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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


oder weniger ausführlich geschildert worden, und schon mancher englische Roman ward von müßigen, jungen Juristen darin geschrieben. Eine andere solche Juristenzunft, Gray's-Inn, liegt noch mehr versteckt, und wir erwähnen sie nur, weil die beiden größten Staatsmänner der Königin Elisabeth, Lord Burleigh und der auch als Gelehrter berühmte Lord Bacon, darin erzogen wurden.

Auch das geistliche Gericht für Heiraths-, Testaments- und sonstige Angelegenheiten, über welche im Namen der Hochkirche Recht und Gesetz „begangen“ wird, nämlich Doctors Commons, südlich hinter der Paulskirche versteckt, ist uns durch Dickens’ Schilderung in „David Copperfield“ genügend bekannt geworden.

Nur noch einen Blick auf unseren Canzleigerichtshof von außen in der berühmten Chancery-lane oder Canzleigasse, welche zugleich Verbindungsstraße zwischen der Temple- und Gray's-Inn- Zunft ist. Da diese Gasse zugleich die beiden Hauptverkehrsadern vom Westende nach der City verbindet, kann man darin gar oft das bunteste Gemisch von Lebens- und Leidensbildern studiren. Kläger eilen ungeduldigen hastigen Schrittes über das schlüpfrige Pflaster und drängen sich durch Pedells, Executoren, erkaufte Zeugen, fliegende Kaufmannsdiener, schwarzmäntelige, weißperrückte und doppelt bezopfte Priester des „Billigkeits-Gerichtes“ auf den engen Trottoirs hindurch, diesen stellenweise bereits ziemlich ausgetretenen Fußwegen, auf welchen schon die berühmtesten Juristen älterer und neuerer Zeit ihre Füße setzten, ohne die Stätte heiligen zu können. Hier wanderte Coke, der brutale Gegner Bacon’s und des Grafen Essex, der unerbittliche Verfolger Raleigh’s und unerschrockene Vertheidiger der Volksrechte gegen die absolutistischen Uebergriffe des ersten Jacob. Hier schritt der unlängst verstorbene, unvergeßliche Henry Brougham, um in den düstern Hallen des Canzlei-Gerichtshofes nicht blos Worte des Rechts, sondern auch der Gerechtigkeit zu donnern und zu blitzen. Eine Welt von Tugenden und Lastern, Lüge und Wahrheit, Unverschämtheit und Unschuld, Leidenschaft und weiser Gelassenheit, Ehrlichkeit und Elend, Meineid und Habgier, Verzweiflung und Verderben drängt sich in dieser Gasse und im Gerichtshofe seit Jahrhunderten täglich aus und ein.

Die Innung dieses Canzleigerichtshofes (Lincoln’s Inn-Society) bildete sich als Ergänzung des „Temples“ im Anfange des vierzehnten Jahrhunderts und wurde bald der alleinige Sitz für Lehre und Praxis des Billigkeitsrechtes. Das Oberlandesgericht nämlich, das Oberhofgericht und das Oberkammergericht, in Civilsachen gleichberechtigt, beschränkten sich auf Anwendung und Ausführung des geschriebenen und gemeinen Rechts angelsächsischen und normännischen Ursprungs und vieler feudaler Barbarei in ihren Bestimmungen, so daß das Billigkeitsrecht, zum Theil altrömischen Ursprungs, mehr und mehr Bedürfniß und Nothwendigkeit ward. Diesem entsprach unser Canzleigerichtshof, in welchem Studium und Anwendung des Billigkeitsrechtes nach und nach persönliches, zünftiges Eigenthum der Richter und Zunftmeister wurden. Lange standen sich gemeines und Billigkeitsrecht feindlich gegenüber, aber Bildung und öffentliche Meinung, die in England vielfach Recht und Gesetz beherrschen und deren Grausamkeiten, Unsinn und Plage, wenn nicht beseitigen, so doch mildern, stumpften diesen Gegensatz ab, so daß sich jetzt die allerdings noch sehr theure Billigkeits-Gerichtsbarkeit wesentlich auf solche Fälle beschränkt, über welche sich im gemeinen, geschriebenen Recht keine Bestimmungen finden, also auf moderne Verhältnisse, während alle älteren Rechte und Gesetze auf dem vielfach überwundenen Feudalstaate beruhen.

Darüber giebt es unzählige dicke Bücher, aus denen kein vernünftiger Mensch so leicht klug wird. Sie zerfallen in Lehrbücher über die drei angedeuteten Hauptarten des Rechts und der Gerichtsbarkeit. Es läßt sich also leicht denken, durch welche Labyrinthe von Verlegenheiten und Kosten jeder arme Sterbliche irren muß, um nur erst vor die rechte Thür zu kommen. Im Namen unserer Hunderttausende von Landsleuten in England und aller Deutschen, welche mit England in Verbindung stehen, wollen wir deshalb dem deutschen Rechtsschutzverein in London hiermit unsere wärmste Dankbarkeit und Anerkennung aussprechen, da er sich seit Jahren mit Redlichkeit, Aufopferung und auch Erfolg bemüht, uns möglichst mit heiler Haut durch die rechten Gerichtshöfe hindurch zu führen oder uns in Gnaden ganz davor zu schützen. [1]




Blätter und Blüthen.


Rettung eines Lützowers.[2] Der letzten und verzweifelten Gegenwehr des Lützower Corps in dem schmachvollen Ueberfalle bei Kitzen am 17. Juni 1813 hatte die hereinbrechende Dunkelheit schnell ein Ende gemacht. Nur hie und da vertheidigten sich noch Einzelne und versuchten mit oder ohne Erfolg sich durchzuschlagen. Dazu gehörte auch ich. Als ich nun aber an der linken Schulter verwundet worden war, mußte ich den Kampf aufgeben. Es blieb mir nichts weiter übrig, als mich auf die bewährte Tüchtigkeit meines Pferdes zu verlassen. Ich gab ihm also die Sporen, sprengte davon und machte erst Halt in einem nicht allzufernen Laubholze, wo ich für’s Erste geborgen war.

Sehr bald ergab es sich hier, daß ich nicht allein war. Etwa zwanzig Cameraden, zum Theil verwundet und ohne Waffen, waren eben so glücklich wie ich gewesen. Unter ihnen waren namentlich der Rittmeister von Heiden und Lieutenant von Löschbrand. Der letztere hatte eine tiefe Wunde am Kopfe. Ich nahm mein schwarzseidenes Halstuch und verband sie ihm. Dann hielten wir einen Kriegsrath, was nun weiter zu thun sei, und kamen bald überein, da uns ja nur der Rückzug übrig blieb, uns nach Böhmen durchzuschlagen, das bis dahin neutral war. Nach kurzer Rast brachen wir also auf und ritten weiter. Selbstverständlich hüteten wir uns dabei, so gut es ging, irgend einen Ort zu berühren oder ihm auch nur zu nahe zu kommen.

Mit Anbruch des Tages hatten wir unweit von dem Städtchen Teuchern zwischen Weißenfels und Zeitz wieder ein Laubholz erreicht. Hier machten wir auf einem offenen Platze Halt, sahen uns aber plötzlich von polnischen Ulanen überfallen, die jedenfalls unserer Spur gefolgt waren. Eine Flucht war unmöglich, auch konnten wir selbstverständlich nicht daran denken, uns zu vertheidigen, dazu war unsere Zahl zu klein, zumal da Etliche verwundet und sogar ohne Waffen waren. Es blieb uns nichts übrig, als uns zu ergeben. Rittmeister von Heiden nahm also ein weißes Taschentuch und winkte damit Pardon zu. Zu unserer großen Verwunderung wurde es aber durchaus nicht beachtet. Die Feinde schossen ihre Pistolen auf uns ab, sprengten heran, umzingelten uns, rissen uns von den Pferden und plünderten uns aus. Dann mußten wir unsere Pferde führen und wurden gen Weißenfels transportirt.

In der Nähe dieser Stadt, unweit vom Schießhause, mußten wir Halt machen und eine Front bilden. Man befahl uns die Pferde stehen zu lassen und zwanzig Schritte vorzutreten. Nun wurden unsere Pferde ergriffen und weggeführt. Uns selbst gestattete man, uns auf den Boden nieder zu setzen oder zu legen. Wir thaten es, allein unsere Lage fing bald an, eine recht peinliche zu werden.

In Folge der Anstrengungen und Strapazen der vorigen Nacht waren wir nicht allein todtmüde, sondern wurden auch von beißendem Hunger gequält. Umsonst aber baten wir, daß man uns etwas Brod verabreichen möchte. Nicht einmal für das Geld, welches einer unserer Cameraden in seinem Stiefel verborgen hatte, konnten wir etwas bekommen. Ja, so hart und grausam behandelte man uns, daß selbst die Personen aus der Stadt, welche Theilnahme für uns hatten und etwas bringen wollten, abgewiesen wurden. Der Tag verging, und wir bekamen nichts. Mit Einbruch des Abends aber mußten wir antreten und rechts und links von Infanterie umgeben abmarschiren. Wir ließen Weißenfels links, zogen hinter den sogenannten Klemmbergen vorüber und gelangten in der Nähe der Herrenmühle auf die Straße nach Leipzig.

Den saueren Marsch dahin habe ich mein ganzes übriges Leben hindurch lebendig im Gedächtnisse behalten. Die Grausamkeit der Feinde gegen uns zeigte sich während desselben erst recht in ihrem höchsten Glanze. Es fiel den uns transportirenden Officieren auch jetzt noch nicht im Entferntesten ein, uns etwas zur Stärkung verabreichen zu lassen. Hätte sich nicht ein zufällig an uns vorüberreitender Major der Artillerie über mich erbarmt, so wäre ich wohl gleich wie einige Cameraden liegen geblieben oder gar umgekommen. Ich hatte das Pferd, welches er ritt, sofort als das meinige erkannt und dem neben mir marschirenden von Hill zugerufen: „Sieh mein Pferd!“ Das hatte derselbe gehört und war an mich herangeritten, um mich darüber auszufragen. Ich muß annehmen, daß er an meinen derben Antworten Wohlgefallen fand, denn er that mir dann viel Gutes. – Nachdem er schon wiederholt auf dem Marsche, aber leider immer vergeblich, versucht hatte, uns einen Trunk Wasser oder Bier verabreichen zu lassen, brachte er uns, namentlich mir, in der Nähe von Markranstädt, wo wir einen kurzen Halt machten, selbst einige Butterbrode. Das stärkte mich so, daß ich mich wieder weiter schleppen konnte. Als er wegritt, wies er tröstend auf die Thürme von Leipzig und sagte: „Wer weiß, wie es dort kommt!“ Als wir aber diese heißersehnte Stadt endlich erreicht hatten, graute der Morgen. Wir machten Halt auf der Promenade unweit des Roßplatzes.

Unsere Ankunft war sofort dem Commandeur, Herzog von Padua (Arighi), gemeldet worden. Schon nach einer halben Stunde kam derselbe

  1. Bei dieser Gelegenheit antworten wir auf die vielen Anfragen, die uns nach der Adresse des deutschen Rechtsschutzvereins in London zugegangen sind, daß Alle, welche die Vermittelung desselben in Anspruch zu nehmen gedenken, sich an den Buchhändler Herrn R. Trübner in London, Paternoster Row Nr. 60, wenden wollen.
    Die Redaction.     
  2. Mittheilung der Erlebnisse eines alten Lützowers, des Rendanten a. D. Masius zu Zeitz, nach dem Ueberfall bei Kitzen am 17. Juni 1813.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_239.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)