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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Bereit, in jedem Augenblick weiter zu reisen!“ rief Frau Marcelline heftig aus.

„So gehen Sie, Lepelletier,“ befahl der Capitain dem Wachtmeister, „und kündigen das den Leuten an; ich sehe, daß sie Lebensmittel gefunden haben – sie sollen sich sputen.“

Daß sie Lebensmittel gefunden, hatte auch längst der Schösser zu seinem Verdruß bemerkt … er beobachtete still grimmig, wie sie Frau Afra Brod, Speck, Würste, Wein und – all’ seinen selbstgemachten Ziegenkäse herbeischleppen ließen!

„Ich gehe, mein Capitain,“ sagte der Wachtmeister.

„Und hören Sie – stellen Sie zwei Leute als Posten draußen vor die Thür dieses Saales.“

„Zu Befehl, Capitain,“ entgegnete der Wachtmeister und schritt davon.

Die österreichischen Officiere hatten sich unterdeß still an den Tisch Marcellinens gesetzt und Sztarrai sagte jetzt: „Ich hoffe, Sie erlauben uns, einige Erfrischungen zu bestellen, und gönnen uns die Zeit, sie zu genießen?“

„Ich lasse Ihnen gern die Zeit dazu,“ entgegnete der Capitain, „um so mehr, da ich Madame wenigstens noch eine Stunde vergönnen muß, sich auszuruhen. Der Herr dort oben,“ Capitain Lesaillier deutete, während er dies sagte, auf den gestrengen Schösser, „der Herr am Ofen dort scheint der Befehlshaber, Commandant oder Gouverneur dieses Platzes … haben Sie die Güte sich an ihn in Angelegenheiten der Verpflegung zu wenden – der Wein, den er in seinen Casematten führt, ist nicht übel, und da Sie seine Landsleute sind, wird er Sie sicherlich nicht schlechter bewirthen als uns!“

„Landsleute oder nicht Landsleute,“ sagte hier der Schösser sich erhebend mit einem äußerst verdrießlichen Gesicht, „es ist ziemlich Eins, an wen ich den Wein abgebe, wenn er nicht bezahlt wird!“

„Wir werden ihn bezahlen, mein Lieber!“ fiel der General, der sich Teschen genannt, ein.

„Afra, gehen Sie zu holen,“ rief der Schösser der Beschließerin zu, die durch eine Hinterthür eben wieder eintrat – „unterdeß,“ fuhr er, sich mit rollenden Augenbrauen zu Frau Marcelline wendend, fort, „möchte ich doch um eine Aufklärung bitten, was diese junge Demoiselle verbrochen hat, die Sie so despectirlich behandeln und die von wohlansehnlichen Leuten meinem Schutze anempfohlen ist.“

„Und von wem,“ fuhr Frau Marcelline auf, „wäre sie das?“

„Von der hochehrwürdigen Mutter Aebtissin von Oberzell, der Frau Schwester meines Herrn und Patrons, des Reichshofraths Gronauer …“

„Von der Aebtissin von Gronauer!“ rief Frau Marcelline mit dem Ton der Verachtung; „nun, meinethalb, die Empfehlungen derselben und Ihr Schutz werden ihr wenig helfen; ich werde sie als Gefangene mit mir fortführen …“

„Das junge Mädchen,“ fiel hier der General Teschen ein, „hat sich in einer Weise gegen uns unwahrhaftig gezeigt und uns in eine so mißliche Lage gebracht, daß wir nicht veranlaßt sein können, ihre Vertheidigung zu übernehmen, Madame. Wenn Sie uns jedoch erklären wollten, wie es kommt, daß sie für den Dienst, den sie damit der französischen Sache geleistet, durch eine so üble Aufnahme von Ihrer Seite gelohnt wird …“

„Ich habe Ihnen keine Erklärungen zu geben, mein Herr!“ antwortete Frau Marcelline hochmüthig.

„Sicherlich nicht! Ich habe sie auch nicht gefordert, nur höflich darum bitten wollen, wie doch wohl Jedermann thun darf, wenn er Zeuge eines auffallenden Vorgangs ist,“ antwortete ruhig der gefangene Officier.

„Wenn dieser Vorgang ihn ganz und gar nichts angeht, mein Herr, so thut Jedermann wohl, sich nicht hineinzumischen,“ fuhr die aufgeregte Frau fort.

Der junge General biß sich auf die Lippen.

„Verzeihen Sie, Madame, es war das durchaus nicht meine Absicht. Mich in Ihre Händel mit diesem jungen Mädchen zu mischen, konnte mir um so weniger einfallen, als ich Gefangener bin und ich Sie so wohl gehütet unter französischem Schutze sehe. Daß eine deutsche Dame auf der Seite unserer Feinde ist, und daß sie über eine so stattliche Escorte aus denselben gebietet, darf, denk’ ich, jedoch meine Verwunderung erregen.“

„Möglich, daß es das thut,“ versetzte Frau Marcelline scharf. „Wenn Sie aber nicht Oesterreicher, das heißt Leute wären, die stets um eine Idee, um eine Armee und um ein Lebensalter hinter ihren Gegnern zurück sind, so würden Sie wissen, daß sehr viele deutsche Frauen auf der Seite Ihrer Feinde stehen, auf der Seite Derer, die der Welt Licht, Freiheit von den alten Vorurtheilen und Wiedereinsetzung der Menschen in ihre ursprünglichen Rechte bringen!“

„Sie lassen mich fast bedauern, Madame,“ entgegnete der Officier ironisch, „daß der Sieg unserer Waffen in den letzten Tagen unsere Feinde so ärgerlich in dem edlen Werke stört, welches sie mit so viel Selbstverleugnung und Uneigennützigkeit zum Besten des Lichts, der Freiheit und der Menschenrechte ausführen.“

„Der Sieg Ihrer Waffen? Ach, pochen Sie nicht darauf, mein Herr General … die Franzosen haben noch so ungefähr immer Sie besiegt und werden, wenn sie auch in diesem Augenblick sich zurückziehen müssen, sehr bald ihre Revanche nehmen. Dieser Erzherzog Karl mit seiner Reichsarmee und den aufgehetzten Bauern, die die Armee aus tückischen Hinterhalten überfallen, wird seinen Kriegsruhm sehr bald schwinden sehn und sehr, sehr klein werden – er wird sich in Wien sehr bald wieder die habsburgische Schlafmütze über die Ohren ziehen und zu Bette legen müssen – man kennt das ja, sobald ihm ein tüchtiger General oder ein ihm gewachsenes Heer entgegentritt, wird der arme junge Mensch krank und legt sich zu Bett.“

Der General Teschen wechselte die Farbe bei diesen mit dem Ton unsäglicher Verachtung ausgesprochenen Worten der schönen Frau. Der General Sztarrai wollte entrüstet aufspringen, aber jener legte die Hand auf seinen Arm und hielt ihn auf seinem Platz.

„Sie haben Recht, Madame,“ sagte er dabei, „der Erzherzog Karl hat leider keine eiserne Natur, wie sie Jemandem, der sich dem Kriegshandwerk widmet, zu wünschen ist. Er hat in den letzten Jahren sich einige Male krank melden lassen müssen, wenn …“

Er wurde plötzlich durch ein paar Carabinerschüsse unterbrochen, die rasch nach einander auf dem Hof abgefeuert wurden. Alle richteten auffahrend ihre Blicke durch die Fenster dahin – man nahm einen Zusammenlauf wahr – mehrere der Chasseurs stürzten mit ihren Carabinern nach der niedrigen Zinnenmauer, welche den Hof nordwärts, den Fenstern gegenüber, abschloß.

„Was giebt’s, Lepelletier?“ rief der Capitain dem eintretenden Wachtmeister entgegen, „haben wir diese deutschen Chouans auf dem Halse?“

„Nein, mein Capitain, nur ein österreichischer Husar wurde am Fuße der Mauer da drüben entdeckt. Er führte zwei lose Sattelpferde mit Generalsschabracken …“

„Ah, die Pferde unserer Gefangenen!“

„Richtig, Capitain, und zwei tüchtige Gäule, bei’m Schnurrbart des ci-devant heiligen Georg, wir hätten sie gebrauchen können!“

„Nun?“

„Der Bursche, der offenbar Unrath gemerkt hatte, hielt sich in einem Buschwerk versteckt … er ist davon gesprengt, rechtsab in die Thalgründe hinein.“

„Und die Schüsse?“

„Haben ihm nicht wehe gethan, er ist zum ci-devant Teufel gegangen!“ .

Sacré mille tonnerres!“ fluchte der Capitain, „vielleicht haben diese Leute hier eine Reserve, näher als wir glauben, und der Schurke holt sie jetzt heran … es ist das Beste, Lepelletier, Du läßt zum Aufsitzen blasen!“

„Das war auch mein Einfall, Capitain, just das! Ich kam den Befehl dazu zu holen.“

„So geh’!“

„Madame,“ wandte der Capitain sich an Frau Marcelline, „werden Sie sich im Stande fühlen, die Reise wieder anzutreten?“

„Schon jetzt?“

„Ich bedauere, daß ich Ihnen nicht längere Zeit zum Rasten geben kann … wenn Sie also nicht vorziehen, die Nacht hier zurückzubleiben …“

„Nein, nein, nein,“ rief Frau Marcelline aus, „ich bin ja bereit!“

„Und Ihre Gefangene da wollen Sie mitnehmen?“

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