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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


mit sammt ihren Weibern einmal den ungehinderten Rückzug verstattet und zugesagt – das ist nicht mehr zu ändern …“

„Aber,“ fiel Wilderich in größter Erhitzung wieder ein, „Euer Hoheit Adjutant sagte mir, daß jene Frau das arme Mädchen als eine Verbrecherin mißhandelte, und Gott weiß, welches Schicksal dasselbe nun bedroht, wenn Niemand auf der Welt da ist, sich ihrer anzunehmen.“ …

„Hm,“ versetzte der Erzherzog nachsinnend und für sich – „die Frau ist die Gattin des zeitigen Schultheißen in Frankfurt … man könnte am Ende bei diesem intercediren.“ …

„Solch ein zorniges, rachsüchtiges Weib ist zu Allem fähig!“ rief Wilderich in seiner Verzweiflung aus.

Der Erzherzog warf einen Blick auf ihn – dann sagte er in heiterem Tone.

„Ich sehe schon, ich werde etwas thun müssen, um wegen dieser Demoiselle, dieser verfolgten Unschuld, bei einem Mann, dem ich Dank schuldig bin, nicht gar zu sehr als herzlos und alles Gefühles baar in Verachtung zu gerathen! Seien Sie ruhig, ich werde Ihre Dame unter meinen persönlichen Schutz stellen.“ …

Er nahm eines der vor ihm liegenden weißen Blätter und begann rasch zu schreiben. Die Worte lauteten:

 „Mein lieber Schultheiß!
Ich verfolge den Feind unablässig und werde, so Gott will, am Abend des 7. Septembers vor den Thoren von Frankfurt sein – ich rechne dabei auf Ihren Einfluß und Ihre Autorität über Ihre Mitbürger, daß diese nicht zögern, mir trotz der französischen Streitkräfte, welche alsdann noch dort sein könnten, sofort und ohne Zögern die Thore zu öffnen, nöthigenfalls die Oeffnung derselben erzwingen. Sagen Sie Ihren Mitbürgern, welche sich von dem gewaltthätigen Feind sollten einschüchtern lassen, daß die Herrschaft desselben zu Ende ist und meine siegreiche Armee sich sonst die Thore von Frankfurt mit jenen Maßregeln der Gewalt öffnen wird, die für die Bürgerschaft sehr verhängnißvoll werden können.

Ich vertraue, mein lieber Schultheiß, darin auf Ihre bewährte Anhänglichkeit und Hingebung für das Haus Oesterreich und das deutsche Vaterland!

Außer diesem wende ich mich an Sie mit einem persönlichen Begehren. Ihre Gemahlin hat unter Umständen, welche dieselbe Ihnen berichtet haben wird, unter französischer Escorte eine Demoiselle Benedicte mit sich fortgeführt, nachdem sie diese mit Beschuldigungen beladen, deren Bedeutung mir nicht bekannt geworden ist.

Ich habe Theil an dem Schicksal dieses Mädchens zu nehmen gewichtige Veranlassung bekommen, und würde es als eine besondere mir erwiesene Courtoisie und Rücksicht betrachten, wenn dieselbe mit Humanität behandelt und über sie nicht eher irgend ein Entschluß gefaßt würde, als bis ich nach wenigen Tagen persönlich meine Vermittlung in der Angelegenheit derselben eintreten lassen könnte. Ich vertraue darin auf Ihre Gesinnungen, mein lieber Schultheiß, und bin Ihr wohlgewogener Reichsfeldmarschall Karl Erzherzog.“ 

Der Erzherzog faltete und siegelte den Brief; während er die Adresse schrieb, sagte er:

„Ich hoffe, dies wird Sie beruhigen, lieber Mann. Die Frau, in deren Gewalt sich das Mädchen befindet, ist die Gattin des Schöffen und zeitigen Schultheißen Vollrath zu Frankfurt – ohne Theilnahme dieses Mannes wird ihr nichts geschehen und sie wird sicher sein von dem Augenblick an, wo dieser Brief in die Hände dieses Mannes gelangt. Sehen Sie also, daß Sie möglichst rasch und ungehindert nach Frankfurt und trotz der Franzosen hinein kommen und dem Herrn Vollrath diesen Brief übergeben. Haben Sie den Muth?“

„Den Muth, Hoheit?“

„Nun ja – die Reise wird nicht ohne Gefahr für Sie sein …“

„Ich weiß es. Wenn die Franzosen einen Brief Eurer Königlichen Hoheit bei mir fänden …“

„Würden sie Sie nicht viel besser als einen Spion behandeln.“

„Man wird ihn nicht finden – das sei meine Sache!“ .

„Wohl denn – so gehen Sie mit Gott; warten Sie noch, um sich einen Passirschein geben zu lassen, damit Sie durch die Vorposten unserer Armee gelassen werden, wenn Sie zurückkehren wollen.“

„Ich bitte darum!“

„Sztarrai, fertigen Sie ihn aus!“ sagte der Erzherzog.

Dann wandte er sich wieder seinen Depeschen zu. Sztarrai füllte ein kleines Formular, das er aus einer der von dem Adjutanten vor ihn gelegten Mappen nahm, aus und reichte es Wilderich. Dieser steckte es nebst dem Briefe des Erzherzogs zu sich und sagte:

„Ich danke Euer Hoheit aus voller Seele.“

„Schon gut, mein lieber Mann; suchen Sie mich wieder auf, um mir zu berichten, wie es Ihnen ergangen und wie der Dame und Ihre Angelegenheiten stehen.“

Wilderich verbeugte sich und ging eilig davon.




8.

Als er draußen wieder bei seinen bewaffneten Bauern war, berichtete er ihnen des Erzherzogs Dank, und wie sehr ihr Angriff auf die Chasseurs diesem im richtigen Augenblick zu Hülfe gekommen. Jetzt waren sie unnütz hier oben. So setzte sich der Trupp wieder in Bewegung und zog neben der österreichischen Infanterie-Colonne, die der Erzherzog in die Flanke des rückziehenden Feindes vorgehen ließ und die jetzt in voller eilig vorwärts dringender Bewegung war, über die Bergeinsattelung in die Mühlenschlucht hinein und weiter hinab gegen die Heerstraße.

„Was meinet Ihr Mannen,“ rief, als sie am Forsthause und der Mühle angekommen waren, einer der Leute, „wenn wir hier Schicht machten?“

„Zum Teufel ja,“ sagte ein Anderer, der Forstläufer Sepp, „ich hab’s satt hier neben diesen Oesterreichern sich herzuquetschen und den Gänsemarsch zu machen –“

„I freilich, die können ja das Geschäft jetzt da unten selber abmachen,“ rief ein hochstämmiger Bauer, der eine Flinte über dem Rücken und eine andre in der Hand trug, eine erbeutete französische Muskete – „ich hab’ aus meinen zwei Blasrohren heute sieben todt und fünf angeschossen – macht just ein Dutzend und das ist genug; den Dreizehnten, bei meiner armen Seele, müßt’ ich beichten!“

„Der Krippauer hat Recht!“ sagte ein kleiner untersetzter Kerl, dem der eine Aermel seines Wamses zerrissen an der Seite herabbaumelte, „wir machen Feierabend und brechen in des Gevatter Wölfle’s Mühle ein – die anderen, die nicht Raum mehr drin finden, können im Forsthaus Unterschlupf finden für die Nacht –“

„Wo ist der Wölfle … und wo ist der Commandant?“ wurde jetzt von allen Seiten gerufen.

„Hier ist der Commandant!“ antwortete die Stimme Wilderich’s aus den hinteren Reihen. „Macht Halt vor der Mühle!“

Bald war der ganze Trnpp vor der Mühle versammelt – Gevatter Wölfle ging als Quartiermacher hinein, während Wilderich die Verwundeten unter der Schaar vorrief – es waren ihrer vielleicht zwanzig, die Streifschüsse ober Schrammen erhalten und sich so gut wie’s ging mit Tüchern und Lappen verbunden hatten – einzelne, die im Laufe des Tages schwerer verwundet worden, hatten sich gleich fortbegeben, um ihre Wohnungen im Gebirge aufzusuchen – ein paar auch lagen todt und noch unbestattet in den Büschen, man überließ ihren Verwandten, sie zu suchen und zu holen.

„Mit den Verwundeten,“ rief Wilderich, „geht der Chirurgus in meine Wohnung, in’s Forsthaus drüben. Da ist mehr Raum für sie, und sie können sich da ordentlich verbinden lassen; wo die Anderen bleiben, da wird’s nicht angehen so gut in dem Lärm und Tumult, den diese machen werden. – Chirurgus!“

„Hier!“ rief ein wie ein Grobschmied aussehender Mann; er war in der That Schmied in einem der nächsten Dörfer, und weil er nebenbei Pferd und Rind curirte, in Ermangelung eines gelehrteren „Pflasterkastens“ zum Chirurgus der Truppe bestellt.

„Geht hinüber und laßt meine Margareth Euch Leinen und was Ihr bedürft, geben – sorgt dafür, daß sie nicht zu viel trinken – und nun zieht ab!“

Der Trupp der Verwundeten setzte sich, von dem Curschmied geführt, in Bewegung.

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 516. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_516.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)