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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Ganz außerordentlich, ganz außerordentlich hat sie gelitten, die arme Gnädige!“ schnarrte er in tief bedauerndem Ton.

„Und nun, ich bitte Sie, liebste Gräfin, wie kommen Sie auf die Idee, in der glühenden Nachmittagssonne auszureiten?“ examinirte die empörte Frau. … „Wo ist der Hut? … Wie, ohne Handschuhe –“

„Glauben Sie denn, ich sei zu meinem Vergnügen fortgeritten und hätte mir Zeit genommen, zu überlegen, welche Handschuhfarbe am besten zu meiner Toilette passe?“ unterbrach sie das junge Mädchen ungeduldig. „Ich bin fortgewesen, um Löschmannschaft zu holen.“

Frau von Herbeck fuhr zurück und schlug abermals die Hände zusammen.

„Und wo waren Sie?“ fragte sie athemlos und bebend.

„Ich wollte nach Neuenfeld, aber auf der Waldwiese traf ich Papa und Mama.“

Diese Antwort traf die Gouvernante wie ein Blitzstrahl, dennoch behielt sie so viel Geistesgegenwart, zu stammeln: „Waren die Excellenzen allein?“

„Es mag wohl die ganze Hofgesellschaft gewesen sein, die auf der Wiese stand – was weiß ich!“ entgegnete Gisela achselzuckend. „Den Fürsten erkannte ich –“

„Allmächtiger Gott, der Fürst hat Sie gesehen?“ schrie die Gouvernante völlig fassungslos auf. „Das ist mein Tod, Medicinalrath!“

Sie war in der That blaß wie eine Leiche, aber auch der angerufene Medicinalrath hatte die Farbe gewechselt.

„Gnädige Gräfin,“ stotterte er, „was haben Sie gethan!… Das wird Seine Excellenz, den Papa, ganz außerordentlich – betrübt haben!“

Gisela schwieg und sah einen Moment aufmerksam und nachdenklich vor sich hin.

„Wollen Sie mir nicht sagen, Frau von Herbeck, aus welchem Grunde der Fürst mich durchaus nicht sehen soll?“ fragte sie plötzlich mit einem raschen Aufblick ihrer Augen und fixirte fest das Gesicht der kleinen fetten Frau.

Diese directe Frage gab der Gouvernante die Fassung zurück.

„Wie – Sie fragen noch?“ rief sie. „Werden Sie sich denn gar nicht bewußt, in welchem Aufzug Sie sind? … Ich kann mich in die Seele der Excellenzen hineindenken – sie werden trostlos sein! … Ihr abenteuerliches Auftreten wird Ihnen bei Hofe sicher nie vergessen, Gräfin! Man wird flüstern und spötteln, so oft der Name Sturm genannt wird. … Barmherziger Gott, und wie wird es mir armer Creatur ergehen!“

„Und mich schmerzt es ganz außerordentlich, gnädige Gräfin, mich immer wieder überzeugen zu müssen, daß alle meine treugemeinten ärztlichen Rathschläge in den Wind gesprochen sind!“ fiel der Medicinalrath ein. „Wie soll ich es nur anfangen, Ihnen klar zu machen, daß das Damoklesschwert stündlich über Ihnen schwebt? … Wie leicht, wie leicht“ – er hob den Zeigefinger – „konnte Sie einer Ihrer ominösen Anfälle angesichts des Hofes überrumpeln – welch’ ein Scandal, gnädige Gräfin!“

Der Mann zitterte innerlich vor Aerger, das war nicht zu verkennen, wenn auch seine hervortretenden, verquollenen Augen mit einer gewissen Sanftmuth und devoten Nachgiebigkeit am Boden hingen.

„Daß Sie nach dem aufregenden Ritt ohne Nervenalteration vor mir stehen, erscheint mir wie ein Wunder Gottes“ – hob er wieder an.

„Auch ich halte es für ein Wunder, für das ich dem lieben Gott inbrünstig danke,“ unterbrach ihn die junge Dame, die bis dahin mit gerunzelter Stirn, allein sonst sehr gleichmüthig die Vorwürfe über sich hatte ergehen lassen – „indeß so sehr befremden sollte es Sie doch nicht mehr, Herr Medicinalrath, denn Sie sehen es seit einem halben Jahre täglich vor sich.“

Eine Kinderstimme wurde hinter den Sprechenden laut. Die Taglöhnerfrau hatte sich bei Erblicken der Gouvernante sofort hinter das nächste Bosket geflüchtet – sie mochte viele Mühe gehabt haben, unterdeß ihre Kinder zu beschwichtigen, damit sie die böse, böse gnädige Frau nicht bemerke. In diesem Augenblick aber war ihr doch ein kleiner Knabe entwischt. Er stand breitspurig im Weg und versuchte mit einem kräftigen „Hott!“ Miß Sarah aus der Fassung zu bringen.

„Was soll das? Wie kommst Du hierher, Junge?“ fuhr Frau von Herbeck auf.

Jetzt trat die Mutter ängstlich hinter dem Gebüsch hervor.

„Die Frau ist abgebrannt!“ erklärte Gisela.

„So – das ist schlimm für Euch, Frau,“ sagte die Gouvernante in etwas milderem Ton. „Es thut mir leid. … Die Hand des Herrn ruht schwer auf Euch, aber leider – das wißt Ihr am besten – nicht allein als Prüfung und unverdientermaßen. … Erinnert Euch nur, wie oft ich Euch gesagt habe, daß das Strafgericht Gottes nicht ausbleiben kann – Ihr Alle lebt zu gottlos in den Tag hinein und habt zum Beten niemals Zeit. … Nun, ich will nichts weiter sagen, Ihr seid gestraft genug. … Da geht nur einstweilen wieder hin – wir wollen sehen, was sich thun läßt.“

„Wohin soll sie denn gehen, Frau von Herbeck?“ fragte Gisela sehr ruhig, wenn auch ihre Wangen anfingen, sich leise zu röthen. „Sie hören, daß das Haus der Frau niedergebrannt ist, daß sie mithin kein Obdach hat.“

„Nun, mein Gott, wie soll ich denn wissen, wo sie unterkommt?“ fragte Frau von Herbeck ungeduldig zurück. „Es giebt Häuser genug im Dorfe –“

„Aber nicht für fünf obdachlose Familien,“ entgegnete die junge Dame – die schöne, schlanke Gestalt stand plötzlich in gebietender Hoheit der kleinen fetten Frau gegenüber. „Die Frau bleibt vorläufig mit Mann und Kindern hier im Schlosse,“ erklärte sie entschieden, „und sie nicht allein, es kommt auch noch eine zweite Familie. … Komm’ her, mein Junge!“

Sie ergriff mit der Linken das Händchen des kleinen Knaben und machte sich bereit, ihren Weg fortzusetzen.

„Gerechter Gott, welcher Wahnsinn! … Ich protestire, ich protestire!“ schrie Frau von Herbeck auf und vertrat mit ausgebreiteten Armen der jungen Herrin des Schlosses den Weg.

(Fortsetzung folgt.)




Berliner Zeitungen und Redacteure.

Unter der Regierung Friedrich des Ersten von Preußen erschien in Berlin im Verlag der Rüdinger’schen Buchhandlung eine in Octav auf grauem Löschpapier gedruckte Zeitung, die jedoch nur mit Unterbrechungen herauskam und sich auf die dürftigsten und magersten Nachrichten beschränkte. Sein Nachfolger, der bekannte „Soldatenkönig“, war ein entschiedener Feind aller Publicistik und verbot selbst dieses elende Blatt, da er von dem Grundsatz ausging, daß das Volk sich um politische Angelegenheiten gar nicht kümmern sollte.

Von 1713–14 gab es daher gar keine Zeitung in Berlin. Der König selbst ließ sich die neuesten Nachrichten aus dem „Amsterdamer Courier“ von seinem Hofnarren und Historiographen Gundling in dem berühmten Tabakscollegium vorlesen. Dazu schimpfte er über das Gesindel der schlechten Presse, wenn sich die „verfluchten Zeitungsschreiber“ über seine Potsdamer Garde lustig machten. Hatte doch ein solcher „Kerl“ die Frechheit gehabt, in den holländischen Blättern zu melden, daß man bei der Section des baumlangen Flügelmanns Jonas kein Herz in der Leiche gefunden habe; wogegen der König witzig repliciren ließ, daß bei einem verstorbenen Zeitungsschreiber das Gehirn gänzlich gefehlt haben soll.

Trotzdem sah sich selbst dieser patriarchalische Despot gezwungen, der öffentlichen Meinung eine Concession zu machen, als er gegen die Schweden in’s Feld rückte. Um die Neugierde der lieben Berliner und auch um die eigene Eitelkeit zu befriedigen, da die Truppen unter seinem Befehl siegreich fochten, ertheilte er die Erlaubniß, das Publicum mit den neuesten Vorgängen auf dem Kriegsschauplatz bekannt zu machen. Dazu brauchte man aber eine Zeitung, und so erhielt der genannte Buchhändler Rüdinger am 11. Februar 1722 das Privilegium zum Druck einer „Berlinischen Zeitung“, die er wöchentlich dreimal gegen Erlegung eines Kanon von zweihundert Thalern herausgeben durfte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_324.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2022)