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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Volle Wahrheit verkündet nun kommenden Geschlechtern die eherne Inschrift der neuen großen Nicolai-Glocke:

„Gegossen nach dem Bruderkriege in Dankestagen, 1452,
Ward ich von einer kaiserlichen Kugel zerschlagen, 1633.
Wieder gegossen trotz Krieg und betrübter Zeit, 1634,
Diente ich 233 Jahre in Freude und Leid.
Am Sterbetag des Herrn bin ich beim Läuten zersprungen, 1867.
Gott zu Preis und Ehre ist mein dritter Guß gelungen, 1869.“

Welcher Stadt im gesammten deutschen Vaterlande ist es aber mehr zu gönnen, als der Stadt Leipzig, die in ihrem Weichbilde mehr Schlachtfelder zählt als manches ganze Land, daß ihr und dem deutschen Volke und der Bildung und Gesittung aller Menschen zum Heil Schiller’s Weihespruch auch für diese Glocke gelte:

„Freude dieser Stadt bedeute,
Friede sei ihr erst Geläute!“

Friedrich Hofmann.




Blätter und Blüthen


Ein Brief von Fr. Hecker. Wir können heute unseren Lesern die gewiß Allen willkommene Mittheilung machen, daß Fr. Hecker auf unsere ausdrückliche Bitte hin die Gartenlaube mit einer Reihe von „Bildern und Erinnerungen aus seinem Leben“ erfreuen wird, die schon nächstens beginnen werden. Er schrieb dem Redacteur dieser Blätter schon Ende April:

„Ich habe allerdings hier ein merkwürdiges Leben durchgerungen. Losgeschleudert aus einem glänzenden, behäbigen Leben, hat die Hand, voll Schwielen, den Weg bahnen müssen, da ich zum politischen Aventurier nicht gemacht bin, die von der Aemterjägerei unzertrennliche Selbsterniedrigung verabscheute, die Advocatur meist stark in der Nähe des Galgens arbeitet, und ich für das Wort smartness keinen anderen Ausdruck als Hallunkerei auftreiben konnte. Ich zog eine ärmliche Unabhängigkeit einem glänzenden, oder besser gesagt, gleißenden Leben aus dem öffentlichen oder anderer Leute Seckel vor und schwang lieber die schwere lange Ochsenpeitsche, als daß ich beim König im Frack antichambrirt hätte.

Trotzdem nahm ich am öffentlichen Leben den regsten Theil, wurde mit den meisten politischen Größen persönlich genau bekannt, und verfolgte sie mit ebenso scharfen Augen, als ich dem Roßtäuscher und Viehhändler in’s Gesicht zu schauen hatte, um nicht über’s Ohr gehauen zu werden.

Als ich mich hier niederließ, war Alles weite wilde Prairie; wo jetzt Eisenbahnen sausen und blühende Städte stehen, jagte ich den Hirsch, den Turkey, das Prairiehuhn, oder fing meine Stiere mit der Schlinge, um sie jochbändig zu machen. Heute auf einer stamptour (Fußtour) gegen die Sclavenhalter-Aristokratie, bald darauf in toller Jagd zu Pferde hinter dem Wilde in tiefen Wäldern her, und gehend schlafend auf dem gefrorenen Boden zwischen mächtigen Feuern. Hier in der Hinterwäldlerhütte primitivsten Styls, derb in ungesuchtem Verkehr mit Rowdies und Desperados. Den treusten Freund im Gürtel, den Revolver und das lange Bowie-Messer. Dann drei Jahre Bivouac, nur neunmal ein Dach und Fach über dem Kopf, hungernd fechtend, die Kleider modernd auf dem Leibe, und wieder herrliche, frohe Tage, voll Aufregung und Genuß. Mit welch’ merkwürdigen Menschen bin ich zusammengestoßen! Grant war eine meiner ersten Bekanntschaften, da er das einundzwanzigste und ich das vierundzwanzigste V.-St.-Reg. commandirte. Lincoln hatte mir Anekdoten von einem Hunde erzählt, als ich neue Uniformen für meine zerlumpten, strapazirten, halb und ganz barfüßigen Truppen verlangte; und ein bekannter Bravo hatte so den Narren an mir gefressen, daß er mir seine Liebe nicht besser ausdrücken konnte, als daß er mir sagte: Wenn ich einen Kerl in die Ewigkeit wissen wolle, möge ich’s ihm nur zu wissen thun, in vierundzwanzig Stunden sei er verschwunden.

Kurz, wenn ich auf die letzten zwanzig Jahre zurückblicke, so liegt ein so buntes Bild vor meinen Augen, als ich es sah, da ich an der afrikanischen Küste zum ersten Mal landete und meine Reisegefährten, Mecca-Pilger, von ihren Glaubensgenossen friedlich empfangen wurden und Esel, Kameele, Berberhengste und der ganze Menschencarneval die Solo’s dazu lieferten.

Nun müssen Sie wissen, daß ich, besonders im Sommer, im Felde, Weinberg, Obstgarten etc. thätig sein muß und nur ruck- und zeitweise am Schreibtisch verweilen kann. Auch schreibe ich nur dann, wenn ich so recht mich dazu aufgelegt und angeregt fühle. – Wenn man Erlebtes wiedergeben will, ist es sehr schwer, rein objectiv sich zu verhalten, und so wenig ich es liebe, das liebe Ich wie eine Monstranz im Publicum herumzuschleppen, so ist bei solchen Darstellungen doch nicht ganz zu vermeiden, daß die schreibende Person sichtbar wird.

Wahrscheinlich werde ich diesen Sommer die erste Excursion auf der Pacific-Bahn von St. Louis nach San Francisco mitmachen. Das gäbe sicher einen interessanten Reisebericht. Ein interessantes Charakterbild wäre auch ein Thüringer, der, ein Theilnehmer am Frankfurter Attentat, hierher geflüchtet, sich 1835 als Jäger und Trapper der Pelzhandelsgesellschaft auf drei Jahre engagiren ließ, dann elf Jahre in den Rocky-Mountains als Free-Trapper zubrachte und 1848 nach Belleville zurückkam. Ich lernte ihn 1849 kennen. Aus dem fröhlichen Thüringer war ein schweigsamer Mensch geworden, der viel vom Indianer angenommen hatte. Es gelang mir nach einiger Zeit, ihn mittheilsam zu machen, und ich lauschte seinen Erzählungen mit höchstem Interesse. Sein Name war Schreiber. Er starb in dem Delirium des Nervenfiebers, den Todtengesang singend, den die Blackfeet-Indianer am Marter- und Todespfahl singen.

Mit herzlichem Gruße Ihr Hecker.




Ausstellungsgebäude der nächsten Zukunft. (Mit Abbildung. S. Seite 405.) In Hamburg wird soeben eine große internationale Gartenbau-Ausstellung vorbereitet, von deren in der Ausführung begriffenen Baulichkeiten und Baumpflanzungen wir unsern Lesern vor der Hand die erste Ansicht mittheilen, Näheres über die Ausstellung selbst uns seiner Zeit für einen besonderen Artikel vorbehaltend. Schon jetzt sprechen Fachmänner die Ueberzeugung aus, daß ein Bild des deutschen Gartenbaues noch niemals so glänzend und in solchem Umfange vorgeführt worden sei, wie es in Hamburg geschehen werde. Die Wahl des Platzes ist die günstigste, um den Festhallen der Flora Gäste aus allen Bevölkerungsschichten und die Fremden aller Länder zuzuführen. Die weitläufigen Anlagen breiten sich auf dem sogenannten Stintfang, demjenigen Theile des alten Festungswalls von Hamburg aus, welcher über die zur Linken desselben sich ausdehnende Stadt und über den auf unserm Holzschnitte noch sichtbaren Hafen sammt dem Steinwärder mit seinen zum Theil recht imponirenden Fabrikessen bis zu den jenseitigen Elbuferhügeln eine ebenso reizende als großartige Aussicht gewährt. Kein Fremder versäumt den Besuch dieses Walltheils, an dessen Fuß sich noch der alte Stadtgraben, jetzt von einer eleganten Brücke überspannt, hinzieht, und dem Hamburger ist es der liebste Erholungspunkt; um so lebhafter wird es von Beiden hier durcheinander wogen, wenn neben dem gewohnten Bilde der großen schönen Stadt des Weltverkehrs noch die Lieblichkeit, Fülle und Pracht der Welt der Blüthen und Früchte das Auge fesselt. Der Beginn dieser Ausstellung ist auf den 2. September festgesetzt.




Bock’s Briefkasten.

Gegen Bruch-Pflaster und -Salben (von Sturzenegger, Krüsi-Altherr, Menet, Simon etc.) glaubte Verf. in Nr. 29 der Gartenlaube, Jahrgang 1868 sich sattsam ausgesprochen zu haben und zwar durch die doch wahrlich nicht unklaren Worte: „Die entsetzliche Bornirtheit und die ganz kindische Aber- und Leichtgläubigkeit der Menschen in Allem, was auf Gesundheit und Krankheit Bezug hat, macht es erklärlich[WS 1], daß sogar bei Leiden, die, wie die Bruchschäden, durchaus mechanische oder operative Hülfe verlangen, doch noch Geheimmittel empfohlen und gekauft werden, die nichts als schimpfliche Attentate auf die Geldbeutel dummer Gimpel sind.“ Trotz dieser meiner Expectoration werde ich doch fortwährend noch mit schriftlichen Anfragen über jene Geheimmittel incommodirt und darüber immer ärgerlicher. Man lasse sich also ein- für allemal gesagt sein: jene Bruchmittel sind nicht nur nichtsnutziges Zeug und stehlen dem Käufer geradezu das Geld aus der Tasche, sondern sie sind auch deshalb gefährlich, weil sie den leichtgläubigen Bruchkranken abhalten, reelle Hülfe (besonders durch ein gutpassendes Bruchband) in Anspruch zu nehmen. Der Bandagist Hr. Reichel in Leipzig, der von sehr vielen Bruchkranken consultirt wird und dabei jene nichtsnutzigen Bruchschwindeleien kennen zu lernen Gelegenheit hat, übergab dem Verf. folgenden, neuerlichst erst (April 1869) geschriebenen Brief von Hrn. G. E. in B. (der Name ist natürlich zu erfahren): Zur Steuer der Wahrheit! Nachdem ich für zwölf Thaler Bruchsalbe von Sturzenegger in Herisau, durch Herrn Kirschbaum in Leipzig bezogen, verwendet habe, ist mein Bruch noch von derselben Größe und Gestalt wie früher, und ich habe nicht den geringsten Nutzen von dieser Salbe gehabt. Möge sich Jeder hüten, sein schönes Geld für diese nichtsnutzige Salbe wegzuwerfen.“ Also man traue solchen Geheimmitteln gegen Bruchschäden, wie überhaupt allen Geheimmitteln, niemals, selbst wenn sie von angeblichen Doctoren empfohlen werden.

Bock.




Inhalt: Neue Sprüche. Von Friedrich Bodenstedt. – Reichsgräfin Gisela. Von E. Marlitt. (Fortsetzung.) – Der eiserne Doppelgürtel der Union. Von Theodor Kirchhoff in San Francisco. – Vor fünfzig Jahren. Von Robert Keil. – „Die Nachbarin des Donners.“ Von Friedrich Hofmann. Mit Abbildungen. – Blätter und Blüthen: Ein Brief von Friedrich Hecker. – Ausstellungsgebäude der nächsten Zukunft. Mit Abbildung. – Bock’s Briefkasten.




Nicht zu übersehen!


Mit dieser Nummer schließt das zweite Quartal unserer Zeitschrift. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das dritte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Die Verlagshandlung.




Mit der nächsten Nummer beginnt eine größere historische Erzählung aus dem Spessart von Levin Schücking: „Verlassen und Verloren“, zugleich finden die Leser in dem dritten Quartal Fortsetzung und Schluß der „Reichsgräfin Gisela“ von E. Marlitt, außerdem „Bilder und Erinnerungen von Friedrich Hecker, „Aus Weimars Glanzzeit“ von Ludwig Storch, Beiträge von Bock, Brehm, Gutzkow etc. etc.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: erkärlich
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_416.jpg&oldid=- (Version vom 30.4.2018)