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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


kaum vierzig Jahre zählen, aber sein Gesicht war stark durchfurcht, die schmalen, blitzenden Augen lagen tief eingesunken und das glatt und schlicht an seinen Schläfen anliegende lange schwarze Haar ließ dies ursprüglich edel geschnittene Gesicht noch schmaler, gelber und magerer erscheinen.

In seinem Gefolge ritten ein paar Officiere und – überraschender Anblick in dieser wilden Kampfscene – zwei Frauen.

Mit der Truppe, welche ihn umgab, war er rasch herangetrabt. Die vordersten seiner Reiter sorgten dafür, daß das marschirende Kriegsvolk ihm Platz machte.

Aber wenn er bisher von den einzelnen Kampfscenen, durch die er gekommen, sich nicht aufhalten lassen, so war es hier ein Anderes. Die Straße war gründlich versperrt, und für die nächste Zeit schienen die Vertheidiger des Verhaues durchaus nicht geneigt, den Kugeln, die hageldicht in ihre aufgeschichteten Baumstämme schlugen, weichen zu wollen; zwischen den Ritzen und Zwischenräumen dieser Baumstämme durch, über den Rand der Barricade zischte Kugel auf Kugel zurück, die wohlgezielt jedesmal ihren Mann trafen. Dazu schmetterten die Hörner ihre Signale, wirbelten die Trommeln und schrieen und tobten die Officiere, und über dem ganzen wüsten Schauspiel schwankten und wogten die Wolken von Pulverdampf.

Der General nahm den hohen Hut mit dem dreifarbigen Federbusche, der seine Würde bezeichnete, ab, wischte sich mit seinem Tuch die Stirn und sagte zu seiner Begleiterin gewendet, zu der großen blassen, mit entsetzten Blicken in das Getümmel schauenden Frau:

„Wir sind da in des Teufels Küche gerathen! Hier hilft kein frisches Vorwärts und kein unbekümmertes Weiterreiten trotz aller Rauferei zu unserer Rechten und Linken mehr! Verflucht, daß auch keine Artillerie zur Hand ist! Soll ich hier warten, bis man uns Platz geschafft hat? Habe ich Zeit zu warten? Verdammte Lage …“

„Sollte denn gar kein Weg in der Nähe sein, der rechts oder links abführte …“ fiel die Frau mit bleicher Lippe ein.

„Ich habe vorhin zur rechten Hand eine Schlucht bemerkt,“ sagte ein kleines und wie es schien vor Furcht zitterndes weibliches Wesen, das hinter der Dame ängstlich mit beiden Händen sich auf ihrem Pferde festhielt – es war gut, daß einer der Chasseurs dicht neben ihr das Pferd am Zügel führte, sie selbst würde schwerlich damit fertig geworden sein, das durch den Kampf und den Lärm aufgeregte Thier zu führen und zu halten.

„Wo ist diese Schlucht?“ fragte der General.

„Hinter uns, einige hundert Schritte zurück – ein Weg führt hinein!“ antwortete einer der Officiere, den die Binde als seinen Adjutanten bezeichnete.

„Wohl denn, so retten wir uns in die Schlucht, bringen wir Sie da in Sicherheit!“ sagte der General zu der Dame gewendet und warf sein Pferd herum.

Das ganze Geschwader machte Kehrt, schaffte sich Bahn wie früher durch die nachdringenden Massen und schwenkte nach wenigen Minuten links in die Schlucht hinein, in welcher es zu der Mühle und Wilderich’s Forsthaus hinaufging.

„Wird denn dieser Weg nicht irgendwo hinführen, von wo aus man diese Barricade umgehen und so weiter kommen könnte?“ rief hier der General aus – „Dubois, geben Sie doch die Karte her!“

Der Adjutant zog eine Karte aus seiner Sattelholfter hervor und reichte sie dem Vorgesetzten.

Der General schlug sie auseinander und suchte im langsamen Weiterreiten sich darauf zu orientiren.

„Dies hier muß die Schlucht, in der wir uns befinden, sein – der Weg läuft auf einen Hof Goschen … Goschenwald … aus und schwenkt dann links … links zwischen Bergen durch … ah, vortrefflich, er schlängelt sich mit der Heerstraße parallel, um sie eine oder zwei Stunden weiter westlich wieder zu erreichen … eine dünne Linie – ein Fußpfad am Ende nur, aber enfin, es ist doch ein Weg – es muß da auch durchzukommen sein; eh bien, wagen wir’s, vorwärts, vorwärts!“

Er reichte die Karte dem Adjutanten zurück. Dabei streifte sein Blick das Antlitz der Dame, deren Augen gespannt auf ihn gerichtet waren.

„Arme Marcelline,“ rief er dabei – „aber ich kann Sie dem nicht aussetzen … Sie können nicht mehr! Zum Teufel, wer hätte auch gedacht, daß wir in eine solche Cochonnerie gerathen würden! – Es wird Zeit, daß Sie Ruhe finden, meine Theure, daß Sie einige Stunden der Erholung bekommen.“

„Freilich, es ist schrecklich, dies Alles!“ versetzte die Frau mit einem von der Aufregung, worin sie sich befand, gedämpften und heiser gewordenen Organ – „es ist gar zu schrecklich –“

„Sie sollen in diesem Goschenwald, oder wie es heißt, die Nacht bleiben,“ fiel der General ein.

„Bleiben, zurückbleiben ohne Sie, Duvignot, in diesem Getümmel … was muthen Sie mir zu?!“

„Beruhigen Sie sich, Marcelline – wir werden ja sehen, wie dies Goschenwald aussieht; verspricht es Ihnen nur irgendwie eine Stelle, wo Sie die Nacht hindurch ruhig Ihr Haupt hinlegen können, so werden Sie da bleiben, ich lasse Ihnen den größten Theil meiner Escorte zum Schutze – mit dem andern eile ich durch die Berge weiter – ich darf nicht rasten, Jourdan zählt darauf, daß ich noch in dieser Nacht in Frankfurt ankomme – ich muß es wenigstens morgen vor Sonnenaufgang erreichen. Gesetzt auch, wir fänden die besten Wege, wie würden Sie einen solchen Ritt aushalten können?“

„O mein Gott, wär’ ich doch nie mit Ihnen gegangen – wär’ ich nie aus Würzburg gewichen …“

„Gewiß, gewiß,“ fiel der General Duvignot ein, „es wäre besser gewesen … aber wer zum Teufel konnte erwarten, auf solche Hindernisse hier zu stoßen? Als mir Jourdan den Befehl gab, mich eiligst nach Frankfurt zu begeben, um dort das Commando zu übernehmen – was schien da einfacher und selbstverständlicher, als daß Sie sich mir und meiner Escorte anschlössen, um aus dem Chaos in Würzburg heimzukommen nach Frankfurt, das man uns hoffentlich sobald nicht entreißen wird!“

„Wie war es möglich, daß man im Hauptquartiere so gar nichts von dem, was sich in diesen Bergen vorbereitete, ahnte?“

„Mein Gott, wie war es möglich! Wir sind in Feindesland! Unsere Spione waren Esel – oder haben uns betrogen! Auch haben wir verdammt wenig daran gedacht, daß wir geschlagen werden könnten, und uns wenig gekümmert um das, was hinter uns vorging – die Augen auf den Feind gerichtet, der vor uns stand!“

„Ihr habt Euren Feind verachtet!“

„Wir hatten ihn so oft geschlagen!“

„Nicht immer …“

„Ah bah, fast immer. Und wenn Bonaparte, dieser junge Teufel, ihn von Süden, Moreau, dieser alte Löwe, ihn von Westen, und wir, die wir uns alle für wahre Teufel hielten, und in Jourdan einen alten Löwen an der Spitze hatten, ihn von Norden packten – wie konnten wir etwas anderes erwarten, als ihm über den Leib zu marschiren bis nach Wien!“

(Fortsetzung folgt.)




Erklärung des Zündnadelgewehrs.
Von Prof. W. Camphausen.

Bei meiner ersten Morgenpromenade durch die Umgebungen Flensburgs im denkwürdigen Aprilmond des Jahres 1864 sah ich vor der Thür eines Kruges am Norderthor eine höchst charakteristische Gruppe, der die beistehende Illustration ihr Entstehen verdankt.

Unter den dort ein- und auseilenden bestaubten und sonnengebräunten Kriegsleuten, von denen zahlreiche Trupps als Ersatzmannschaften hinaus unter die Donner vor Düppel zu ziehen bestimmt waren, war ein kleiner kurzbeiniger fünfunddreißiger Füsilier, die auf irgend einem Hühnerhof aufgelesene Pfauenfeder stolz an den Helm gesteckt, eben dabei, mit dem echten redefixen Pathos des „richtigen Berliner Jungen“ einigen Oesterreichern sein niefehlendes ferntreffendes unübertreffliches Zündnadelgewehr zu produciren: ein paar rasche Griffe, ein Klaps „un fertig, det

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 468. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_468.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)