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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


ihm verbinden und zur Ausführung seiner schriftstellerischen Lebensaufgaben ihm die geschickte, treue Hand bieten kann. Mit dankbarem Herzen gesteht er ein, daß seine Gattin vom ersten Tage ihrer Ehe an von seinen geistigen Schöpfungen unzertrennlich, daß sie mehr als sein bloßer Secretär war, daß ihre Hülfe es ihm möglich machte, so viele Zeit dem Studium der Quellen zu widmen, auf welchen seine Geschichtswerke hauptsächlich fußen, ja, daß sie auf Grundlage des von ihm gelieferten Materials einzelne Stücke seiner Werke selbständig auszuarbeiten vermochte, wie dies z. B. mit einigen Kaiserbildern seines von der Rieger’schen Verlagshandlung geschmackvoll illustrirten Prachtwerks „Der deutsche Kaisersaal“ der Fall war, und darum hat sie es redlich verdient, daß ihr Name hier mitgenannt werde: Louise, geborene Dizinger. Daß Zimmermann aus den Kreisen des Volks, dem sein Herz treu geblieben, sich geistig emporgeschwungen, hat den Hauptzug seines historischen Schaffens bestimmt: nicht der unbedingte Schmeichler dieses Volks zu werden, sondern sein wahrhaftiger Freund, der keiner Volksthümlichkeit, keiner Nationalität ein besonderes Recht vor anderen einräumt, sondern, wie wir eben an ihm gerühmt haben, alle mit derselben Wahrheit zum Besten des gleichen, unwandelbaren Rechts und zum Heil der einen allein menschenwürdigen Freiheit behandelt.

Der aufgeschossene Junge mag manchen Spott zu ertragen gehabt haben, als er, anstatt als Handwerkslehrling das für ihn bestimmte Schurzfell umzulegen, aus der „deutschen Schule“ in die unterste Classe des Stuttgarter Gymnasiums trat, um zwischen vier bis fünf Jahre jüngeren Mitschülern das versäumte Latein und Griechisch nachzuholen. Er überstand das Mißverhältniß, holte seine Altersgenossen in einem Jahr ein und vollendete dann den würtembergischen Bildungsgang der Theologen und Philologen durch das Seminar zu Blaubeuren und das Stift zu Tübingen in derselben unentgeltlichen Weise, die dort dem Lande schon manchen tüchtigen Mann der Wissenschaft, der Dichtkunst und der politischen Thätigkeit gegeben hat. –

Der Lebensgang eines Mannes, den die Sorge um amtliches Brod nicht drückte, den folglich keine Rücksicht auf obere Gunst am Faden der Vorsicht in seinen Meinungsäußerungen festhielt, konnte nicht der ruhig dahinlaufende des gewöhnlichen Gelehrten sein. Zimmermann, der Geschichtschreiber und Dichter, wurde von seiner Zeit miterfaßt und als Publicist und Redner auf die Bühne der That gestellt. Er ging, wie sein Landsmann Uhland es bezeichnete und mit ihm, in „den schweren Dienst der Freiheit“, als diese ihn rief, und empfing später den Lohn, oder die Strafe dafür, die man damals für gerecht hielt. In Folge seiner historiographischen Leistungen hatte man ihn, der seit 1840 in Dettingen an der Erms, in der großartig schönen Natur des Uracher Thals als Diakonus gewaltet und seine sehr freie Muße benutzt hatte, um seinen „Bauernkrieg“ zu vollenden, im Herbst 1847 nach Stuttgart als Professor der Geschichte und deutschen Sprache und Literatur an der Polytechnischen Schule berufen, aber schon der nächste Frühling führte ihn in das deutsche Parlament. Als das nationale Trauerspiel mit dem letzten Act in Stuttgart ausgespielt war, wurde Zimmermann, wegen seiner politischen Thätigkeit als Abgeordneter und namentlich wegen der in solcher Eigenschaft von ihm gehaltenen Reden, wie man ihm ausdrücklich mittheilte, seiner kaum genossenen Stuttgarter Professur wieder enthoben. Dagegen gab damals das würtembergische Consistorium ein schönes Beispiel männlicher Festigkeit und Gerechtigkeit, denn als man von Seite der Reaction auf dasselbe eindrang, Zimmermann auch von der kirchlichen Anstellung auszuschließen, wies es standhaft und energisch dieses Ansinnen als durch nichts begründet zurück. Zimmermann hatte sich von dieser Seite steter Berücksichtigung zu erfreuen und verdankte derselben schon 1854 einen neuen friedlichen Pfarrwohnsitz zu Leonbronn im Zabernthal, hart an der badischen Grenze und nur anderthalb Meilen von Bretten. Von dort siedelte er zehn Jahre später auf die schöne Pfarrei Schnaitheim im Brenzthal, vier Meilen von Ulm, über, wo er am 2. Januar 1869 seinen zweiundsechszigsten Geburtstag gefeiert hat.

Zwei Werke sind besonders bestimmt, Zimmermanns Bedeutung als Geschichtsforscher und Geschichtschreiber festzustellen. Zuerst seine mehrerwähnte „Geschichte des großen Bauernkriegs“. Wohl in keiner Geschichtsdarstellung ist ärger gesündigt gewesen, als in der gerade dieses Kriegs, in welchem Priester und Fürsten die gefährdete Partei waren. Da kam Zimmermann’s Werk, das zum ersten Male jene Zeit einer geisterweckten deutschen Erhebung nicht blos vom Standpunkte einer freieren Weltanschauung aus betrachtet, sondern vor Allem die Schlacken zu lösen sucht, mit welchen die Parteileidenschaft seit Jahrhunderten die Charaktere jener Zeit ebenso ungerecht zu ihren Gunsten wie zu ihrem Nachtheil entstellte. Gleich bei seinem ersten Erscheinen (1840–1844) fiel dieses Buch zündend nach allen Seiten in Deutschland ein, wurde bewundert und verfolgt, in Baden, Baiern und Oesterreich verboten und doch zugleich den Bibliotheken österreichischer Klöster einverleibt und in der kurzen Zeit von acht Jahren in mehr als dreißig Auszügen von Anderen weiter im Volke verbreitet. Mit diesem Werke erfocht Zimmermann einen Sieg der geschichtlichen Wahrheit auf dem Felde alten Ständeparteikampfs. Wie ernst er es in solchem Kampf meinte, sprach er selbst in dem Vorwort zu seiner „Geschichte der Jahre 1840 bis 1860“ aus, wo er daran erinnerte, daß Schlosser sich das Wort des Engländers Walther Raleigh zur Richtschnur genommen: „Wer in der neueren Geschichte der Wahrheit zu nahe hinter den Fersen hergeht, dem kann sie leicht einmal die Zähne ausschlagen.“ – „Und wenn auch!“ ruft da Zimmermann aus; „auch auf diese Gefahr hin muß der Geschichtschreiber die volle ganze Wahrheit sagen und auf seinem Posten als Prophet und Zeuge derselben eher, als daß er einen Finger breit weicht, sich zusammenhauen lassen so gut wie der treue Priester am Altar seines Glaubens, wie der brave Soldat an seiner Kanone.“ –

Das andere Werk ist seine „Geschichte der Hohenstaufen“, deren zweite umgearbeitete Auflage im Jahre 1865 erschienen ist. In diesem Buche legt er denselben Maßstab strengster Unparteilichkeit in der Beurtheilung des Kampfes der Nationalitäten an. „Heutzutage,“ sagt er, „ist das Recht der Nationalitäten, wonach jede sich zu einem einheitlichen Ganzen zusammen zu schließen und selbstbestimmend ihre Angelegenheiten zu ordnen hat, nahe daran, von ganz Europa anerkannt zu werden. Heutzutage ist man endlich auch in Betreff der Geschichtschreibung nahe daran, anzuerkennen, daß nur diejenige Art der Geschichte die rechte ist, welche keine Rücksicht nimmt als auf die thatsächliche Wahrheit, und daß, wo zwei Nationalitäten im Kampfe miteinander zu schildern sind, der Geschichtschreiber der einen Nationalität ganz besonders auf der Hut sein muß, nicht aus Liebe zu seinem eigenen Volke die Thatsachen und die Mitwirkenden auf Kosten der Wahrheit zu behandeln. Der Patriotismus, welcher, statt nach beiden Seiten hin gerecht zu sein, parteiisch die Geschichte schreibt, sie patriotisch auf- oder umfärbt, ist nicht blos ein falscher Patriotismus, welcher unter der Stufe der Humanität zurückgeblieben ist, sondern ein Verrath an der Wahrheit, nicht blos eine Unsittlichkeit, ein Verbrechen des Herzens, sondern ein Fehler des Kopfs, ein geistiges Gebrechen. Diese Art von Geschichtschreibung, welche der Verliebtheit der Deutschen in sich selbst schmeichelte, statt sie zum Besinnen auf sich selbst zu bringen, trägt eine große Mitschuld daran, daß Deutschland, was es sein könnte, sein sollte und sein wird, noch nicht geworden ist: eins, frei und groß, herrlich vor allen Völkern der Erde.“

Nicht ganz unerwähnt darf auch seine bereits in dritter Auflage erschienene Geschichte der „Befreiungskämpfe der Deutschen gegen Napoleon“ bleiben. Hier bricht der treue Patriot durch: „Kein Volk,“ sagt er im Vorwort, „hat zum Weltbürgerthum so viel Hinneigung, als das deutsche. Die Welt ist die Heimath des freien Geistes; aber der freieste Geist, wenn er kein Lump ist, hat in der großen Heimath, der Welt, sein besonderes Vaterland. Er ist der Sohn seiner Nation, und das Element, in welchem er aufwuchs, lebt und webt, ist die Nationalität“ – eine Wahrheit, welche in unseren Tagen wieder ihre Feinde zu bekämpfen hat, die im Namen der vom festen Grunde nationaler Tüchtigkeit am wenigsten zu trennenden dereinstigen Allerwelts-Freiheit gegen sie auftreten.

In demselben Geiste der Unparteilichkeit und Wahrheit hat die Gartenlaube seit ihrem Bestehen mit ihren Geschichtsbildern zu wirken gestrebt, und es geschieht aus diesem gesinnungsverwandtschaftlichen Gefühl, daß wir dem wackeren deutschen Geschichtsreiniger als ein Zeichen wohlverdienter Anerkennung seines Wirkens auf dem Felde der Wahrheitsforschung und des Freiheitskampfs diesen Artikel widmen. Fr. Hfm.     



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_294.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)