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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Wer es hörte, dem traten die Thränen in die Augen, bei diesem Zeugniß von Selbstverleugnung.

Auch im Schlosse von Horenowes war ein Lazareth. Hier lag Oberst v. Zychlinski, für den sein Muster-Bursche einen mächtigen Topf Rahm in einem Versteck entdeckt hatte. Als der Rahm den Obersten erquickt hatte, trat Pastor Bester aus Waldenburg den Rahmtopf wie eine Erbschaft an. Freund und Feind wurden mit diesem Leckerbissen gespeist und ein österreichischer Hauptmann vom Regiment Mecklenburg, der beim „preußischen Erbsenwerfen“, wie er sich ausdrückte, zwei Kugeln in den Arm erhalten hatte, erklärte ein Mal über das andere, daß ihm in der „ganzen verflixten Campagne“ nichts so geschmeckt habe wie dieser Topf Rahm. – Aber solcher heiteren Bilder waren nicht viele. Der Major Noak de Hunyad vom Regiment Sachsen-Meiningen, ein Serbe von Geburt und nur leicht verwundet, eilte durch alle Gänge des Schlosses und rief nach einem Geistlichen: „ein Unterofficier seines Regiments sei am Sterben“. Endlich fand er, was er suchte. Ein lutherischer Geistlicher trat an das Lager des griechisch-katholischen Szegediners und reichte ihm das Abendmahl. – Um dieselbe Stunde wurden Gefangene in den Schloßhof gebracht, elf an der Zahl. Sie hatten vom Saum des Swiep-Waldes aus auf eine unserer Patrouillen geschossen und waren umstellt und aufgehoben worden. Bei mehreren fanden sich Patronen in den Rocktaschen, bei einem alten Graukopf einige Dutzend Zündnadel-Patronen im Aermel. Einer war mit dem noch warmen Gewehrlaufe in der Hand gefaßt worden; die anderen hatten die Gewehre fortgeworfen.

Wahrscheinlich waren diese elf Strolche (vier von ihnen sollen später gehängt worden sein) ein Bruchtheil jener Bande, die in der Nacht vom dritten auf den vierten auf dem ganzen Schlachtfelde, namentlich aber im Hola- und Swiep-Walde, die Todten geplündert und – es muß gesagt sein – viele von den Verwundeten elendiglich gemordet hat, um auch sie dann als Todte ausrauben zu können. Es ist nur allzu beglaubigt, daß Cannibalen-Thaten aller Art geschehen sind, Thaten, unter denen die Geschichte vom abgeschnittenen Finger, um den Ring leichter abstreifen zu können, zu den harmloseren zählt. Von dem Schrecklichsten mag der Schleier ungelüftet bleiben. Nur Folgendes finde Platz hier:

Ein Officier schreibt: „Ich hatte am 4. Juli du jour und mußte das Schlachtfeld passiren. Ganze Reihen lagen todt neben den Gewehren, stürmend von den Kartätschen niedergerissen; daneben die Trophäen unseres Sieges, Waffen, Gewehre, Pulverwagen, Kanonen. Auf einer derselben stand mit Kreide: ,Diese Kanone habe ich erobert. Gottlieb Zanke.’ Darunter hatte ein Anderer geschrieben: ,Das ist nicht wahr; ich nahm sie. K. Hencke.’ Doch ich will Dir von Anderem erzählen. Wir kamen in ein Gehölz, das zwischen den drei Dörfern Cistowes, Benatek und Maslowed liegt (der Swiep-Wald). Hier hatte der Kampf am meisten gewüthet; eine Menge todter Oesterreicher lagen unter und über einander, etwas entfernter sahen wir Gesindel, das beschäftigt schien, die Leichen zu plündern. Um sie wie Raubvögel zu verscheuchen, schossen wir unsere Revolver ab. Und wirklich, sie verschwanden oder schienen zu verschwinden. In demselben Augenblick, wer beschreibt unser Erstaunen! erhoben sich wohl zwanzig von den Todtgeglaubten, streckten uns flehend ihre Arme entgegen und baten mit schwacher Stimme um Wasser. Das Wenige, was wir bei uns hatten, war bald verbraucht. Ich versprach einem österreichischen Oberst, der vorn am Gehölz lag, sobald als möglich mit Wasser und einem Arzt wiederzukommen, und ritt nach dem nächsten Dorf. Aber wo hier Hülfe hernehmen! Endlich glückte es, aber wohl zwei Stunden mochten vergangen sein. Als wir in den Wald zurückkamen, erkannten wir den Platz kaum wieder. Die Oesterreicher alle geplündert, ohne die Uniformen lagen sie da, keiner regte sich mehr. Ich trat heran und rief: ,Hier ist Wasser, Wasser!’ Alles vergeblich, still blieben sie. Den österreichischen Obersten konnte ich unter den Todten nicht mehr herausfinden. Entsetzt verließen wir den Wald.“[1]

Vom Swiep-Walde aus wandten wir uns nach Chlum, um hier unsere Wanderung zu schließen. Es wird erzählt: „General Herwarth v. Bittenfeld sei am 4. früh von Problus nach Chlum hinüber geritten; seine Söhne standen in der Garde; sein Vaterherz wollte wissen, wie’s ,drüben’ abgelaufen sei. Als er von Rosberitz nach Chlum hinaufritt, hielt er an, sah in den Hohlweg hinein und sagte dann kopfschüttelnd:, Das geht über Problus.’ Und – es ging über Problus!“ .

Ein Feldgeistlicher schreibt: „Welch ein Anblick wartete unser hier, als wir endlich Chlum erreichten! Gleich am Ausgange des Dorfes, in einem Hohlwege, begegneten wir den Hufspuren des ,rothen Pferdes’, von dem die Apokalypse spricht. Schritt vor Schritt wuchsen die Würgezeichen. Unsere Ponies scheuten – ein todtes Pferd lag am Wege, dort wieder eins, daneben noch die Leiche eines Reiters, eines österreichischen Ulanen, der seinen Säbel in erstarrter Faust hielt. Auf beiden Seiten des Weges, dessen lehmiger Boden reichlich roth gefärbt war (ein anderer Bericht sagt: ,Wie ein rother Bach kam es den Hohlweg herunter’), zwischen zertrümmerten Wagen und Kanonen, lagen Haufen von Todten. Die schönen großen Leute vom ersten und dritten Garde-Regiment, Garde-Füsiliere vom Bataillon Waldersee, Braunsberger Jäger und Füsiliere vom zweiten Garde-Regiment deckten hier mit ihren Leibern die Wahlstatt. … So kamen wir bis auf den Kirchhof. Welch’ grellen Mißton gab heute der Name ,Friedhof’! Jedes Grab eine Würgebank!“

In der Chlumer Kirche, deren Thurm und Dach von mehreren Granaten getroffen war, lagen die Verwundeten in so dichten Schichten, daß man mit äußerster Behutsamkeit zwischenhin gehen mußte, um keinen zu verletzen. Auf dem Altarplatz ruhte, in seinen Feldmantel gehüllt, General v. Hiller; auf dem edlen Angesicht hatte der Tod die Freundlichkeit, die ihn im Leben kennzeichnete, nicht ausgelöscht, sondern verklärt. Neben ihm lag Major v. Neuß. Mancher von den Verstümmelten sah auf die Todten und seufzte vor sich hin: „Wär’ ich erst so weit!“ Gebete wurden gesprochen; deutsch, polnisch, böhmisch, ungarisch klang es laut und leise durcheinander. In der Sacristan-Wohnung neben der Kirche lagen in einem Zimmer zwei preußische Officiere, Lieutenant v. Pape, vom zweiten Garde- und Hauptmann v. Braun vom 43. Regiment, beide dem Tode nahe. Lieutenant v. Pape, mitten durch die Leber geschossen, litt schwer; keine Lage zur Linderung seiner Schmerzen war ihm zu verschaffen. „Ach, es geht auch so nicht!“ klagte er mit erlöschender Stimme. Er fühlte, wie es um ihn stand. Hauptmann v. Braun, durch die Lunge getroffen, lechzte nach einem Trunk Selterwasser. Und doch gab es kaum Wasser in Chlum. Die Brunnen waren theils ausgeschöpft, theils absichtlich (in unglaublicher Verblendung von Seiten unserer Feinde) verschüttet und verunreinigt. Mit vieler Mühe mußte das Wasser von dem am Fuß des Dorfes gelegenen Teiche heraufgeholt werden. Kam dann ein frischer Trunk, so streckte Alles die Hände aus: „Geistlicher Herr, i bitt’, mir auch, mir auch, i bitt’!“

Am vierten Juli Abends war Begräbniß auf der „Höhe von Chlum“, an selbiger Stelle, auf welcher der Sieg des vorhergehenden Tages zur Entscheidung gebracht worden war. Der Platz bot eine weite Umschau über den größten Theil des weiten Schlachtfeldes. Neben dem für General v. Hiller bestimmten Grabe waren noch neun andere Gräber aufgeworfen, welche die Leichen der übrigen gefallenen Officiere der ersten Garde-Division aufnehmen sollten. Die Mehrzahl derselben, in Folge eines mißverstandenen Befehls, war aber schon an der Kirche von Chlum bestattet worden. Nur Obristlieutenant v. Helldorf fand neben v. Hiller seine Ruhestätte. Unweit der Gräber war ein großer Theil der erbeuteten Geschütze aufgefahren. Der König, um seinen gefallenen General auch im Tode noch zu ehren, war aus dem zwei Stunden entfernten Hauptquartier zur Beerdigung herbeigekommen; auch die Prinzen wohnten der Feier bei. Die Officiere der Division waren vollzählig erschienen. Divisionsprediger Rogge trat an die Gräber und sprach über den Text: „Die Edelsten in

  1. Auch Thaten christlicher Liebe kamen vor; leider wohl nur sehr vereinzelt. Wir geben ein solches Beispiel. Zwischen Ober-Dohalitz und Dohalitzka lag ein 49er, vergessen, unter unsäglichen Schmerzen, kein lebendes Wesen in der Nähe. „Schon glaubte ich mich dem Tode nahe (so erzählt er selbst), als ein junges Mädchen erschien, einen großen Weinkrug in der Hand, und mir zu trinken gab; dann holte sie Wasser und wusch und verband meine Wunden. Wie hab’ ich’s da empfunden: ,Und Gott sandte seine Engel!– Der Name dieses heldenmüthigen Mädchens, die noch viele Andere in gleicher Weise erquickte, war Josepha Kalma, eine Czechin, – Uebrigens sei gleich bei dieser Gelegenheit ausgesprochen, daß es sehr fraglich ist, ob die Schlachtfeld-Geier blos böhmisches Gesindel waren. Viele Gerüchte sprechen von „Marodeurs“, und mannigfache Anzeichen liegen vor, daß unserer eigenen Armee seltsame Gestalten folgten. Man hat diesem Punkt ernste Aufmerksamkeit gewidmet.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_426.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)