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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Sie haben Recht, Demoiselle,“ entgegnete er dann. „Und … wenn … wenn …“

„Was wollten Sie sagen?“ fragte sie unbefangen, als er in’s Stottern gerieth.

„Nichts, als daß Unsereins ja auch den Trost hat, zuweilen zu etwas nütz sein zu können … vielleicht, wenn Sie irgend eines Schutzes, eines Dienstes bedürften, … aber das wäre vermessen von mir zu hoffen … doch wird es Ihnen erwünscht sein, Auskunft, Nachrichten über die Vorgänge, die wir zu erwarten haben, zu erhalten … ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß, wenn ich wiederkommen dürfte, wenn Sie mir vergönnten …“

Wilderich’s Erröthen und Stottern wurde peinlich, so daß sie einfiel:

„Ich danke Ihnen, ich danke Ihnen aufrichtig, ich würde sehr undankbar für den Schutz sein, den Sie mir bereits einmal haben angedeihen lassen, wenn ich nicht gern Ihre Gefälligkeit wieder in Anspruch nähme, sobald ich ihrer bedürfte, und ich wüßte, daß es Ihnen nicht wieder eine so große Mühe machte, wie ich sie Ihnen gestern gemacht habe.“

Ohne eine Sylbe zu antworten, machte er ihr mit noch tieferem Erröthen eine Verbeugung und ging. Sie nickte freundlich, freundlicher, als sie ihn empfangen, mit dem Kopfe, und blickte ihm eigenthümlich bewegt nach, unruhig, unsicher, ob sie in diesem Gespräch nicht auffallend offen und aufrichtig und über ihre Lage mittheilsam gewesen, und was er darüber denken müsse. Es ist nun einmal so schwer, wenn man durch die Ereignisse aus allem Gleichgewicht gebracht und so in eine völlig andre Umgebung geworfen, weit aus den täglichen Lebensgeleisen geschleudert ist, die strenge Haltung, wie die Sitte sie will, zu bewahren, nicht von dem, was das Herz erfüllt, mehr über die Lippen fließen zu lassen, als man sollte! Ach und ihre Scrupel, daß Wilderich sie mißdeuten und mißverstehen könne, waren so ungegründet! Er sagte sich nichts über sie, er grübelte nicht, er urtheilte nicht, er fühlte nur stärker das, was ihn die ganze schlaflose Nacht hindurch leise durchwogt: dieses sehnende Empfinden, dies Betroffen- und Ergriffensein von der fremden Erscheinung; es war ihm, als ob das zu einem wahren Sturm werden könne, was schon jetzt ihm durch alle Adern pochte; er fühlte es und sagte es sich schon mit bewußter Klarheit, daß dieses geheimnißvolle schöne junge Mädchen mit seinem seltsamen Schicksal ihm mehr am Herzen liege, als alles Andere, was ihm nahe stand in dieser stillen grünen Bergwelt und außerhalb derselben.

Eine Weile, nachdem Wilderich gegangen, erschien eine zweite Person auf dem Hof von Goschenwald. Diesmal war es der gestrenge Herr Schösser; der Herr Schösser in der abgetragenen rothen, auf den Nähten ein wenig weiß gewordenen Uniform, in welcher einst der ritterschaftliche Canton von Oberfranken seine grausam tapfere und erschreckliche Heeresmacht zu der römisch-kaiserlichen Armada hatte stoßen lassen[WS 1], wenn es galt, den Reichsboden wider Türken oder Franzosen zu vertheidigen. Roth war diese Uniform – ob die grüne Sergeweste mit Messingknöpfen und die gelben Beinkleider und die schwarzen Gamaschen, in denen der Herr Lieutenant außer Dienst stolzirte, vorschriftsmäßig dazu gehörten, finden wir in den Büchern der Geschichte nicht verzeichnet; vielleicht hing diese Farbenwahl mit dem persönlichen Geschmack Seiner Gestrengen zusammen; gewiß aber gehörte dazu der Degen, der an der steifgraden dünnen Gestalt des Mannes hing wie eine Raa an einem Mastbaum, so daß man den Lehrsatz von der Gleichheit der Scheitelwinkel daran beweisen konnte; und sicherer noch die schöne Convolvulusblume des Zopfes!

Der Schösser kam aus dem Thorbogen heraus, dann stelzte er in dem ganzen Hof herum mit einem gewichtigen Schritt, nicht rechts noch links blickend … es sah aus, als ob der alte Mann dienstmäßig eine Ronde, eine Patrouille, ein schattenhaftes Corps seiner Tapferen, das nur er sah, führte; und in der letzten Ecke, da mußte er sie wohl entlassen haben und der Dienst zu Ende sein; die linke Hand auf den Rücken gelegt, die rechte in die grünsergene Weste geschoben, nahm er das Mädchen unter der Linde als Richtpunkt, auf den er jetzt zustelzte.

„Wünsche guten Morgen, Demoiselle Benedicte!“ sagte er, die Hand an seinen dreieckigen Hut mit der rothen Plümage legend.

„Guten Morgen, Gestrengen!“ antwortete sie.

„Thun verhoffen,“ fuhren die Gestrengen fort, „daß die Demoiselle Benedicte eine wohlschlafende Nacht genossen!“

„Ich danke Ihnen, Gestrengen, ich habe nach meiner ermüdenden Wanderung sehr tief und sehr lange geschlafen.“

„Auch, daß Wohlderselben die Ziegenmilch noch hinreichend warm servirt worden. Habe sie selber gemolken und der Beschließerin Afra zu schleuniger Ueberbringung anrecommandirt …“

„Ei, Sie melken die Ziegen selbst, Herr Schösser?“

„Jawohl, Demoiselle, melke sie selbst – dem Dienstvolk kann man so etwas nicht überlassen – melke sie selbst … mache auch den Käse – sehr guten Käse – werde die Ehre haben, bei Tisch mit einem kleinen Pröblein aufzuwarten was ich jedoch vermelden wollte, Demoiselle Benedicte, da Wohldieselbe mir anitzo von der Frau Aebtissin brieflich anempfohlen ist, so möchte es angemessen erscheinen, daß ich Hochderselben mittels eines Antwortsschreibens zu erwidern mich beflisse, wie ich solchem Ansinnen nachzuleben mit besonderer Dienstergebenheit erbötig sei!“

Benedicte, wie er unsere Novize genannt, nickte mit dem Kopf, doch schien ihr in dem Ton des Mannes eine Andeutung zu liegen, die sie nicht gleich verstand, und so sah sie ihn fragend an. Sie bemerkte, daß ihre schweigende Zustimmung zu seiner Aeußerung seine Miene nicht erhellte, während er fortfuhr:

„Wobei nur zu bedenken anheimgebe, daß auch noch dem Herrn Reichshofrath, dem Bruder der Frau Aebtissin, für den ich Goschenwald zu administriren die Ehre habe, anderweits noch Meldung zu machen haben dürfte.“

„Sie wollen, daß Sie mich hier aufgenommen haben, an den eigentlichen Eigenthümer dieses Hauses nach Wien melden?“

Der gestrenge Herr runzelte schwermüthig die Brauen.

„Das möchte allerdings für geziemlich erachtet werden – obwohl sonst nur alle Vierteljahre einen submissen Bericht dahin instradire.“

Die Demoiselle Benedicte hatte jetzt den gestrengen Herrn und den leisen Ton von Wehmuth und Klage, der in seiner Rede lag, verstanden.

„Ich glaube,“ sagte sie lebhaft, „Eure Gestrengen muthen sich da eine Mühwaltung zu, welcher ich Sie gern überheben möchte. Ich selbst werde der Aebtissin danken, ihr berichten, mit welcher Güte und Zuvorkommenheit Sie mich in Haus Goschenwald aufgenommen haben, und zugleich bitten, daß die Frau Aebtissin dem Herrn Bruder in Wien Nachricht von den Umständen giebt, unter welchen sie mir in seinem Eigenthum ein Asyl angewiesen hat.“

„Dieses wäre charmant, Demoiselle Benedicte!“ sagte der Krieger außer Dienst, höchst erfreut, die ihn beunruhigende Arbeitslast von seinen Schultern genommen zu sehen. „So will ich es dabei bewenden lassen … um so mehr, als die Posten nach Wien bei diesen Kriegsläuften so unsicher sind!“

„Sie haben Recht, Gestrengen, die Posten sind unsicher!“

Der Schösser ging, nachdem er über diesen Punkt beruhigt, zu einem anderen Gegenstand über.

„Ist wohl,“ fragte er, „ein alter Bekannter – der Herr, der eben ging – der Revierförster – von der Demoiselle Benedicte?“

„Durchaus nicht … woraus schließen Sie das?“

„Dachte so, weil er Sie herbrachte. Nun, dann desto besser. Wollte Sie nur gewarnt haben vor dem! Gefährlicher Mensch das! Staatsgefährlicher Mensch!“

Die Demoiselle Benedicte sah verwundert in das alte runzlige Gesicht vor ihr.

„Staatsgefährlich? … und weshalb?“

„Weil er hetzt; weil er die Bauern aufhetzt; und weil man nicht weiß bei ihm, woher und wohin!“

„Woher er kommt, hat er mir soeben gesagt.“

„Was hat er gesagt?“

„Er stammt von drüben her, aus …“

„Ja, von drüben, von drüben, von da her, wo sie jetzt die Franzosen, die Republik haben, und“ – der Herr Schösser dämpfte hier die Stimme zum Flüstern – „ist auch solch Einer; ein Jakobiner, ein Republikaner, ein Clubbist und Emissär; soll hier wühlen! Die fränkischen Bauern sind alle Hallunken; das will nicht mehr Schoß und Beden und Steuern zahlen; das will nicht mehr roboten … das will nicht mehr in Zucht und Zagen der Kirche dienen und in Furcht und Zittern vor der gestrengen Obrigkeit stehen; das läßt sich Reden von der Freiheit halten und unterweisen, wie man’s Kraut auf die Pfanne schüttet … na, wir werden erleben, was d’raus wird …“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: … zu der römisch-kaiserlichen Armada stoßen lassen, …
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_435.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2021)