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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

schritt nach dem Frühstückstisch, wo sie sich niederließ. Sie nahm die Lorgnette vor die Augen und fixirte ihre Stieftochter, die mit Frau von Herbeck langsam herüberkam, während die Männer mit der Trage in den Wald zurückkehrten.

„Apropos, Gisela – laß Dir Eines sagen!“ rief sie dem jungen Mädchen entgegen. „Nimm mir’s nicht übel, aber Du machst eine zu absonderliche Toilette – so über alle Begriffe pauvre –“

Die junge Gräfin trug ein Kleid genau von demselben Schnitt, wie das vorgestrige, nur war es von zartblauer Farbe. Ohne jedwede Verzierung, sah es fast aus wie ein Talar mit weiten, offenen Aermeln, dessen Falten nur um die Taille mittels eines Gürtels zusammengezogen waren. Aber diese durchsichtigen Muslinfalten legten sich knapp um die zartgeformte Büste und ließen das rosige Weiß der Schultern durchscheinen – ein schwarzes Sammetband nahm heute das blonde, offene Haar von der Stirn zurück. Das war freilich keine Pariser Toilette à la Watteau, aber das Mädchen sah aus wie eine Elfe.

„Ach, das ist ja immer Lena’s Jammer, Excellenz!“ klagte die Gouvernante. „Ich sage schon lange kein Wort mehr –“

„Das dürfen Sie auch nicht, Frau von Herbeck!“ unterbrach sie Gisela ernst. „Haben Sie nicht erst gestern einem unserer Küchenmädchen versichert, sie sei verstoßen vor Gottes Angesicht, weil der Eitelkeitsteufel in ihr stecke?“

Ein frivoles Lächeln kräuselte die Lippen der Baronin – die Gouvernante aber erglühte in der Erinnerung an jenen Moment abermals in heiligem Zorn.

„Und das mit allem Recht!“ fuhr sie empor. „Hat sich doch das einfältige, gottvergessene Ding einen runden Strohhut gekauft, genau von der Form wie mein neuer! … Aber, liebste Gräfin, eine solche Parallele zu ziehen! … es ist unverantwortlich – ja, ja, das ist wieder einmal eine Ihrer liebenswürdigen, kleinen Bosheiten!“

„Ich hatte gehofft, Dich in dem reizenden Hausanzug zu sehen, den ich Dir von Paris aus geschickt habe, mein Kind!“ sagte die Baronin, unbekümmert um Frau von Herbeck’s Jammer.

„Er war mir viel zu kurz und zu eng – ich bin gewachsen, Mama.“

Ein lauernder Blick aus den dunklen Augen der Stiefmutter fuhr über das Mädchengesicht.

„Er ist genau nach dem Maße gemacht, das Lena mir bei unserer Abreise eingehändigt hat,“ sagte sie gedehnt und scharf zugleich, „und Du willst mir doch nicht weismachen, Kindchen, daß Du Dich in den paar Monaten so gewaltig verändert habest?“ …

„Ich habe Dir niemals etwas weismachen wollen, Mama, und deshalb muß ich Dir auch bekennen, daß ich den Anzug nie getragen haben würde, selbst wenn er passend gewesen wäre – ich hasse alle schreienden Farben – das weißt Du ja, Mama – ich habe die rothe Jacke Lena geschenkt.“

Die Baronin fuhr tiefgereizt auf – aber sie faßte sich rasch.

„Nun, da wird sich ja das Kammerkätzchen recht wohl befinden in dem feinen Cachemir!“ meinte sie spöttisch lächelnd. „Und ich werde mich künftig hüten, ohne die allerhöchste Genehmigung meines Töchterchens zu wählen. … Uebrigens kann ich mir nicht helfen – ich betrachte die gesuchte Einfachheit bei solch’ kleinen Backfischchen, wie Du eben eines bist, immer mit schwerem Mißtrauen – es sieht mir aus wie ein ganz klein wenig – Heuchelei.“

Gisela’s Mundwinkel bogen sich leicht abwärts in einem leise verächtlichen Zug.

„Ich heucheln? – Nein – dazu bin ich zu stolz!“ sagte sie gelassen.

Diese seltene Ruhe in dem Wesen des jungen Mädchens ließ den, der sie beobachtete, fortwährend im Zweifel, ob sie angeborener Sanftmuth, oder einem überwiegend vorherrschenden Verstand entspringe.

„Ich bilde mir sehr viel darauf ein, Gottes Ebenbild zu sein,“ sagte sie weiter. „Mögen Andere ihren Körper mit allen möglichen Modeartikeln behängen und verunstalten – ich thue es nicht!“

„Ah, meine liebe, kleine Bescheidenheit – da bist Du also überzeugt, so am schönsten zu sein?“ rief die Baronin. Sie maß die Stieftochter durch die Lorgnette von Kopf bis zu Füßen – ein wahrhaft satanischer Zug zuckte um ihren Mund.

„Ja,“ antwortete Gisela unbefangen, ohne Zögern. „Mein Schönheitsgefühl sagt mir, daß wir die einfach edlen Linien festhalten sollen.“

Die Baronin lachte laut auf.

„Nun, Frau von Herbeck,“ sagte sie mit beißender Ironie zu der Gouvernante, „dies Kind hat ja in seiner Einsamkeit recht interessante Studien gemacht – wir werden Ihnen sehr dankbar dafür sein! … Schade, mein Herz, daß Du nicht hübscher bist!“ fügte sie zu Gisela gewendet hinzu.

„Mein Gott, Excellenz,“ rief Frau von Herbeck erschrocken, „ich habe keine Ahnung, wie die Gräfin dazu kommt, sich plötzlich von einer so koketten Seite zu zeigen! … Nie, ich kann es beschwören, habe ich bemerkt, daß sie auch nur einmal in einen Spiegel sieht –“

Die Baronin winkte ihr, zu schweigen – der Minister kam eben vom See her.

Seine Excellenz sah nichts weniger als morgenfrisch und gutgelaunt aus. Unter dem tief in die Stirn gedrückten Strohhut hervor fuhr sein Blick über die Damengruppe und blieb an der jungen Gräfin hängen. Sie stand noch – während des Gesprächs hatte sie mechanisch einen etwas hochhängenden Zweig ergriffen und hielt ihn mit ausgestrecktem Arme fest – der weite Aermel hing flügelartig herab – es war eine charakteristische Stellung voll edler, keuscher Ruhe.

„Ah sieh da – eine Opferpriesterin im Druidenhaine!“ rief er sarkastisch hinüber, als er näher kam. „Phantastisch genug siehst Du aus, meine Tochter!“

Für gewöhnlich begleitete er dergleichen Scherze mit einem feinen, satirischen Lächeln, das sein Gesicht sehr pikant und anziehend machte – augenblicklich aber erlosch es in einem Ausdruck von Verdrossenheit. Er küßte seiner Gemahlin die Hand und setzte sich neben sie.

Während Frau von Herbeck die Chocolade einschenkte, erzählte die Baronin ihrem Gemahl das Abenteuer mit dem Besitzer des Hüttenwerks – sie beschränkte ihre Mittheilung lediglich auf das Erschießen des Hundes und berührte Gisela’s Betheiligung dabei mit keinem Wort.

„Der Mann versteht es, sich mit einem romanhaften Nimbus zu umgeben,“ meinte der Minister, indem er die dargebotene Chocolade zurückwies und sich eine Cigarre anbrannte. „Er scheint den Sonderling spielen zu wollen und läßt sich mit seinen Millionen suchen – nun, das wird aufhören, wenn der Fürst kommt; er will sich ja vorstellen lassen, wie man sagt, und dann werden wir ihn uns näher besehen.“

Er sah sehr zerstreut aus, als er das sagte – seine Gedanken waren offenbar nach einer anderen Seite hin lebhaft beschäftigt.

„Da hat mir doch der Tölpel von Tapezirer vorhin beim Aufstellen eine der neuen Vasen zerbrochen!“ sagte er nach einer Pause, während die Damen schweigend frühstückten.

„O weh!“ rief die Baronin. „Aber das sollte Dich doch nicht so verstimmen, mein Freund! Der Schaden ist leicht wieder gut zu machen – das Ding hat höchstens fünfzig Thaler gekostet!“

Der Minister schnellte die Asche von seiner Cigarre – in der Bewegung, mit welcher er sich wegwandte, lag viel heimliche Ungeduld.

„In dem Augenblick, als ich das weiße Schloß verließ,“ hob er nach einem momentanen Schweigen wieder an, „nahm Mademoiselle Cecile eine Kiste in Empfang, die Dein Pariser Schneider geschickt hat, Jutta.“

„O, das ist mir eine sehr angenehme Neuigkeit!“ rief die Dame. „Cecile hat schon gejammert, weil die Sachen so lange ausblieben, und ich selbst hatte Angst, à la Aschenputtel vor dem Fürsten erscheinen zu müssen!“

„Der Narr hat fünftausend Franken Werth angegeben,“ bemerkte der Minister.

Die Baronin sah verwundert auf.

„Der Mann hat ganz Recht,“ sagte sie. „Ich habe für fünftausend Franken Bestellung gemacht.“

„Aber, liebes Kind, wenn ich nicht irre, hast Du ja eben so und so viele Toiletten im Werth von achttausend Franken aus Paris mitgebracht?“ …

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_194.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2016)