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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


geduldig die Hände her. Amtsermahnungen halfen nichts. Vor ein Uhr schrob man etwas, ein Uhr waren solche zugeschroben, jedoch angeblich gelinde. Inquisit schwieg; Ermahnungen fruchtlos. Scharfrichter Funke ließ ihm einen Peitschenhieb geben. Inquisit zuckte, weil solcher bei verbundenen Augen unvermuthet kam. Kein Laut, kein Seufzer, Ermahnungen vergeblich. Ein Uhr und eine halbe Minute zweiter Peitschenhieb. (Funke versicherte, daß vor dem festen Zuschrauben einige Hiebe in dies Verfahren gehörten.) Inquisit schien diesen zweiten Hieb nicht zu achten. Es war ein Uhr eine Minute. Der Marteract war vorbei, ein Uhr ein und eine drittel Minute wurde Inquisit vor den Tisch geführt, gestand aber nichts, er antwortete, als wenn er Jemanden heftig etwas versicherte: „Wie kann ich etwas bekennen, was ich nicht gethan!“

Der Inquisit wurde unter dem Vorwande, daß ihm die weiteren Instrumente nochmals sollten umständlich gezeigt werden, an den Tisch des Scharfrichters geführt, hier wurde er mit Salben bestrichen. Derselbe zeigte an: „Ich friere und kann es nicht besehen.“ Er achtete auch nicht auf die Drohungen und ward ein Uhr zwölf Minuten geschlossen wieder in das Gefängniß abgeführt.

Am folgenden Tage zeigte der Gefangenwärter an, der Inquisit sei heute Morgen außerordentlich traurig, lese in einem Gebetbuche und glaube, daß diesen Abend die Sache von Neuem wieder losgehen werde. Er, Comparent, habe es für seine Pflicht gehalten, den Inquisiten hierbei zu lassen. Bald darauf habe ihm Wiegmann entdeckt, daß er lieber sterben wolle, als diesen Abend die ihm gestern Nacht gezeigten Martern aushalten könne. Amtsseitig hielt man für zweckmäßig, die Wachen zu verdoppeln, um desto mehr Geräusch zu machen, und wies den Gefangenwärter an, den Inquisiten in seinem Glauben, daß die Sache wiederholt werden würde, zu bestärken. Der Scharfrichter Funke zeigte an, er habe den Wiegmann heute mit Salben versehen, finde solchen gesund und habe ihn ermahnt, heute Abend zu bekennen, weil er sonst wider seinen Wunsch das an ihm wirklich verrichten werde, was er vergangene Nacht ihm nur gezeigt habe. Später berichtete der Gefangenwärter weiter, daß Wiegmann, wie ihm deuchte, mit sich selbst kämpfe, ob er gestehen wolle oder nicht; er höre genau auf die Wachen, ob diese von demjenigen sprächen, was heute Nacht vor sich gehen würde. Er habe demselben mehrmalen gesagt, daß er bis diesen Abend noch Zeit habe, sich zu bedenken, daß er aber vor Abend bekennen müsse. Den neuen Wachen habe er gesagt, daß sie sich als eine Heimlichkeit untereinander, doch so, daß es zu Wiegmann’s Ohren komme, gegen Abend erzählen möchten, daß noch mehr Leute zu des Scharfrichters Truppe gekommen wären. Amtsseitig bedeutete man, daß man vor Abend den Inquisiten nicht ängstigen möge.

Abends sieben Uhr zeigte der Gefangenwärter an: Wie es dunkel zu werden angefangen, habe der Inquisit Wiegmann große Angst verrathen, und die Wachen hätten sich einander erzählt, daß ein neuer Wagen voll Schinderknechte eben angefahren sei, auch daß alle Leute vor dem Amte schon hin und her liefen. Jetzt habe er den Inquisiten mit Hinweis auf die bevorstehenden Martern nochmals eindringlich zur Wahrheit ermahnt. Wiegmann habe ihm jetzt erklärt, daß er sich vor Angst nicht zu retten wisse, lieber bekennen als sich von Neuem martern lassen wolle und daß er daher um ein Verhör bitte. Der Gefangenwärter kehrte sofort zurück, mittlerweile dann der Beamte es übernahm, in aller Eile mündlich vom Inquisiten das freie (!) Geständniß zu erhalten, worauf man denselben in einem Tempo auf die Amtsstube führen lassen wolle. Um Widerruf zu vermeiden, ließ man vieles Licht auf die von spät beendigten Terminen noch ganz warme Amtsstube bringen, ließ ferner eine Menge Leute auf den Amthof zusammentreiben und Geräusch so viel wie möglich darauf verbreiten, wobei denn Leute mit Leuchten nach dem Torturgewölbe hin und her laufen mußten. – –

So war denn das Ziel erreicht! Die königliche Justiz-Canzlei zu Celle aber rescribirte auf den Amtsbericht: „Wir haben aus den über die Vollstreckung der Euch demandirten Realterrition eingesandten Protokollen ersehen, daß Ihr nicht nur bei der Vollstreckung derselben mit einer eigenmächtig geschärften Strenge verfahren, durch welche der Inquisit weit mehr gelitten hat, als es die allgemeinen Regeln des Criminalprocesses und der Praxis und das von uns ertheilte specielle Instructorium vom 4. März dieses Jahres beabsichtigten und erlaubten, sondern auch außerdem noch eine überall nicht autorisirte, fast einen ganzen Tag fortgesetzte Verbalterrition hinzugefügt habt, wodurch Ihr die Angst des Inquisiten bedeutend vergrößert und vielleicht bleibende Nachtheile für dessen Gesundheit verursacht habt. Wir sind vom königlichen Cabinets- Ministerio beauftragt, Euch wegen dieser Procedur das Mißfallen desselben zur Belehrung für künftige Fälle (!) zu erkennen zu geben.“ –

Gottlob kam es nicht zu „ künftigen Fällen“! Eine Verordnung vom 17. April 1822 hob endlich die Tortur in dem Königreiche Hannover auf. Im Jahre 1840 wurde auch Karl’s des Fünften peinliche Halsgerichtsordnung zu Grabe getragen, wie in einem Bilde mit den Porträts aller Celler Richter (als Leidtragender) solches der Nachwelt erhalten worden ist. Und der Inquisit Wiegmann? Nachdem derselbe zwar die Folter, ohne zu bekennen, überstanden hatte, jedoch alsdann durch die Angst vor ferneren Qualen zur Ablegung eines vollkommenen Geständnisses gedrängt war, ist er zu einer vierjährigen Zuchthausstrafe verurtheilt worden und noch vor deren Ablauf im Zuchthause gestorben.




Geistliche Exercitien.

Es war am Sylvestertage des Jahres 18.., als ich nach X. abreiste. Ich sollte nach der Bestimmung derer, welche mir durch Darbietung der nöthigen Geldmittel die Fortsetzung meines Studiums ermöglichten, in das dortige Knabenseminar eintreten und mich darin zu dem geistlichen Berufe vorbereiten. Mein Vater war dagegen – ich ursprünglich ebenfalls. Dennoch reiste ich meinem neuen Bestimmungsorte zu, weil ich einsah, daß die Mittel meines Vaters zu beschränkt waren, als daß ich mir mit ihrer Hülfe eine höhere Bildung hätte verschaffen können. Zudem findet man sich in der Jugend leicht in jede Aenderung, man erblickt die unangenehmsten Lebensverhältnisse durch die rosige Brille kindlicher Unbefangenheit und jugendlichen Vertrauens.

Am Abend desselben Tages langte ich in X. an; die Pforten des Knabenseminars, von einer barmherzigen Schwester geöffnet, schlossen sich hinter mir und trennten mich für drei Vierteljahre von der äußern Welt, in deren Wogen und Treiben der Jüngling zum Manne reifen muß, wenn er ein rechter Mann werden will. Andere Leute denken freilich anders, auch meine hohen Gönner und Helfer – die katholische Geistlichkeit meines Orts – waren darüber anderer Ansicht. Die Welt ist ein Sumpf, durch den sich nur der geläuterte und im Christenthum erstarkte Mann mit Ehren durchwinden kann, – über dem Haupt des unerfahrenen Jünglings schlagen die Schmutz- und Kothwellen des Lasters zusammen, er geht moralisch zu Grunde und kann infolge dessen nie ein brauchbares Werkzeug der Kirche, d. i. der Geistlichkeit werden, – so war ihre Meinung, und sie haben vielleicht von ihrem Standpunkte aus Recht.

Ich habe nie ein Institut kennen gelernt, das den Zweck, seine Zöglinge von dem Verkehr mit der Welt auszuschließen, in umfassenderer Weise erfüllt hätte, als das Knabenseminar.

Vergegenwärtigt man sich eine Anstalt, in der ein gleißnerischer, himmelsüchtiger junger Geistlicher von asketischer Frömmigkeit ein eisernes Regiment führt, gestützt auf die Berechtigung, seinen Zöglingen Frühstück, Vesper- und Abendbrod ad libitum auf längere oder kürzere Zeit zu entziehen und sie mit Maulschellen oder Stubenarrest zu tractiren; eine Anstalt, in der nach der Schablone gedacht, gearbeitet, gebetet, ja sogar gegessen und getrunken wird, deren Insassen durch Heuchelei, Frömmelei und gegenseitige Angeberei sich in der Gunst des Herrn Präses Hochehrwürden festzusetzen suchen, – so hat man ein bis in’s kleinste Detail genaues Conterfei des Instituts, in welches mich die Güte meiner Gönner versetzte.

Ich hatte bis zu meiner Ankunft in X. in einer durch und durch protestantischen Gegend gelebt, ein rein protestantisches Gymnasium

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_218.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)