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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Nichts ist da der Willkür überlassen, Alles folgt strengster Berechnung, selbst die Bogenlinien des Glockenkörpers zieht nicht die freie Hand, sondern nach bestimmten Gesetzen der Cirkel oder das Lineal. Zur Grundlage dieser Berechnungen nimmt man die Glockendicke am Schlagring, die den vierzehnten Theil von der Länge des Durchmessers der Glocke am Borde derselben beträgt. Zu diesem Behufe theilt man diesen Durchmesser in vierzehn Schläge ein und bestimmt darnach alle übrigen Maße, namentlich die vom Schlagring aus abnehmende Stärke der übrigen Glockenwand. Dieser Länge entspricht zugleich die Höhe der Glocke mit der Krone.

Soll z. B. eine Glocke von 10 Centner Gewicht gegossen werden, so dient zur Berechnung der Verhältnisse der Form, damit diese genau das bestimmte Quantum des flüssigen Metallstromes in sich aufnehme, eine Normalglocke, welche erfahrungsmäßig nach Ton, Dimensionen und Gewicht bekannt sein muß. Das ist eine Glocke von 1 Centner Gewicht, welche den Ton As der einmal gestrichenen Octave und einen unteren oder Bord-Durchmesser von 19,58 Zoll sächsisch hat. Um nun die Verhältnisse der 10-Centner-Glocke zu finden, muß die Kubikwurzel aus 10 gesucht werden, das ist 2,1545, welche Zahl alsdann mit den bekannten Dimensionen der 1-Centner-Glocke multiplicirt die Größe und zugleich den Ton der 10 Centner schweren neuen Glocke auf das Genaueste bestimmt.

Was den Glockenton an sich betrifft, so ist das Größenverhältniß der in einer Octave liegenden Scala von zwölf Glocken durch Ausrechnung einer Zahlenreihe zu finden, welche genau den Schwingungen der betreffenden Töne in einem gewissen Zeitraum entspricht. Der Glockengießer, welcher nicht blos an handwerksmäßigen Erfahrungen und Ueberlieferungen festhält, arbeitet nach einer auf wissenschaftlicher Grundlage ruhenden Theorie, welche untrüglich ist. Wenn indeß doch die Herstellung eines rein harmonischen Glockengeläutes immer ein Meisterstück bleibt, so liegt dies an der Ausführung der verschiedenen Manipulationen beim Formen und Gießen, welches mit äußerster Genauigkeit erfolgen muß, weil jede, auch die kleinste Ungenauigkeit sich, wenn nicht durch Mißlingen des Gusses, so doch durch Störung der Harmonie auf das Empfindlichste rächt.

Zu diesen einzelnen Manipulationen führe uns nun unser Schiller! Er beginnt:

„Fest gemauert in der Erden
Steht die Form, aus Lehm gebrannt.

Richtiger, kürzer und bestimmter konnte dies nicht ausgedrückt werden. Die Form besteht aus drei Theilen: dem Kern, welcher beim Guß die innere Seite der Glocke giebt; dann dem Hemd oder der Dicke, das heißt dem Modell der künftigen Glocke; – endlich dem Mantel, welcher die äußere Bedeckung des Modells bildet und der Glocke ihre äußere Gestalt verleiht.

Ist der Durchmesser der Glocke bestimmt, so schlägt man in der Mitte des Raumes in der Grube, auf welchem sie gegossen werden soll, einen Pfahl ein, der ungefähr bis zur Hälfte der Höhe der künftigen Glocke aufragt. Hieraus wird etwa anderthalb „Schläge“ (s. oben) über den Durchmesser der beplanten Glocke hinaus in Form eines breiten Ringes ein Fundament (der Stand) aus Back- oder Ziegelsteinen aufgemauert und auf diesem, ebenfalls von Ziegeln, ein Körper von nahezu der Größe und Form des hohlen Raumes der Glocke aufgeführt, jedoch so, daß er in der Mitte eine cylindrische Höhlung erhält, zu welcher von vier Seiten des „Standes“ niedrige Canäle führen, welche den nöthigen Luftzug unterhalten, wenn später, zur Austrocknung der Form, Feuer darin angeschürt wird. Oben auf den Pfahl wird ein langes Stück Eisen („Grenzeisen“) so gelegt, daß es auf beiden Seiten fest in’s Gestein mit eingemauert werden kann; es ist mit einer Pfanne zur späteren Aufnahme eines Eisenstiftes versehen. Ist dieser Kern bis zur Haubenhöhe der Glocke aufgemauert, so wird ihm mittels eines Lehmüberzugs die genaue innere Glockenform gegeben. Zu diesem Behufe wird in die Pfanne des Grenzeisens im Cylinder des Kerns eine eiserne Spindel gesteckt, die mit ihrem oberen Zapfen in einem mit Eisen überfütterten Loche eines starken Balkens läuft, welcher über die Dammgrube gelegt ist und die Spindel fest in senkrechter Stellung erhält. An diese Spindel sind, zwischen dem Balken und dem gemauerten Glockenkern, zwei gabelförmige Eisen (Scheeren) befestigt, zwischen deren Schenkeln ein sogenanntes Drehbret (auch Lehre oder Schablone genannt) eingeschraubt ist. Dieses Formbret ist so ausgeschnitten, daß es genau so viel Raum frei läßt, als zwischen dem Steinkern und der künftigen inneren Seite der Glocke Lehmlage Platz finden soll. Der Lehm dazu muß frei von allen fremden Körpern sein und wird, um ihm mehr Bindekraft zu geben, mit Pferdemist, Kälberhaaren, Flachs- oder auch Hanffasern untermengt. So wird nun Schicht um Schicht, jede neue nach völligem Trocknen der vorigen, aufgetragen. Entspricht endlich dieser Theil der Form der aufgestellten Berechnung, so entfernt man die Schablone aus dem Kern und unterhält nun darin ein gelindes Feuer zur soliden Austrocknung der Lehmmasse, die außerdem nun noch mit gesiebter, in Bier oder Wasser eingerührter Asche mittels Pinsels bestrichen (geäschert) wird, um eine zarte Scheidewand zwischen diesem Kernlehm und dem nun auf ihn kommenden Modelllehm zu ziehen und später die leichtere Ablösung dieses von jenem zu erwirken.

Der nächste, zweite Theil der Form muß das vollständige Modell der Glocke liefern. Die Spindel kommt wieder zwischen Grenzeisen und Balken, aber zwischen ihre Scheerenschenkel eine neue Schablone, genau nach dem Profil ausgeschnitten, welches die Glocke nach außen zeigen soll. Das Auftragen des Lehms erfordert jetzt noch mehr Aufmerksamkeit, als vorher, jede Schicht muß durch gelindes Feuer getrocknet, jeder Sprung und Riß in demselben gut zugestrichen und wieder getrocknet werden, bis endlich der letzte Ueberzug gegeben werden kann, welcher aus einer Mischung von geschmolzenem Talg und Wachs besteht. Aus dieser Mischung oder bloßem Wachs bestehen auch alle über die glatte Oberfläche des Metalls hervorragenden Glockentheile, wie Reifen, Stäbe, Gesimse, Laubwerk, Wappen, Bilder, Inschriften und sonstige Verzierungen.

Und nun kommt die Herstellung des dritten Haupttheils, des Mantels der Form. Hier kommt die Schablone (das Formbret) erst zuletzt in Anwendung. Die ersten Schichten des Mantels bestehen aus einem aus zerstoßenem und gesiebtem Lehm und feinem Ziegelmehl hergestellten Gemenge (Zierlehm), das mit Wasser in einen dünnen Brei verwandelt, ebenfalls mit Kälberhaaren und Pferdemist versetzt ist und mit einem Pinsel sorgfältig aufgestrichen wird. Mit diesem Zierlehm müssen namentlich alle Vertiefungen zwischen den Inschriften, Bildern und sonstigem Zierwerk vollständig ausgefüllt sein. Die Trocknung geschieht hier durch die Luft. Erst wenn hierauf eine Schicht Formlehm mit der Hand sorgfältig, um nicht durch Druck an den Wachsverzierungen und Inschriften zu verderben, darüber gelegt ist, beginnt wieder das Trocknen durch Feuer im Kern, alle Wachs- und Talgtheile im Innern schmelzen, ziehen sich in den Lehm und lassen nicht nur zwischen Modell und Mantel ringsum einen hohlen Raum, sondern namentlich die Eindrücke aller Verzierungen und hervorragenden Theile an der innern Seite des Mantels zurück. Der Mantel wird nun durch Auflegen und Abtrocknen immer neuer Lehmschichten und Lagen von Hanffasern bis zu einer Stärke von vier bis sechs Zoll gebracht. Nun erst wird wieder die Schablone angewendet, die nun im obersten Theil des Mantels eine kreisrunde Oeffnung ausschneidet, in welche später die Form der Krone eingesetzt wird. Ist dann der Mantel durch die Schablone gleichmäßig abgerundet, so wird er schließlich noch mit eisernen Schienen und Reifen umlegt, an welchen sich Haken zur Befestigung von Seilen befinden, an denen er nun, ohne irgendwelche Beschädigung der Kern- und Modellformtheile, mittels Krahns oder Flaschenzugs in die Höhe gezogen werden kann. Dies muß aber geschehen, damit die Arbeiter zu der noch auf dem Lehm des gemauerten Kerns ruhenden Lehmschicht des Glockenmodells gelangen können, um diese vollständig zu entfernen.

So weit sind die Arbeiten auf unserer größeren Illustration gediehen, welche das Innere der Jauck’schen Glockengießerei, zugleich mit dem alten Meister selbst, darstellt. Hart vor der Wand des Schmelzofens (im Hintergrund) ist die Dammgrube, aus welcher wir die Kernformen von drei Glocken hervorragen sehen. An der einen wird soeben die Lehmschicht des Modells vom Kern abgeschlagen. Die drei Mäntel dazu sehen wir oben, den einen zur Linken hinter dem Korb mit Hanf, der zweite ist umgelegt; dies geschieht, um etwa nöthige Nachbesserungen in dem Schrift- und Zierwerk anzubringen. Der dritte Mantel ist soeben aus der Grube emporgehoben und ruht mit auf dem Balken, dessen eisenausgelegtes Seitenloch vorher den Spindelzapfen des Schablone- oder Formbrets mit senkrecht hielt. Die Formen der drei Glockenkronen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_414.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)