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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Politik war wenig oder nichts geschehen, aber die großen Civilisationskräfte Elektrizität und Dampf hatten ihre Schuldigkeit gethan.

Wie er selbst ein Mann zurückgekehrt war, so fand er auch in dem Wesen des Vaterlandes etwas Männlicheres: rüstige, concrete Thätigkeit, erweiterte Gesichtskreise, gesegneten Haushalt, stolzere Unabhängigkeit als früher. Vom Bord des Dampfers, der ihn aus Southampton wieder nach der neuen Welt hinübertrug, noch im Angesicht der englischen Küste, überschauend gleichsam zwei Hemisphären, ihre Vergangenheit und ihre Zukunft, schrieb er einem Freunde einen jener Ergüsse, in welchen es dem vergänglichen Erdensohne gegönnt ist, den Sinn des großen Ganzen von dem Grunde seines heilig bewegten Herzens zurückzustrahlen. Stolz und freudig preist er die neue Kraft, die durch des Vaterlandes Muskeln strömt, huldigt er der großen schaffenden Macht, welcher das zu danken ist. „Wie viele meiner alten Universitätscameraden,“ so ungefähr heißt es in dem Briefe, „die ich als unreife Juristen verlassen und als servile, kümmerlich vegetirende Beamte wiederzufinden geglaubt hatte, waren in die Industrie übergegangen, haben Haus und Hof und sehen mit Verachtung auf die Sclaverei des Staatsdienstes herab. Der Nimbus der Dienstuniform ist geschwunden. Gewerbe und Intelligenz sind eng verschwistert und fühlen in sich die Macht, welche das alte Zopfregiment, so fest es auch angeklammert sei, unter ihre Füße bringen wird.“ Die Urbilder des Zopfes waren ihm vor Allem die Kleinfürsten. Wie so Viele, denen der particularistische Klatsch jetzt nachlügt, daß sie erst durch den Kanonenerfolg bekehrt worden seien, war seit langen Jahren auch er vom Wirbel bis zur Zehe von der Einsicht durchdrungen, daß der Uebel größtes die Kleinstaaterei ist. Und so stellte er sich, aus Deutschland zurückgekehrt, eine neue Aufgabe, welche dem Erbschaden deutscher Entwickelung direct zu Leibe gehen sollte. Dabei übersah er nicht, daß, um mit Ueberlegenheit und Autorität gegen heimische Mißstände aufzutreten, er sich den Standpunkt auf dem ihm so innig vertrauten amerikanischen Gebiete suchen mußte. Mit dieser Einsicht war auch das Thema gefunden. Er schrieb das Buch: „Der Soldatenhandel deutscher Fürsten nach Amerika. Berlin bei Duncker 1864.“ Es sollte, nach seiner in Briefen abgesprochenen Absicht, wie ein glühend Eisen wirken, welches die Niedertracht und den Schimpf des deutschen Landesvaterthums mit neu aufgerührtem Schmerz in das Gedächtniß der schlaffen, weißblütigen Unterthanen hineinbrenne. Einen besseren Trost auf die Thränen, welche noch heute den würdigen Nachkommen in Hessen, Nassau und Hannover fließen, wüßten wir nicht zu empfehlen.

Die fünf inhaltreichen und anziehenden Bände, welche im Lauf eines Jahrzehents aus Kapp’s Feder hervorgegangen waren, sollten nach seinem Sinn nur Vorbereitungsarbeit für die eigentliche schriftstellerische Aufgabe seines amerikanischen Lebens gewesen sein. Er sammelte an ihnen gewissermaßen nur gelegentlich seiner Forschungen für das ihm vorschwebende Hauptwerk, sein „Standard work“, wie die Engländer sagen würden. Von diesem Grund- und Schlußwerk liegt jetzt der erste Band vor uns: „Geschichte der deutschen Einwanderung in Amerika. Erster Band. Die Deutschen im Staate New-York bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts, mit einer Karte. Leipzig, bei Quandt und Händel, New-York bei E. Steiger 1868.“ In dem Vorwort faßt er selbst treffend den Sinn seiner Wirksamkeit zusammen:

„Ich nehme durch meinen augenblicklichen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten eine gewisse glückliche Doppelstellung ein. Als dem Geschichtsschreiber der amerikanischen Deutschen wird mir die lohnende Aufgabe, durch die Erzählung der Geschichte ihrer Vorgänger in meinen hier ansässigen Landsleuten den berechtigten Stolz des freien Bürgers zu heben, sowie ihr Verständniß der amerikanischen Entwickelung und die richtige Auffassung ihrer Stellung im hiesigen Leben zu fördern. Für die Heimath dagegen liefert meine Arbeit einen fast ganz unbekannten, noch lange nicht genug gewürdigten Beitrag zur Krankheitsgeschichte unseres Volksthums während der vorausgegangenen beiden Jahrhunderte und deckt als die Hauptquelle, aus welcher die Massenauswanderung ihre Kräfte schöpfte, die jammervolle Zerrissenheit und Ohnmacht unseres Vaterlandes auf. Also anknüpfend an die Bestrebungen und Kämpfe der Gegenwart, hält die Geschichte der deutschen Einwanderung dem heutigen Geschlecht zur Beschämung für unsere Vergangenheit und zum Trost für unsere nationale Zukunft auf der einen Seite die politische Verkommenheit unseres staatlichen Lebens, auf der anderen aber die bürgerliche Tüchtigkeit der vom heimischen Drucke befreiten Deutschen als treuen Spiegel vor.“

Wegen der Art, wie er den Beruf der Deutschen in der neuen Welt auffaßt, ist Kapp von manchen seiner Landsleute in Amerika heftig angegriffen worden, ein Streit, der übrigens nicht von heute datirt. In der Vorrede zur zweiten Auflage der New-Yorker Ausgabe des Buchs giebt er den Inhalt der ihm gemachten Vorwürfe selbst in folgenden Sätzen an: „Man beschuldige ihn, daß er eine vollständige Amerikanisirung der Deutschen in Sprache und Sitte in Aussicht stelle, daß er dem deutschen Elemente eine blos vorübergehende Bedeutung im amerikanischen Leben einräume, daß er ihm eine nationale Zukunft in Amerika abspreche, daß er sich zu sehr von dem herrschenden Amerikanerthum imponiren lasse und daß es von seinem Standpunkt aus überhaupt verlorene Mühe gewesen sei, das vorliegende Buch zu schreiben.“ Gegen diese Anklagen führt er in der Vorrede seine unbezweifelbar richtige Anschauung durch, daß die deutsche Einwanderung nicht zu einem getrennten Eigenleben, sondern zur ergebnißreichen Verschmelzung mit der amerikanischen Nationalität jenseits des Oceans bestimmt ist. Der zweite Band soll uns die Geschichte der Einwanderung in Pennsylvanien, Maryland, Virginien etc. bringen. Kapp hat mit diesem Buch der Geschichts- und Staatswissenschaft ein durchaus neues Feld erobert und dieses Feld sofort künstlerisch schön und lebhaft anschaulich bearbeitet.

Bei der jüngsten Präsidentenwahl[WS 1] ist Kapp wieder in volle politische Wirksamkeit für die Sache der republikanischen Partei zu Gunsten Grant’s eingetreten. Seit etwa Jahresfrist ist er Commissioner of Emigration, Mitglied der höchsten Aufsichtsbehörde in Einwanderungssachen, ein Ehrenamt, das kein Geld, aber außerordentlich viel Arbeit einbringt. Wir wissen bereits, daß seinem Einschreiten die Besprechung und Abstellung der Mißbräuche zu verdanken ist, welchen gewissenlose Schiffspatrone sich überlassen hatten.

Was könnte man schließlich zur Charakteristik des Menschen und des Schriftstellers Besseres sagen, als daß die umfangreichen und ersprießlichen historischen Leistungen, an denen wir in der flüchtigsten Weise vorüberrauschen mußten, nur den Mußestunden abgewonnen sind, die ihm ein vielbeschäftigter Beruf, starke Betheiligung am öffentlichen Leben, ein großer Familienkreis, stets dienstbereite Gefälligkeit gegen Bekannte und Unbekannte übrig ließen! Es ist die Eigenthümlichkeit wahrhaft arbeitsamer Menschen, daß sie zu Allem Zeit haben, zu Ernst und Scherz. Nur Nichtsthuer klagen über Mangel an Zeit, wie Nichtsleser über Mangel an guten Büchern. Und Kapp’s Schriftstellerei verlangt nicht blos die Zeit, in der die Feder über das Papier läuft. Er ist der gewissenhafteste Forscher bis zum Uebertriebenen, wenn das ein Beschwerdegrund sein könnte. Zum Zweck seiner Geschichte der Einwanderung hat er alle Districte, in denen sie spielt, von Kirchspiel zu Kirchspiel durchzogen, die alten Leute persönlich ausgefragt, jede Familienbibel und jedes Kirchenbuch durchblättert. Die Biographien starren von Quellenangaben. Dies ist der deutsche Forscherfleiß, der in ihm steckt, und zugleich der Respect vor den Thatsachen, den ihn die neue Welt gelehrt.

So ist sein ganzes Wesen eine prächtige Vereinigung alles dessen, was reiche Natur, tiefe Bildung und weite Erfahrung ihm geben konnten. Das reine Feuer der Idealität durchglüht sein ganzes Denken. Jedes Unrecht bringt ihn in Wallung. Dabei ist er doch kühl besonnen, Alles nach dem Maßstab der gegebenen Verhältnisse messend. Er ist deutscher Patriot im höchsten Sinne des Wortes und ein eifriger Arbeiter am Wohle der Vereinigten Staaten. Er jubelt der Wiedergeburt der alten Heimath zu, aber er verlangt mit echt historischem und politischem Sinn, daß in der neuen Heimath der Deutsche sich dem großen Ganzen unterordne, in ihm fruchtbar aufgehen lerne. Dennoch geht ihm wieder sein deutsches Geistesleben über Alles, fühlt er nach Jahrzehnten die Lücke, welche für das Ideal in der realistischen Gesellschaft des emsigen Amerikanerthums unausgefüllt bleibt. Dabei ist Niemand allem Ueberschwänglichen, Sentimentalen, Pathetischen mehr abhold, als er. Im Kreise seiner blühenden Kinder zugleich ein neckischer Gespiele und ein verehrter strenger Lehrer; den Freunden stets ebenso schnell zur Hand, eine gemüthliche Flasche anzustechen, als einen beträchtlichen Dienst zu leisten warm

und treu im Sinn, kurz und männlich in den äußeren

  1. Vorlage: Präsidentenwwahl
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_343.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)