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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

bunteste aus dem ausgebreiteten halben Dutzend Tüchern aus und verschwand mit ihrer Enkelin im Marktgedränge.

Man hat behaupten wollen, die jungen Mädchen der Bretagne und Auvergne gäben blos in Fällen äußerster Noth und Bedrängniß ihr Kopfhaar preis, das ist aber vollkommen unwahr. In der Bretagne besteht dieser Handel schon seit dem Alterthum und ist so zu sagen der Bevölkerung in’s Blut übergegangen. Die dort landesübliche Coiffüre der Mädchen und Frauen läßt das Fehlen der Flechten nicht bemerken, allein selbst wenn dem so wäre, so würde deshalb doch kein Mensch das unglückliche geschorene Lamm für geringer oder minder schön halten. In Mont-Lucon hinwider verkaufen die Bräute ihr Haar, mit Zustimmung ihrer künftigen Gatten, um sich aus dem Erlös ein Ausstattungsstück beschaffen zu können, und selbst vermögliche Pächters- und Gutsbesitzersfrauen entäußern sich gelegentlich ihrer Haare, wenn sie sich anders nicht irgend ein erwünschtes Kleidungs- oder Putzstück erzeugen können.

Das Haar der Bretoninnen ist seiner Weichheit und Schönheit wegen ganz besonders geschätzt, deswegen entfalten die Händler ihre verführerischen Waaren dort nicht blos auf Märkten und bei sonstigen allgemeinen Festen; Jahr aus Jahr ein vielmehr ziehen Hausirer mit bunten Baumwoll- und Seidentüchern von Dorf zu Dorf und verlocken Hunderte von Bauernmädchen, die sie unterwegs treffen, gegen ein paar elende rothe oder gelbe Lappen, welche manchmal keinen Franken werth sind, ihr schönes blondes oder schwarzes Haar zu opfern. In den Städten wissen die Friseure den jungen Mädchen zu Gemüthe zu führen, daß sie das Pfund langer Nackenhaare mit zwanzig Franken bezahlen – das ist der Marktpreis durch die ganze nördliche Bretagne – allein da hier weibliche Arbeit sich schon besser verwerthet als auf dem Lande, so machen sie mit ihren Offerten kein erhebliches Geschäft und dies in der Regel blos mit Mädchen, denen aus Krankheitsursachen das Haar auszugehen beginnt und die, einmal zu dem Verluste verdammt, lieber ihre fünfzehn Franken noch dafür mitnehmen. Der durchschnittliche Werth eines Kopfs voller Haare ist zehn Franken, denn der reichste Haarwuchs mit Strähnen, welche bis über die Taille hinabreichen, wiegt selten das Pfund, das den ersehnten Napoleon einträgt. Vor Jahren, ehe das heutige Eisenbahnnetz existirte, konnte der Haarhausirer auch in den französischen Städten seine Herrlichkeiten, Tücher, Bänder, Mützen, Ohrringe und andern wohlfeilen Tand an den Mann oder vielmehr an das Weib bringen, heut zu Tage aber wissen die jungen Mädchen und deren Angehörige besser, welcher Reichthum ihnen in den Locken ihres Kopfes wächst, so daß der Händler mit baarem Gelde bei der Hand sein muß, wenn er eine erkleckliche Ernte halten will.

In der Auvergne treibt der Haarkäufer sein Geschäft noch öffentlicher. Auf jedem Jahrmarkte, bei jedem ländlichen Feste, namentlich auf den Märkten von Ambert, St. Anthème, Arlant, Olliargues und Riom, erscheint er mit seinem Cabriolet und schlägt seine Bude auf, von der eine stattliche tricolore Flagge weht, nicht wie in der Bretagne abseit des eigentlichen Marktgewühls, sondern mitten in der Reihe von Butter- und Eier-, von Gemüse- und Obstständen. In Issingeaux präsentirt er sich überaus malerisch; er steht auf einem niedrigen Gerüste vor seiner aus Segeltuch und ein paar Bretern erbauten Bude und ladet, die Hemdärmel bis zu den Schultern aufgestreift, mit der Stentorstimme eines Meßrecommandeurs Mädchen und Frauen ein, heraufzukommen und ihr Haar sehen zu lassen. Um ihn herum ist ein buntes Gedränge von Männern und Weibern in Holzschuhen die Frauen in kurzen Röcken und grellfarbigen Hauben oder breitrandigen Strohhüten, die Männer in apfelgrünen Tuchjacken und ungeheuren Filzhüten.

Eines nach dem anderen steigen nun die Mädchen auf die Bühne, setzen ihre Mützen ab, binden ihre Flechten auf und stellen ihren Reichthum vor Aller Augen zur Schau. Der Haarkäufer unterwirft denselben einer sehr genauen handgreiflichen Untersuchung und thut sein Gebot, und sobald man handelseinig geworden, schlüpft das Mädchen in die Bude hinein. In Zeit von fünf Minuten hat der Gehülfe des Händlers die Dirne rattenkahl geschnitten, und unter dem Jauchzen und Gelächter des umstehenden Publicums rennt sie davon. Diese Demonstration hindert indeß nicht im Mindesten, daß nicht nach und nach fast alle die versammelten Schönen ihrem Beispiel folgen. Ab und zu geschieht es jedoch, daß die anwesenden jungen Männer, welche den Haarkäufer nicht eben mit freundlichem Auge ansehen, über ihn herfallen, wenn er sich mit den eroberten Schätzen entfernen will. Zwar rettet ihn meistens die Schnelligkeit seines Pferdes vor der drohenden Plünderung, Schmutz, Steine, faule Eier und aller mögliche Unrath aber, dessen man habhaft werden kann, regnet auf das Dach seines Cabriolets nieder, bis er aus dem Bereiche der aufgeregten Jünglinge ist und nun ruhig einem anderen Dorfe zufährt, wo er morgen seine Rolle von Neuem und in der Regel mit dem gleichen Erfolge spielt.

Hat der Händler seine Tour in den Provinzen beendet, so schafft er seine Waare nach Paris oder einer anderen großen Stadt Frankreichs, wo er sie, je nach der Qualität zum Preise von zwanzig bis hundert Franken das Pfund, an die großen Coiffeurs und Haargeschäfte verkauft, die sie, nach gehöriger Zubereitung, zu Chignons, Locken, Flechten, Zöpfen und dergleichen verarbeiten. Bei dem neulichen Besuche eines dieser Etablissements fand ich die vier Wände des Verkaufslocals von der Diele bis zur Decke rundum mit Regalen versehen, auf denen Chignon über Chignon aufgestapelt waren, Chignons von allen Sorten und Farben, vom tiefsten Blauschwarz bis zum zartesten Blond. Immer je sechs waren zu einem Paket vereinigt, da ein halbes Dutzend die kleinste Quantität ist, welche das Haus, das sich mit dem Detailgeschäft nicht befaßt, abgiebt. Eine Anzahl von Gehülfen führten die Aufträge aus, welche von den Kunden entweder persönlich ertheilt wurden oder diesen Morgen mit der Post von den verschiedenen Reisenden der Firma eingelaufen waren. In dem anstoßenden Magazine lag das Rohmaterial in großen Haufen auf dem Fußboden daneben saßen wohl einige dreißig junge Mädchen, welche die Chignons der Zukunft fortirten und abwogen; je nach der Beschaffenheit wurden mehr oder weniger Grammes auf den Chignon gerechnet. Der ganze Ort duftete nach Haar. in allen Kästen, in Cartonschachteln und Schubladen lag Haar, Haar hing von der Decke herab und Haar klebte an den Wänden, Haar war auf Tischen und Stühlen, ja selbst im Tintenfaße, und Haar wirbelte in der Luft umher, so daß man bei jeder Bewegung, die man machte, die Gegenwart desselben sehr empfindlich inne ward.

Die gewöhnlichste Sorte Haar, so erfuhr ich, geht in großen Säcken ein, von denen jeder ungefähr zweihundert Pfund schwer ist. Zunächst kommt es nun zur gründlichen Wäsche in siedendes Wasser, um alles Fett und andere Unreinigkeiten los zu werden, darnach bringt man es in ein Sodabad und läßt es sorgfältig trocknen. Hierauf werden die verschiedenen Flechten nach Länge und Nuancen oberflächlich sortirt, wonach die Operation beginnt, die mit dem technischen Ausdruck „éveinage“ bezeichnet wird. Diese Procedur besteht darin, daß man aus jeder einzelnen Flechte die größeren Locken ausscheidet, die in der Farbenschattirung nicht ganz genau mit einander übereinstimmen. Weiter folgt die recarrage, das heißt die Egalisirung der oberen Enden jeder Flechte, und dann eine zweite und scrupulösere Sortirung. Nunmehr wird es zu Bündeln von je zehn bis zwölf Pfund arrangirt, nun in dieser Form eine neue Reihe von Manipulationen zu durchlaufen.

Zuvörderst nehmen die Arbeiter Hände voll davon heraus und bepudern es durch und durch mit Mehl; darauf wird es auf eisernen Krämpeln energisch durchgekämmt, die sich zu immer größerer Feinheit abstufen, bis endlich mit einem nochmaligen Durchkämmen auf einer Hechel von höchster Zartheit die Vorbereitung des Haares vollendet ist. Jetzt erst beginnt die Herstellung der Chignons und falschen Locken, und zwar derart, daß man Haare von der gleichen Nuance und möglichst der nämlichen Länge in gewissen Proportionen zusammen macht. Um einen großen Chignon herzustellen, braucht man oftmals das Product von nicht weniger als dreißig Frauenköpfen.

Der Chef des Etablissements versicherte mir übrigens – und zur Beruhigung meiner Leserinnen säume ich nicht dies mitzutheilen – daß alle Erzählungen von aus Leichenhaaren verfertigten Chignons in das Bereich der Fabel gehörten. „Das auf diesem Wege erlangte Haar wäre viel zu spröde, um in die geeignete Form gelockt oder geflochten werden zu können, und von Gregarinen, die in russischen Chignons vorkommen mögen, habe ich in Frankreich auch kein einziges beglaubigtes Beispiel gehört. Nicht

eine Locke russischen Haares geht nach Frankreich – außer aus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 488. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_488.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)