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verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

hatte, als zwischen Cistowes und Chlum ein aufgescheuchter Hase erschien; pommersche Grenadiere hatten einen Generalswagen erbeutet, der von einer mit vier Jungen auf dem Wagenkissen liegenden Prince-Charles-Hündin energisch vertheidigt worden war, „energischer als manche Position“. Rührender war die Geschichte vom Hunde des sächsischen Hauptmanns; der Hund bellte und zerrte, bis man ihm in ein Kornfeld folgte, wo, mit zerschossenen Füßen und unfähig sich zu bewegen, sein Herr unter den Aehren lag.

An solch’ beweglichen Scenen war kein Mangel, und so plauderte man in den Bivouacs. – Wir aber machen einen Gang über das Schlachtfeld hin, an den Scenen vorüber, wie sie der „andre Tag“ bot. Unser Weg führt uns vom rechten nach dem linken Flügel.

Auf dem Probluser Kirchhof war man am Begraben. Man hatte meist nicht weit zu tragen, denn am dichtesten lagen die Gefallenen auf dem Kirchhof selbst. Der Kirchhof ist in allen modernen Schlachten Lieblings-Kampfesstätte; die Todten fallen zu den Todten. In den Kirchthurm hatte eine Granate ein großes Loch geschlagen, das Pfarrhaus war durchlöchert, in dem Zimmer des Pfarrers steckten eilf Kugeln. Vor dem großen Dorfbrunnen stand ein Posten, um die letzten Wasserreste für die Verwundeten zu sichern. An der Dorflisière, nach Westen zu, hinter einem Heckzaun lagen sächsische Jäger in langer Reihe; weiter nach Westen hin, von wo unser Angriff kam, unsre Sechsundfünfziger. Eben schritt ein Trauerzug auf den Kirchhof zu. Es waren Füsiliere von der neunten Compagnie, die ihren Hauptmann, von Monbart, zu Grabe trugen. Sie hatten für ihn in Eile einen schlichten Sarg gezimmert und sein letztes Haus mit Blumen geschmückt. Die Braven ehrten sich selber, indem sie ihren Führer ehrten. Als sie ihn in sein Grab gesenkt, dicht an der Kirche, kratzten sie seinen Namen in die Wand des Gotteshauses ein; eh’ die Sonne unter war, stand noch manch’ andrer Name denrunter.

Von Problus bis Mokrowons ist eine halbe Stunde. Hier war der Wiesengrund wie gepflügt. In der Meierei lagen Vierundfünfziger. Aus ihr heraus trugen sie eine Bahre, auf der zwei Todte lagen, ein galizischer Katholik, ein pommerscher Protestant. Der Ortspfarrer folgte in reichem Ornat, neben ihm ein evangelischer Geistlicher im Feldrock mit Binde und Päffchen. Der eine betete sein de profundis und Pater noster, der andre schloß mit dem Vaterunser. Der katholische Geistliche nahm die Schaufel und warf Erde in die Gruft; dann reichte er sie dem protestantischen Geistlichen, der nun ein Gleiches that. Ein Augenzeuge schreibt: „Ich hatte doch in etwas den Eindruck von dem ,ich glaube an eine heilige allgemeine christliche Kirche’.“

Neben Mokrowons liegt Dohalitzka. Mitten im Dorf, auf einem freien Platz, stand ein großes Crucifix, umgeben von fünf stattlichen Linden. In die eine war eine Granate eingeschlagen und hatte einen mannsstarken Ast wie ein Reis zersplittert; die Splitter lagen umher, das Staket war zertrümmert, aber der Gekreuzigte war unversehrt. Muß doch vor ihm alle Gewalt sich beugen! In der schönen, weithin sichtbaren Kirche befanden sich über hundert Verwundete. Einzelne hockten in den Gängen der hochgewölbten Kirche, die Mehrzahl lag um den Altar herum und blickte hinauf zu dem Bilde des Gekreuzigten. Orgel und Kanzel waren hinausgetragen, die Fenster zerschossen, und doch war das ganze Gotteshaus mit seinen Bewohnern eine gewaltige Predigt von dem „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ Und sie waren mühselig und beladen. Einer lag da mit gespaltenem Schädel, so daß man auf das Hirn sehen konnte; einem andern war die Schulter weggerissen; er starb; auf einem groben leinenen Tuch (er war nicht anders transportirbar) ließen sie ihn in die Gruft hinab; da lag er in seiner Blöße und seine gebrochenen Augen, die Niemand ihm zugedrückt, schauten aus der Grabestiefe zum Himmel auf. Mangel an Allem, kein Stroh, kein Wasser. Einem österreichischen Rittmeister reichte ein Feldgeistlicher ein Bröckchen Schiffszwieback und einen Tropfen Wein; dem wieder Auflebenden stürzten die Dankesthränen aus den Augen, und er segnete die Hand, die ihm mit so Wenigem so viel gethan.

Von Dohalitzka führt ein hübscher Weg etwas bergab nach Sadowa. Es sind nur zwanzig Minuten. Hier in Sadowa lagen die Schwerverwundeten in der Zuckerfabrik zwischen den Kesseln und hydraulischen Pressen des Siedehauses. In dem Wirthshause, wohin man die verwundeten Officiere geschafft hatte, war es schon wieder leer geworden. Hier hatten Oberstlieutenant v. Pannewitz vom Regiment Elisabeth und Freiherr von Putlitz vom neunundvierzigsten ausgehaucht; schon hatten sie dem Nepomukbilde gegenüber, das neben dem Wirthshause steht, hart an der Straße „unter den Aepfelbäumen von Sadowa“ ihr Grab gefunden. Treue Hände richteten eben die schlichten Kreuze auf. Der katholische Todtengräber kniete, während die letzten Worte gesprochen wurden, am Grabe und betete mit.

Im Wirthshause mußten auch sterbende Oesterreicher gelegen haben. Eine Soldatengruppe, Pommern vom Colberger Regiment, fanden eben ein kleines Amulet zwischen den Ritzen der Dielen und mühten sich die Inschrift zu entziffern. Es glückte erst, als ein Officier herantrat. Die Inschrift war in französischer Sprache: „O Maria, ohn’ Sünd’ empfangen, bitt’ für uns.“ Es mochte vom ungarischen Oberst Serinny, Commandeur des Regiments Würtemberg, hier verloren sein, der die Nachtstunden, ehe man ihn nach Horsitz schaffte, in diesen Räumen zugebracht hatte. Oberst Serinny, als der Johanniterritter v. Werder ihm ein Stück Commißbrod und ein Restchen Madeira gab, hatte es mit den Dankesworten hingenommen: „Und ich, ich darf nicht einmal wünschen, Ihnen einen gleichen Liebesdienst leisten zu können.“

In Ober-Dohalitz, das nur aus zehn bis zwölf Häusler-Etablissements besteht, sah es grausig aus. Aus diesen Häusern, als sie in Brand gerathen waren, hatten sich alle Verwundeten, die sich noch bewegen konnten, meist Oesterreicher, in die Höfe und Gärten geschleppt; die anderen waren verbrannt. Jene hatten seit vierundzwanzig Stunden kein anderes Labsal gehabt als den Nachtthau. Als endlich Hülfe kam, hörte man nichts als den Ruf woda, woda, und wenn ihnen Wasser aus einem nahe gelegenen Teich gereicht wurde, klang es Dzieki, Dzieki von ihren zitternden Lippen.

Aehnlich wie im Hola-Walde, an dessen Südspitze Ober-Dohalitz liegt, sah es im Swiep-Walde aus und in den Dörfern, die ihn umgeben, in Cistowes, in Benatek, in Maslowed und weiter zurück in Cerekwitz.

In Cistowes lagen viele Siebenundzwanziger und Gardefüsiliere. Dazu welche Bilder auf der Dorfgasse! Ein Jäger, an die Wand gelehnt, auf sein Gewehr gestützt, war stehend gestorben. In einem Brunnen mit zertrümmerter Einfassung lag ein todter Ulan, mit dem Pferde hineingestürzt. Eine der Scheunen war mit österreichischen Verwundeten überfüllt. Einer, ein Banater vom Regiment Coronini, war durch die Brust geschossen. Unter jammervollem Keuchen bemühte er sich krampfhaft, den Mantel von der blutbedeckten bloßen Brust wegzuziehen; es wollte nicht glücken; Keiner verstand ihn; endlich bemerkte man, daß noch dreißig Patronen in der Tasche seines Mantels steckten, deren Gewicht ihm fast den Athem geraubt hatte.

Cerekwitz, außerhalb des eigentlichen Schlachtrayons gelegen, bot wenig Bilder der Zerstörung; aber in seinem Schlosse, das zu einem großen Lazarethe eingerichtet war (Geheimer Rath Dr. Wilms leitete dasselbe später in einer auch vom Feinde als musterhaft anerkannten Weise), reihte sich Lager an Lager. Auf dem einen lag Hauptmann v. Westernhagen vom 27. Regiment, durch die Brust geschossen. Er hatte die Hoffnung aller Lungenkranken und Verletzten.

„Ich denke wieder besser zu werden.“

Der Arzt tröstete ihn.

„Steht es so um mich? Nun, wie Gott will.“

Nicht weit von ihm lag ein anderer Officier von der siebenten Division. Er wußte, daß es zu Ende ging. Als der Geistliche an sein Bett trat, sagte er leise:

„Ich fühle, daß meine Wunde tödtlich ist. Meine Sünden, deren ich viele begangen habe, thun mir herzlich leid und ich wünschte wohl, daß ich ein neues Leben anfangen könnte. Ach, in der Jugend lebt man so dahin.“ Danach ward er still; dann sagte er: „ich werde wohl sterben, ob ich schon noch leben möchte.“

In die Halle des Schlosses wurde ein 66er Füsilier getragen; man hatte ihn erst spät im Kornfeld gefunden; nun legten sie ihn nieder auf die Fliesen. Er war durch den Mund geschossen und ein dicker Blutschaum stand auf seinen Lippen. Als einer der Diaconen an ihn herantrat und ihm einen Trunk Wein anbot, erwiderte er: „Ach ja, wie gern, aber ich mache Ihnen ja die Flasche schmutzig.“

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