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verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Sie müssen es, Sie werden es, Benedicte, in wenigen kurzen Worten müssen Sie es; ermannen Sie sich, schöpfen Sie Hoffnung, raffen Sie Ihre Kraft zusammen –“

„Hoffnung – Hoffnung,“ rief Benedicte, ihm ihre Rechte entziehend, aus, und die Hände verzweiflungsvoll ringend, „meine einzige Hoffnung ist der Tod – die einzige letzte Erlösung …“

„Und doch müssen Sie reden – reden auf der Stelle, Sie sind es sich, Ihrem Vater, sind es mir schuldig,“ drängte Wilderich fast zornig werdend.

„Ihnen, der solches Unglück in das Haus gebracht …“

„Um Gotteswillen … machen nicht auch Sie mir diesen Vorwurf! Um Sie verdien’ ich ihn nicht, von Ihnen will ich ihn nicht hören, was ich verschuldet, denk’ ich gut zu machen, nur muß ich wissen, wie ich es kann! Die Augenblicke sind so kostbar, so entsetzlich kostbar; um des Himmels willen, bei Allem, was Ihnen theuer ist, fleh’ ich Sie an … sagen Sie mir zuerst: ist Ihre Mutter die Geliebte Duvignot’s?“

„Sie ist es!“

„Ihre Stiefmutter …“

„Ja.“

„Und was ist es mit dem Kinde, das Sie entfernt haben sollen, Sie?“

„Es ist das Kind, der Sohn meiner Stiefmutter, der ihr geraubt wurde.“

„Weshalb kamen Sie in diesen Verdacht?“

„Weil ich, so lange ich meines Vaters einzige Tochter war, mich auch als seine Erbin betrachten durfte, die Erbin seines Reichthums. Er heirathete wieder und meine Stiefmutter schenkte ihm einen Sohn. Von dem Augenblick an war ich arm, meines Vaters ganzes Vermögen bestand in Lehngut, es gehörte dem Sohne …“

„Weiter, weiter!“

„Ich wurde schlecht behandelt von meiner Stiefmutter, man wollte mir mit Gewalt einen Menschen zum Manne aufdringen, den ich haßte; ich entfloh dem väterlichen Hause; in derselben Nacht verschwand der Sohn meiner Stiefmutter, geraubt, entführt; man gab mir Schuld ihn entführt, als den Erben, der mir mein Vermögen genommen, um des elenden Reichthums wegen beseitigt zu haben; ich mußte mich verbergen vor aller Welt Augen; ich floh zu einer Verwandten meiner verstorbenen Mutter, der Aebtissin von Oberzell, dort lebte ich im Kloster, bis die Nonnen fliehen mußten, bis es galt ein anderes Asyl für mich zu finden. Die Aebtissin sandte mich nach Goschenwald, mein böses Schicksal sandte meine Stiefmutter dahin – alles Uebrige wissen Sie –“

„Weshalb sagte Ihr Vater, daß Sie sein Leben hätten vergiften wollen …“

„Muß ich auch das Ihnen sagen, auch das bekennen, die Stunde, worin ich schlecht, verächtlich, abscheulich war …“

„Sie waren nie schlecht, nie verächtlich, Benedicte, das sagt mir mein innerstes Gefühl, jede Regung meines Herzens, und ich muß Alles wissen, Alles …“

„Wohl denn: Es war im Jahre 1792, als Duvignot, damals Commandant einer Halb-Brigade, mit dem Heere Custine’s nach Frankfurt kam, und das Unglück wollte, daß er sein Quartier in unserem Hause erhielt. Mein Vater war seit einem Jahr erst wieder vermählt. Meine Stiefmutter war sein Weib geworden, weil er sie eben gewählt hatte, weil sie ohne Vermögen war, weil ihre Verwandten den Gedanken, die Hand eines solchen Mannes auszuschlagen, gar nicht hätten in ihr aufkommen lassen; ihre Neigung wurde nicht befragt. Der junge schöne französische Officier verliebte sich in sie; seine Leidenschaft erweckte die ihre, sein Werben machte sie bald zu seinem völligen Eigenthum. Nach einigen Monaten mußte Duvignot Frankfurt verlassen. Meine Stiefmutter gab einem Sohne das Leben. Ein Jahr später kehrte Duvignot zurück; er war verwundet worden, er suchte Heilung, wie er angab, in Wiesbaden; von dort kam er oft zum Besuch zu uns – endlich, als der Winter kam, siedelte er nach Frankfurt über und war täglicher Gast in unserem Hause; er wollte noch immer nicht ganz geheilt sein, und unter diesem Vorwande mußte es ihm gelungen sein, seinen Urlaub so lange ausgedehnt zu erhalten.

Mein Vater war blind gegen das, was vorging, gegen dies schmähliche Verhältniß – ich sah es, ich durchschaute es. Auch haßte mich meine Stiefmutter, der es nicht entging, daß meine Augen schärfer waren als die aller Anderen; und Duvignot theilte natürlich ihre Gefühle gegen mich … bis diese plötzlich sich geändert zeigten. Er führte einen jungen und gewandten Menschen, einen Pariser, der, wie er sagte, der Sohn reicher Eltern, eines verstorbenen Parlamentsraths, war und Güter in der Bretagne besaß, in unser Haus ein – er nannte ihn seinen Vetter von Seiten seiner Mutter, einer Dame aus dem bretagnischen Adel – und dieser Mensch warb um meine Hand, Duvignot redete für ihn, meine Stiefmutter befürwortete seine Werbung, mein Vater ward dafür gewonnen – ich wurde gedrängt, gepeinigt, gescholten – in meiner Noth, unfähig mich länger wider eine Zumuthung zu vertheidigen, die mich empörte – denn ich verabscheute diesen Franzosen, der mir den Eindruck eines schlauen und geriebenen Intriganten, eines falschen und unreinen Menschen machte – in meiner Noth flüchtete ich mich zu meinem Vater, ich sagte ihm Alles, ich sagte ihm, wie seine Gattin ihn entehre, wie diese Verbindung, zu der man mich zwingen wolle, nur den Zweck habe, mich, die lästige scharfblickende Zeugin des strafbaren Verhältnisses, zu entfernen … mein Vater war auf’s Tiefste betroffen … er gelobte mir eine strenge Untersuchung, seinen vollen Schutz, sein unerbittliches Dazwischentreten. Er sprach meine Stiefmutter – und war von ihrer Unschuld so überzeugt, wie davon, daß ich nichts weiter als eine böse, falsche Schlange sei! Ich war zum Aeußersten gebracht; ich sah keine Rettung und kein Heil mehr außer in der Flucht; ich entschloß mich dazu, ich verließ an einem späten Abend das väterliche Haus, ich flüchtete mich in’s Kloster und dort fand ich Schutz.…

Es war mein Unglück! Dieser eigenmächtige Schritt, der mich befreien sollte, sollte fürchterlich bestraft werden … denn in derselben Nacht verschwand das Kind, der Sohn und Erbe meines Vaters, und wer, wer anders hatte das Kind geraubt, entführt, als ich!“

„Furchtbares Zusammentreffen!“ rief Wilderich aus. „Aber wie war es möglich zu glauben, Sie, Benedicte, Sie …“

„Meine Stiefmutter haßte mich; was hätte sie nicht von mir geglaubt!“

„Aber Ihr Vater …“

„Mein Vater ist schwach … er liebt sein Weib, wie ein alter Mann ein junges Weib liebt –“

„Das ist entsetzlich. … Doch nun, da ich Alles weiß, lassen Sie mich reden – ich habe ein Pfand der Rettung für uns Alle – ich habe die Briefe Ihrer Stiefmutter an Duvignot!“

„Die Briefe meiner Stiefmutter … die haben Sie?“

„So sagt’ ich!“

„Ihre Briefe an Duvignot? Aber wie ist es möglich …“

„Wie sie in meine Hände kamen, ist gleichgültig; genug, daß ich sie habe, hier wohlverwahrt auf meiner Brust. Ich will zu Ihrer Mutter gehen – ich will ihr sagen: Du wirst des Schöffen und wirst meine Freiheit von Duvignot verlangen, Du wirst mir schwören, Deinen Verdacht, Deine böse Tücke wider Benedicte aufzugeben, Du wirst meine Werbung um sie unterstützen – alsdann erhältst Du Deine Briefe zurück, die in meinen Händen sind; wo nicht, so wird der, in dessen Händen sie sind, sie Deinem Manne zeigen, er wird sie der Welt zeigen, die Welt wird sehen, daß Du ein schlechtes Weib bist, die Welt wird erfahren, daß Duvignot Deinen Gatten ermorden läßt, um Dich zur Wittwe zu machen! …“

Benedicte sah ihn mit großen Augen an.

„Ich werde Ihnen die Briefe geben,“ fuhr Wilderich eifrig fort, „Sie sollen sie in Händen haben und aufbewahren, damit man sie mir nicht entreißen kann …“

„Eitle Hoffnung!“ unterbrach ihn Benedicte.

„Wie, Sie glauben nicht …“

„Sie kennen die Leidenschaft dieser Menschen nicht, nicht ihre Gewaltthätigkeit! Meine Mutter ist Duvignot bis nach Würzburg gefolgt – sie ist hierher mit ihm zurückgekehrt – hat sie so dem Aergerniß getrotzt, was wird sie am Ende noch fürchten …“

„Aber sie kann nicht wollen …“

„Mag sein, mag sein; aber jedenfalls wird sie Ihnen nicht eher glauben, als bis sie die Briefe sieht … und wenn man sie ihr zeigt, so wird sie wissen, sie Jedem, der sie hat, mit Gewalt entreißen zu lassen. Vergessen Sie, daß sie durch Duvignot hier allmächtig ist? Und wird sie sich nicht rächen wollen dafür,

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