselben, die übrigen vier Mann klettern wie die Katzen an den Schiffswänden hinab und springen und fallen an ihre Plätze in den schaukelnden Fahrzeugen; wer fühlt jetzt wohl Püffe und Stöße! Ein kurzes Klappern von Rudern, ein paar kurze Worte – und im tollsten Wetteifer fliegen die Boote hinaus über die schäumenden Wellen. Während nun die Schiffshüter die Verwirrung an Deck ordnen, steigt der Capitän mit umgeschlungenem Fernrohr zur Mastspitze hinauf. –

Es ist vielleicht dienlich, eine kurze Beschreibung der zur Walfischjagd gebrauchten Boote einzuschalten. Dieselben sind ungefähr dreißig Fuß lang und sechs Fuß breit, an beiden Enden gleich scharf gebaut, vom leichtesten Cedernholz und ohne Kiel, an dessen Stelle ein bewegliches Brett tritt. Sie führen Mast und Segel zum Niederlegen eingerichtet, fünf lange Ruder an den Seiten und ein eben solches am Stern; dieses letztere, gerade nach hinten hinausragend, dient dem Officier während des Kampfes zum schnellen Herumwerfen des Bootes. Die Ausrüstung besteht aus vier bis sechs Harpunen, mehreren dünnen, bis sechs Fuß im Eisen langen Handlanzen mit kleiner blattförmiger Schneide, aus

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Weshab
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 598. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_598.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)