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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

unempfindlich gegen die impertinente Art und Weise der gereizten Dame? Kein Zug seines Gesichts bewegte sich, und auf die Frage des Fürsten, wo er diesen Schmuck acquirirt habe, versetzte er lakonisch: „In Paris.“

Der Minister kam langsam über den Platz. Welch’ ein Contrast zwischen diesem grünlich-weißen, steinernen Gesicht und den fieberhaft erregten Zügen der schönen Titania! … Es gehörte ein sehr scharfer Blick dazu, das leichte, nervöse Zucken an den schlaffen Augenlidern zu entdecken. …

„Ich kann Dir nicht helfen, liebes Kind, das Unglück ist nun einmal geschehen, und Du wirst Dich trösten müssen,“ sagte er in seiner ganzen kaltlächelnden Ruhe und Diplomatengleichgültigkeit. Er warf auch nicht einen Blick auf das Etui, das die Gräfin Schliersen in den Händen hielt, während der Fürst die Pracht der Steine bewunderte. „Uebrigens können Dir diese Nebenbuhler weiter nicht gefährlich werden,“ fuhr er mit einem leichten Achselzucken fort, „Herr von Oliveira verwahrt sie, wie es scheint, als Curiosum, und da er sie selbst nicht tragen kann, so werden sie schwerlich Deinen Weg wieder kreuzen.“

Sie wandte ihm zornig den Rücken. So wie sie ihn kannte, war er trotz seiner ausgezeichneten Maske in diesem Augenblick furchtbar erregt – weshalb zeigte er seine gerechte Empörung nicht und behandelte im Gegentheil den abscheulichen Betrug wie eine Kinderei? …

Bei den letzten Worten Seiner Excellenz sahen sämmtliche junge Damen a tempo nach dem Portugiesen, der, die lodernden Augen starr und unverwandt auf das Gesicht des Sprechenden gerichtet, wie eine erzene Bildsäule dastand. … Was fiel dem Minister ein, zu behaupten, weil dieser majestätische Fremde die Steine nicht selbst tragen konnte, sie würden nun auch für immer in der Gefangenschaft des Kastens bleiben müssen? … War es nicht ein naheliegender Gedanke, daß er über kurz oder lang ein beglücktes junges Wesen an seine Seite ziehen und als „sein besseres Ich“ mit all’ diesen wundervollen Schätzen überschütten würde? …

Vielleicht kreiste diese Betrachtung auch hinter der Stirn der Gräfin Schliersen. Sie nahm lächelnd den Kranz vom Polster, und ehe Gisela sich dessen versah, fühlte sie die schweren, kalten Steine auf ihrer Stirn. … Sie ahnte nicht, daß ihr in diesem Moment der Preis der Schönheit und des höchsten Liebreizes von Allen stillschweigend zuerkannt wurde – sie sah auch nicht, wie ein unbezähmbarer Ausbruch leidenschaftlicher Zärtlichkeit secundenlang die düsteren Züge Oliveira’s durchstrahlte – unfern stand die schöne Hofdame, sie schüttelte unwillig die braunen Locken, der tiefste Verdruß spiegelte sich in ihren Augen und schmollte in den herabgesenkten Mundwinkeln – sie hatte bereits Rechte an das Eigenthum des Mannes dort, aber sie waren noch nicht öffentlich anerkannt; und nun mußte sie es stillschweigend leiden, daß eine fremde Stirn mit dem Diadem geschmückt wurde! Bei diesen Gedanken griff Gisela hastig nach den tödtlichkalten Steinen und legte sie mit zitternden Händen auf das Polster zurück – in Gesicht und Geberden lag der Ausdruck einer heftigen, energischen Protestation.

„Um Gott, liebes Kind“ – rief die Gräfin Schliersen erschrocken und ergriff besorgt ihre Hand.

„Da siehst Du ja diese ,ungesunde Kraft’, Leontine!“ rief die Baronin Fleury triumphirend – sie vergaß über dieser Genugthuung selbst ihr tiefes Herzeleid. „Gisela hat eine Aversion vor den Steinen, und Du wirst Dich eben überzeugt haben, daß schon allein eine solche Berührung genügt, ihre Nervosität bis zu einem beängstigenden Grade zu steigern.“

Die Gräfin Schliersen reichte dem Portugiesen schweigend mit fest zusammengekniffenen Lippen das Etui hin. Der Fürst aber, der augenscheinlich wünschte, die Diamantenstreitfrage ad acta gelegt zu sehen, zeigte ein lebhaftes Interesse für die antiken Schmuckgegenstände; sie gingen von Hand zu Hand, wobei Oliveira kurz erklärte, wie er sie aufgefunden, und woher sie stammten – dann wunderten sie zurück in den Koffer.

„Schöne Elfenkönigin, Sie haben nun erreicht, was Sie so lebhaft wünschten,“ sagte Serenissimus zu der sich tief verbeugenden Baronin Fleury, während Oliveira den Koffer schloß. Er sprach halb scherzend, zum Theil aber auch mit ziemlich ernstem Nachdruck. „Ich will hoffen, daß das Ergebniß nicht nachtheilig auf die Laune gewirkt hat, meine Gnädigste. … Und nun wollen wir sehen, was die Büffets enthalten,“ wandte er sich an seine Gäste. „Dann mag Herr von Oliveira seine interessante brasilianische Geschichte erzählen, vorausgesetzt, daß uns die heimtückischen Wolken da oben nicht vorher die Fackeln auslöschen.“

Das Gewitter war allerdings im Anzuge. Auf dem Wasserspiegel des Sees, der bis dahin glatt und unbewegt jedes Lichtlein widergestrahlt hatte, hüpften jetzt Feuerfunken – ein schwaches, kaum hörbares Säuseln zog durch die Waldwipfel, und das Fackellicht, das kerzengerade in die Höhe gestiegen war, flackerte beunruhigt.

Alle diese drohenden Anzeichen wurden vergessen über dem verlockenden Knall der Champagnerpfropfen, dem Gläserklirren und den enthusiastischen Hochs, die dem Durchlauchtigsten Festgeber gebracht wurden.

Gisela hatte es abgelehnt, dem Fürsten an das Büffet zu folgen. Sie hoffte, jetzt den günstigen Moment zu finden, wo sie entfliehen konnte, aber wie täuschte sie sich! Frau von Herbeck wich und wankte nicht von ihrer Seite. … Die kleine, fette Frau war von überströmender Liebenswürdigkeit – sie fühlte sich ja so glücklich! Seine Excellenz hatte ihr eben zugeflüstert, daß er ihr unbedingt vertraue und morgen früh vor seiner Abreise noch eine „vertrauliche Unterredung“ mit ihr wünsche; er hatte es ihr aber auch zur strengen Pflicht gemacht, für den Rest des Festabends wie ein Argus über ihre Schutzbefohlene zu wachen.

Nun hatte sie das junge Mädchen auf eine Bank genöthigt, die hart an den Saum des Waldes stieß, und von welcher aus man den ganzen Festplatz bequem übersehen konnte. Die Gouvernante saß am anderen Ende der Bank neben einer alten Freundin, die sie Jahre lang nicht wiedergesehen. Beide Damen ließen sich von einem Lakai Speisen herbeitragen, und während sie den köstlichen Leckerbissen wacker zusetzten, fanden sie nicht genug Worte für die beispiellose Unverschämtheit des fremden Eindringlings, des Portugiesen. Er war ein Aventurier, ein Prahler erster Sorte – wer konnte denn wissen, wo er alle diese Kostbarkeiten aufgerafft hatte? … Uebrigens ließ es sich die kleine, fette Frau nicht nehmen, daß der „ganze Kram“ unecht sei, er habe einen zu „unnatürlichen Glanz“ gehabt – ein Kind hätte das neben den unvergleichlichen gräflich Völdern’schen Familiendiamanten herausfinden müssen. Seine Excellenz hatte aber auch den Schwindler vortrefflich ablaufen lassen – er hatte ihn und seine Brillantenausstellung nicht eines Blickes gewürdigt.

Gisela legte müde wie ein krankes Kind den Kopf an die Banklehne. Eine rauschende Musik scholl herüber und verschlang die Fortsetzung der geistreichen Conversation. … Wie elend und verlassen fühlte sich diese junge, mit sich selbst ringende Seele! … Sie hatte vorhin schweigend die hämische Bemerkung der Stiefmutter hingenommen – sie war des Kampfes müde, und schließlich war es sehr gleichgültig, was die Welt von ihr dachte. …. Binnen wenigen Stunden verschwand sie für immer wieder von diesem heißen Boden und wurde vergessen, vergessen von Allen. … Sie redete sich in eine dumpfe Resignation und Gleichgültigkeit hinein – bis jetzt waren es noch verunglückte Versuche. … Wie ein Magnet zog das rothe Käppchen, das dort drüben aus der Menge wie ein neckischer Kobold auf- und niedertauchte, ihren verfinsterten Blick immer wieder auf sich; jedes Mal schoß ihr das Blut siedend nach dem Herzen und raubte ihr den Athem, wenn eine hohe Männergestalt sich neben den reizenden braunen Lockenkopf drängte – sie täuschte sich stets – er war es nicht – und doch welche Qualen litt sie immer wieder von Neuem!

Sie wollte nichts mehr sehen und lehnte den Kopf zurück. Aus dem Dickicht kam ein Zweig herüber und legte seine breiten, kühlen Blätter schmeichelnd auf ihre fiebernde Stirn. Sie schloß die brennenden Augen, aber im jähen Ausschrecken hob sie sofort die Wimpern wieder. …

Der Portugiese stand hinter ihr und rief ihren Namen. Sie blieb regungslos, wie versteinert sitzen – es war seine Stimme, allein wie erschütternd verändert klang sie! …

„Gräfin, hören Sie mich?“ wiederholte er lauter, während gewaltige Accorde von drüben her erbrausten.

Sie neigte langsam den Kopf, ohne ihm das Gesicht zuzuwenden.


(Fortsetzung folgt.)
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