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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

25.

Es war sieben Uhr Abends, als der Wagen der jungen Gräfin Sturm durch den Arnsberger Schloßgarten rollte. Das Fest im Walde sollte allerdings erst nach acht Uhr beginnen, allein Frau von Herbeck hatte einige Zeilen von seiner Excellenz eigener Hand erhalten, die sie aufforderten, die Gräfin eine Stunde früher zu bringen.

Diese Zeilen, um welche Gisela nicht wußte, waren wie ein linder, wundervoll erquickender Thau auf die fiebernden Lebensgeister der Gouvernante gefallen; sie waren im altgewohnten, vertraulichen Ton gehalten, und die schließliche Versicherung, daß man ihrer klugen Umsicht, gegenüber der widerspenstigen gräflichen Waise, jetzt mehr als je bedürfe, versetzte sie in den siebenten Himmel.

Seine Excellenz machte also gute Miene zum bösen Spiel – er fügte sich der verhaßten Nothwendigkeit und machte die Gouvernante nicht verantwortlich dafür, was der tückische Zufall und die eigenmächtige Handlungsweise der störrigen Stieftochter verschuldet. Nun kam es vor Allem darauf an, die vernachlässigte Erziehung des jungen Mädchens, bei der man eine lebenslängliche Verborgenheit unerschütterlich im Auge gehabt hatte, geschickt zu verdecken, bis den Mängeln abgeholfen sein würde – diese Mission legte man vertrauensvoll auf ihre Schultern. … Sie war offenbar dazu berufen, die junge Gräfin bei ihrem jedesmaligen Erscheinen am Hofe zu begleiten – endlich nach langen Jahren der Verbannung sollte sie wieder Hofluft athmen! Entzückende Aussicht!

Freilich ein bedenklicher Schatten fiel noch auf das gelobte Land – das war die Unlenksamkeit und sogenannte Indolenz ihrer Schülerin. … Gisela saß in ihrem despectirlich schlichten Anzug so nachlässig in sich zusammengesunken neben ihr, daß sich die erbitterte Gouvernante sägen mußte, das junge Mädchen denke an alles Mögliche, nur nicht an den hochwichtigen Moment, der ihr bevorstehe. … Frau von Herbeck dachte an ihr eigenes erstes Erscheinen inmitten des Hofkreises, auch an verschiedene junge Damen, die sie bei diesem erstmaligen Debüt beobachtet – da hatte es stets fieberrothe Wangen und todesängstliche, verzagte Augen gegeben. Gisela’s selbstbewußte Ruhe und Zuversicht empörte sie geradezu, und zahllose „voraussichtliche Schnitzer“ tauchten wie drohende Gespenster vor ihr auf.

Nun fuhr der Wagen durch den Schloßgarten. … Um die Beweisführung seiner ungeschmälerten Gnade, seines unwandelbaren Vertrauens für den Minister recht eclatant zu machen, hatte der Fürst Alles, was noch an hoffähigen Leuten in A. auszutreiben war, zu dem Fest im Arnsberger Wald eingeladen – es sollte das Tagesgespräch im Lande werden. …

Frau von Herbeck’s Herz schwoll, sie vergaß ihrer Aengste, als sie den belebten Garten überblickte. … Die buntfarbigen Toiletten lustwandelnder Damen schimmerten aus den Alleen und durch die Bosquets herüber, und unter der Orangerie saßen verschiedene Gruppen plaudernder und rauchender Herren; man vertrieb sich die Zeit bis zum Beginn des Festes möglichst angenehm. Wo aber auch der Wagen vorüberkam, überall erfolgte ein erstauntes, fast erschrockenes Aufblicken nach der jugendlichen Erscheinung mit dem blond niederwallenden Haar und der fremdgleichgültigen Haltung – ein zweiter Blick fuhr rasch musternd über die kleine, fette Frau; dann flogen sofort die Hüte von den Köpfen der Herren, und die Damen schwenkten grüßend die Taschentücher – das war eine Art von Triumphzug für Frau von Herbeck – „die lieben alten Bekannten“ freuten sich sichtlich, sie wiederzusehen. …

Der heute erhaltenen Instruction zufolge führte sie die junge Gräfin nach den Appartements, die der Minister und seine Gemahlin bewohnten.

Während alle Gänge und Treppen des weißen Schlosses widerhallten von den Fußtritten eilig hin und wiederkehrender Menschen; war es in dem Corridor, den die beiden Damen betraten, lautlos still. Die dunkelblauen Rouleaux hingen glatt vor den Fenstern; sie hielten die glühende Abendsonne, aber auch jeden eindringenden Luftzug zurück – das blaue Dämmerlicht und die schwülbrütende Stille halten etwas Herzbeklemmendes.

Gisela huschte flüchtigen Fußes an den Thüren vorüber, hinter denen sie den Mann mit den steinernen Zügen wußte. … Das Verhältniß zwischen ihm und ihr hatte plötzlich eine völlig veränderte Gestalt angenommen – sie stand ihm in offener, erklärter Opposition gegenüber und wußte, daß jedes zwischen ihnen fallende Wort ein Funke war, der Stahl und Stein entsprang; sie war auch fest entschlossen, den einmal betretenen Weg unerschrocken weiterzuwandeln, und doch blieb ihr jene echt mädchenhafte Scheu, die vor jedem harten Zusammenstoß zurückbebt. … Sie fürchtete sich vor einem Alleinsein mit ihrem Stiefvater – das aber blieb ihr nicht erspart.

In dem Augenblick, wo sie vorüberschlüpfen wollte, wurde die Thür des wohlbekannten Arbeitscabinets zurückgeschlagen – der Minister stand auf der Schwelle. … Der bleichende, blaue Schimmer floß über sein Gesicht und machte es gespensterhaft fahl.

Er sagte kein Wort des Grußes – es schien, als vermeide er geflissentlich jeden Laut – aber er faßte sanft, wenn auch mit festem Drucke, die Hand der jungen Dame und zog sie über die Schwelle – seine Finger waren kalt wie Eis; Gisela schauderte, ihr war, als schliche die tödtliche Kälte bis in ihr warmes, pochendes Herz hinein.

Ein Wink seiner Hand verabschiedete die verblüffte Gouvernante bis auf Weiteres; dann fiel die Thür hinter Vater und Stieftochter geräuschlos in’s Schloß.

War es schon draußen im Corridor unheimlich schwül gewesen, so glaubte Gisela, in dem nicht sehr großen Zimmer, das sie wider Willen betreten, ersticken zu müssen. … Die Jalousieen lagen dicht vor den Fenstern; durch die schmalen Spalten drang das Licht nur spärlich – es blieb gleichsam hinter den türkischen Gardinen hängen, in denen es hie und da eine große, orangefarbene Arabeske grell aufleuchten ließ.

Und jetzt schloß der Minister auch noch sorgfältig den letzten offenen Fensterflügel – die Lust war erfüllt von jenem betäubenden Parfüm, welches ihr Stiefvater sehr liebte, und das, so weit sie zurückdenken konnte, stets die Person Seiner Excellenz umschwebt hatte – Gisela verabscheute diesen Geruch.

Sie blieb, während der Minister mit dem sorglichen Schließen des Fensters beschäftigt war, regungslos an der Schwelle stehen; ihre Hand hatte unwillkürlich das Thürschloß ergriffen, als gelte es, den Rückweg zu sichern. … In dem ganzen ihr von Kindheit an verhaßten Zimmer war nur ein Gegenstand, auf welchem ihr Auge haften mochte – das lebensgroße, in Oel gemalte Kniestück ihrer verstorbenen Mutter; es hing über dem Schreibtisch des Ministers. Der breite, goldene Rahmen blinkte freilich nur matt durch das Halbdunkel und die Linien der reizenden, hellen Gestalt mit den Feldblumen im Schooße und auf dem goldblonden, demüthig gesenkten Lockenköpfchen zerflossen unter dem Schatten; dennoch suchte Gisela’s Blick die großen, grauen Taubenaugen, die so unschuldig und glückselig in die Welt hineinschienen, als sei der ganze Weg durch diese Welt voll jener harmlosen Blüthen, mit denen auch die schlanken Kinderhände gestillt waren.

„Gisela, mein liebes Kind, ich habe mit Dir zu reden,“ sagte der Minister vom Fenster zurücktretend. Sein Ton klang weich, zärtlich, aber auch trauervoll. Gisela kannte diesen ominösen Stimmenklang sehr gut – sie hatte ihn jedesmal hören müssen, wenn sie sich, unsäglich elend und hinfällig fühlte, wenn der Medicinalrath mit Achselzucken und weisem Kopfschütteln und Frau von Herbeck händeringend an ihrem Bett standen – er vervollständigte auch jetzt nur den peinlich beklemmenden Eindruck, den ihr die ganze augenblickliche Situation machte.

Wahrscheinlich stand das sehr deutlich auf ihrem Gesicht geschrieben – der Minister blieb dicht vor ihr stehen und musterte einen Moment schweigend und stirnrunzelnd ihre fluchtbereite Haltung.

„Nur jetzt keine Thorheit, Gisela!“ warnte er, feierlich drohend den dünnen, bleichen Zeigefinger hebend. „Ich bin genöthigt, an Deinen Verstand, an Deine Entschlossenheit, vor Allem aber an Dein Herz zu appelliren. … Nach Verlauf von einer Stunde wirst Du wissen, daß es überhaupt von jetzt ab ein Ende haben muß mit Deinen Tollheiten und Extravaganzen!“ …

Er lud sie mit einer Handbewegung ein, auf dem nächsten Fauteuil Platz zu nehmen. … In demselben Augenblick aber flog die Portiere einer der Seitenthüren auseinander, und die schöne Stiefmutter stand im Zimmer, so plötzlich und unerwartet, als sei sie von den rosa Gazewolken, in denen ihre wundervolle Gestalt förmlich schwamm, hereingetragen worden. … Gegen diese Annahme protestirten indessen Haltung und Gesichtsausdruck der schönen Frau energisch. Es sah aus, als wollten die kleinen Füße am liebsten den Zimmerteppich zerstampfen, – auf den

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