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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Der Fürst, welcher, die Baronin Fleury führend, achtlos an der kleinen Scene vorüber gegangen war, winkte Oliveira an seine Seite, und während die Gesellschaft langsam durch die schattigen Alleen wandelte, erzählte der Portugiese, von Serenissimus mit ziemlich fühlbarer Neugierde befragt, von seiner brasilianischen Heimath. Alles lauschte schweigend, der Mann sprach zu interessant. Der erste Eindruck, nach welchem dieser merkwürdige Fremde in steter Verneinung, ja, in unausgesetzter Kriegsbereitschaft Anderen gegenüberstand, verschwand vollständig. Die Damen waren bezaubert von dem Klang seiner Stimme, und manchem Cavalier, der nichts besaß als seine Hofcharge und die damit verbundenen ziemlich schmalen Einkünfte, schwindelte bei der Schilderung der großartigen Eisenbergwerke, die, durch einen regelrechten Betrieb ausgebeutet, dem Portugiesen kolossale Summen einbringen mußten.

Auf die Frage des Fürsten, weshalb er Brasilien verlassen und gerade Thüringen zu seinem Aufenthalte gewählt habe, schwieg Oliveira einen Moment, dann sagte er fest, mit einem ganz besonderen Nachdruck, wobei jedoch seine Stimme eigenthümlich bedeckt klang, er werde den Grund Seiner Durchlaucht in einer besonderen Audienz mittheilen.

Der Minister sah überrascht auf, und ein lauernder, tief mißtrauischer Blick hing sekundenlang durchbohrend an dem Profil des Portugiesen, und obgleich der Fürst in diesem Augenblick die Audienz gnädig in Aussicht stellte, konnte doch Jeder, der das Gesicht des Ministers nur einigermaßen kannte, sicher wissen, daß der Tag, welcher diese „besondere Audienz“ bringen sollte, niemals kommen werde.

Jenseits der Schloßgartenmauer blieb der Fürst unter den schattigen Ulmen stehen und betrachtete das Holzgerüst eines neuerbauten Hauses von ziemlich bedeutender Ausdehnung. Es lag, wenn auch nur in geringer Entfernung von Neuenfeld, doch ziemlich isolirt, gleichsam auf dem vorgestreckten Knie des gegenüberliegenden Berges und war wohl heute in seiner Aufstellung fertig geworden, denn ein Mann saß rittlings auf dem Firstbalken und befestigte die übliche Tanne, von deren Wipfel bunte Bänder flatterten.

„Es sieht aus wie ein Schlößchen,“ meinte Seine Durchlaucht. „Soll ein Asyl für arme Kinder werden?“ frug er über die Schulter den Portugiesen.

„Ich baue es zu dem Zweck, Durchlaucht.“

„Hm … ich fürchte nur, sie werden nicht wieder herauswollen, die kleinen Menschen, wenn sie einmal drin sind – ich kann’s ihnen auch nicht verdenken,“ bemerkte einer der Cavaliere; die Gräfin Schliersen aber hob warnend den Zeigefinger.

„Nur nicht verwöhnen, bester Herr von Oliveira!“ sagte sie. „Ich warne Sie lediglich aus Humanitätsrücksichten. Man macht diese Menschenclasse nur unglücklich, wenn man sie mit Ansprüchen erzieht, welche sie in ihrer angeborenen Lebensstellung, über die sie doch nun einmal nicht hinaus können, nothwendig aufgeben müssen.“

Die dunklen Augen Oliveira’s ruhten mit einem sarkastischen Ausdruck unabweisbar auf dem Gesicht der humanen Dame.

„Und weshalb sollten sie nicht über diese Lebensstellung, die da mit anderen Worten Noth, Elend und Entbehrung heißt, hinaus können, meine Dame?“ fragte er. „Haben sie nicht einen Kopf wie wir Alle? Und werden sie diese Mitgift des Himmels nicht genau so brauchen lernen – ich sage nochmals, wie wir Alle, meine Dame – wenn sie die richtige Erziehung und Anleitung erhalten? Schon dadurch allein sind sie vor dem Uebel geschützt, welchem Sie die Bezeichnung ‚angeborene Lebensstellung‘ geben. …. Uebrigens gehe ich auch noch ein wenig weiter – Neuenfeld hat Brod und ein heimathliches Dach für sie Alle, wenn sie später nicht vorziehen sollten, sich selbst draußen in der Welt eine ehrenhafte Existenz zu suchen.“

Niemand erwiderte ein Wort auf diese unumwundene Erklärung. Der Fürst schritt langsam weiter, aber er hatte durchaus keinen Zug der Mißbilligung auf seinem schmalen Gesicht, wie ihn die Gräfin Schliersen vielleicht zu sehen gewünscht hätte. Sie war offenbar eine jener energischen Frauen, die gewohnt sind, sich maßgebend sprechen zu hören, und die ein Thema um so hartnäckiger festhalten, als sie, mit demselben bereits eine Niederlage erlitten.

„Ohne Zweifel schweben Ihnen bei diesem Asyl unsere berühmten evangelischen Rettungshäuser vor?“ wandte sie sich nach einer Pause, stehenbleibend, wieder an den Portugiesen.

„Nicht ganz,“ entgegnete er gelassen. „Im Hauptprincip kann ich nicht mit ihnen gehen, weil ich nicht an die verschiedenen Confessionen rühren will. Ich habe da zum Beispiel gleich vier Judenkinder, die Waisen zweier sehr tüchtigen Arbeiter.“

Diese Antwort fuhr wie ein elektrischer Schlag durch die ganze Damengesellschaft. „Wie, Juden nehmen Sie auf?“ klang es im Chor von all’ den schönen Lippen.

Zum ersten Mal schwebte um den strengen, ernsten Mund des Mannes, „der nicht lächeln konnte“, ein leiser Zug der Belustigung.

„Halten Sie denn den Juden für so bevorzugt vom Himmel, daß er den Hunger weniger fühlt, als der Christ?“ fragte er.

Die Damen, über deren Gesichter sein durchdringender Blick hinglitt, schlugen unwillkürlich die Augen nieder.

„Jene zwei israelitischen Männer sind mit der heißen, dringenden Bitte auf den Lippen gestorben, daß ihre Hinterlassenen dem Glauben ihrer Väter nicht entfremdet werden möchten,“ setzte er tiefernst hinzu. „Ich ehre diesen letzten Willen und werde nicht dulden, daß man den Kindern einen anderen Glauben octroyirt.“

„O mein Gott,“ rief die Gräfin Schliersen empört, „liegt denn diese nicht genug zu verurtheilende Toleranz in der Luft des Neuenfelder Thales? … Da drüben predigt ein protestantischer Geistlicher unausgesetzt ‚Liebet Euch unter einander‘, und fragt viel danach, ob er zu Türken, Heiden und Juden spricht – und Sie? … Ach verzeihen Sie – ich vergaß – als Portugiese sind Sie ja jedenfalls Katholik?“

Abermals leuchteten die Augen des Mannes in einer Art von spöttischer Heiterkeit auf.

„Ah, Sie wünschen mein Glaubensbekenntniß, Frau Gräfin?“ fragte er. „Nun denn, ich glaube fest und unerschütterlich an einen allliebenden Gott, an die Unsterblichkeit meiner Seele und an meinen Beruf als Mensch, der mir die Pflicht auferlegt, mich der Mitwelt so nützlich zu machen, wie nur irgend in meiner Macht liegt. … Und was jenen protestantischen Geistlichen da drüben betrifft, so möchte ich Sie doch bitten, ein wenig vorsichtiger in Ihrem Urtheil zu sein – der Mann ist ein tadelloser Christ!“

„Davon haben wir uns nicht überzeugen können,“ warf der Minister mit gleichgültiger, aber scharfzugespitzter Stimme ein – seine Lider lagen tief über den Augen, und gaben der Physiognomie etwas unbeschreiblich Verächtliches. „Er ist ein erbärmlicher Prediger und giebt den gläubigen und heilsbedürftigen Seelen durch seinen saloppen Vortrag unausgesetzt Aergerniß. … Wir haben uns veranlaßt gesehen, ihn von der Kanzel zu entfernen.“

Die so völlig herz- und seelenlose Stimme, deren Klang darauf berechnet war, zu reizen, verfehlte ihre Wirkung nicht – die braunen Wangen des Portugiesen färbten sich dunkelroth und seine vornehm kühle Haltung schien ihm für einen Augenblick treulos zu werden, aber er bezwang sich.

„Das weiß ich,“ sagte er anscheinend gelassen. „Excellenz werden nach bestem Ermessen gehandelt haben. … Trotzdem möchte ich mich an die Gnade des Durchlauchtigsten Fürsten wenden und bitten, daß dieser Fall noch einmal in Erwägung gezogen würde. … Bei näherer Beleuchtung dürften sich diese gläubigen und heilsbedürftigen Seelen lediglich auf eine herrschsüchtige Frau und einige wegen Untreue und Arbeitsscheu aus dem Hüttenwerk entlassene Arbeiter reduciren –“

„Ein ander Mal, ein ander Mal, lieber Herr von Oliveira!“ unterbrach ihn der Fürst heftig abwehrend; seine kleinen, matten Augen streiften scheu und ängstlich das Gesicht des Ministers, auf welchem sich jetzt der tiefste Ingrimm unverhohlen spiegelte. „Ich bin hier, um mich zu erholen, und muß Sie dringend bitten, nichts Geschäftliches zu berühren – erzählen Sie uns lieber von Ihrem wundervollen Brasilien.“

Der Portugiese trat wieder an die Seite des Fürsten.

„Die Razzia auf diese im alten Schlendrian versunkenen, unverbesserlichen Geistlichen ist eine Ihrer vortrefflichsten Maßregeln, Excellenz – sie wird in den Annalen unseres Landes glänzen!“ sagte die Gräfin Schliersen zu dem Minister.

Diese Frau mußte doch das letzte Wort haben, und es war lediglich für die Ohren des Portugiesen bestimmt. Der Mann

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_287.jpg&oldid=- (Version vom 22.8.2016)