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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

bei Tag wie in Mondscheinnächten. Nächstdem aber sind es die tausendfach verschiedenartigen Gemälde, welche auf einer Wanderung durch unsere winterlich geschmückten Thäler und auf einigen der hervorragendsten Vorberge dem Auge sich darbieten und die Seele in Staunen und Entzücken versetzen.

Schon der bloße Anblick des Hochgebirges in seiner ganzen Ausdehnung und in seiner vollen Winterpracht ist eine Reise werth. Am schönsten ist und bleibt derselbe auf den Höhen bei Warmbrunn, ganz besonders in den Monaten Februar und März.

Wenn am frühen Morgen die Thäler noch im tiefen Schlafe unter dichter Nebeldecke ruhen, überhaucht oben auf dem Kamm schon ein rosenfarbener Schimmer die westlichen Häupter. Und während nach und nach die Gipfel des Hohen Rades, des Reifträgers, der Großen und Kleinen Sturmhaube, die Veilchenspitze und die Eisränder der Schneegruben und der Teiche nebst dem ganzen Silberkamm in der Morgenröthe erstem Hauche sich berauschen, schlummern alle übrigen Gebirgstheile, ganz besonders der östliche Flügel, noch immer unter ihrer Decke weiter und bis tief in den Morgen hinein.

Von Blick zu Blick steigert sich die Färbung oben und im Westen; dem Hauch folgt eine rosige Gluth, indeß immer noch festgehalten werden von süßen Träumen die Schläfer im Osten. Erst wenn nach einer Viertelstunde die Gluth an den westlichen Wangen sich immer tiefer dehnt, lüftet eine unsichtbare Mutterhand die Schattendecke an den östlichen Hängen, und die Waldung windet zum Morgengruß einen Strauß mit violetten Bändern, in welche der Berggeist all’ die vielen kleinen Sturzbäche als Silberfäden eingewirkt.

Wenn endlich der dunkelblaue Morgenhimmel im vollen Glanze strahlt, löst sich auch die Schattendecke über den östlichen Kanten des Schmiedeberger Kammes, der Schwarzen Koppe und der Riesenkoppe in Aether auf, und Felsengruppen, Wäldermeer und Baudendachung zeigen sich in ihrem winterlichen Morgen-Negligé, bis endlich die höher gestiegene Sonne das ganze Gebirge mit der gewöhnlichen Beleuchtung des Tages erfüllt. Es beginnt aber dann nicht etwa ein einförmiger und einfarbiger Tagesschimmer, sondern das wundervolle Wechselspiel geht ununterbrochen bis zum Sonnenuntergang fort, wo die volle Rosengluth über die Südseite des Gebirges sich ausgießt und die Bewohner Böhmens mit ihrem Zauberglanz erfreut, wie am Morgen die Bewohner der Nordseite.

Nicht weniger reizende Bilder bietet die lange winterliche Mondscheinnacht; aus dem Silberschleier, den der Mond über das Gebirg breitet, steigen sie so zauberisch auf, daß sie bis zur heranschwebenden Dämmerung uns im Staunen und Entzücken erhalten.

Nicht immer ist das Hochgebirge frei oder „klar“, wie der Thalbewohner sagt, sondern oft mit Nebel oder Wolkenschichten mehr oder minder stark bedeckt. Doch auch dieses Nebel- oder Wolkenspiel hat seine Reize und gewährt in seiner Mannigfaltigkeit dem Beobachter oft die schönste Unterhaltung. Besonders interessant ist das Formen der ersten Wolkenmassen, das Auflagern und Verschwinden derselben von den Kuppen und Gehängen, ihr Verdichten und Wiederauflösen, ihr Herüber- und Hinüberlugen, Zusammenballen und Herabwälzen in bald lichter, bald dunklerer Färbung, manchmal sogar finster wie die Nacht.

Schon das unheimliche Kochen und Brauen, Sieden und Brodeln in den großen Küchen des Berggeistes, den Moorsümpfen des Isergebirges, der Naworer-, Mädel- und Weißen Wiese, in den Teichen und Gruben und in den Felsenstädten der Thor- und Korallensteine, fesselt den Blick und spannt die Erwartung. Oft ist der höchste Rücken des mit Schnee und Eis bedeckten Kammes noch frei von Wolkenmassen, während sich dieselben schon an den Gehängen und auf dem niederen Gebirge mit einander herumbalgen und nur hinter dem Kamm herauf eine finstere Wand sich emporthürmt. Dann erzeugen die von den Eisflächen abblitzenden Sonnenstrahlen einen wundervollen Goldsaum, der an dem dunklen Hintergrund sich abspiegelt und von den unteren Wolkenmassen aufgefangen wird.

Bald erhebt sich der Sturm, wirbelt Schneeschichten durch den goldenen Saum und über die Wände herab, und bildet einen prachtvollen, mit Silberfransen besetzten Spitzenschleier, der nach wenigen Augenblicken seines Erscheinens wieder von den immer höher schäumenden Wogen des Wolkenmeeres verschlungen wird. Der Kampf da oben braust toller und immer toller, während unten in den Thälern noch vollständigste Stille herrscht und kein Lüftchen sich rührt, wohl aber der Baudenbewohner dem Herabsteigen des wüthenden Kampfes mit Bangen entgegensieht.

Schon lange vor dem Herniederwälzen der Sturmeswogen hört man, nahe am Gebirgsfuß stehend, das Brausen und Toben derselben, als sausten tausend Eisenbahnzüge auf den Gipfeln der Bergkolosse hin und her. Am deutlichsten hörbar ist der Widerhall am Fuß des Kynast in Hermsdorf, am Fuß des Mühlberges in Petersdorf und in den Thälern des großen und kleinen Zackens. Oft währt es länger als eine Stunde, bevor man auf den Gipfeln der Vorberge die Baumspitzen sich beugen sieht; – dann aber folgt Stoß auf Stoß, und ein Hin- und Herwogen, Umarmen und Niederbeugen der Bäume und ein Heulen und Aechzen, als würde eine der furchtbarsten Schlachten geschlagen. Auch ein solch’ gewaltiges, großartiges Naturschauspiel zu beobachten, dürfte eine Reise in’s Riesengebirge lohnen. Am lohnendsten aber ist eine Fahrt durch das Zackenthal bis hinauf zur weltberühmten Glasfabrik „Josephinenhütte“ und, wenn möglich, bis hinüber nach den ersten böhmischen Fabrikdörfern Neuwelt, Wurzeldorf und Tannwald.

Nicht blos alle Straßen im Zackenthal, nein, sämmtliche Straßen, Wege und Stege im Gebirge sind während des Winters fast mehr belebt, als im Sommer. Bis tief in die Wälder hinein und bis hoch zum Kamm hinauf wogt das menschliche Treiben Tag für Tag selbst bei dem tollsten Winterwetter. Das ganze Gebirge gleicht einem riesigen Ameisenhaufen, auf dem ein rastlos Leben waltet; denn gerade je mehr die Felsspalten, Klüfte, Schluchten und Gründe mit Schneemassen sich füllen, desto emsiger ist der Mensch bemüht, das Holz, welches man den ganzen Sommer und den größten Theil des Winters über geschlagen, von den höchsten Gipfeln, von den steilsten Wänden und Kuppen herab und über die gefährlichsten Spalten und Abgründe hinüber oder herüber zu schaffen. Wohin man sieht, da klebt ein Mensch, trägt ein Mensch, fährt ein Mensch, oft übermäßig schwer belastet, bis zu den Stellen, welche mit Pferden oder Rindern bespannte Schlitten nur irgend erreichen können. Auch dieses großartige, geschäftliche Treiben gehört zu den interessanten Winterbildern im Gebirge, die man eben sehen muß, um sie bewundern zu können.

Neuerdings ist von all’ diesen Winterfreuden des Riesengebirgs, namentlich durch die Bemühung des bekannten Berliner Reiseunternehmers Stangen, keine so vielgerühmt und gesucht, wie die sogenannte Hörnerschlittenfahrt. Der wunderlich klingende Namen rührt von der hörnerartigen Form des Vordertheils der Schlittenkufen her, die man ähnlich auch in anderen deutschen Gebirgsländern findet, wo solche Schlitten dann „Böcke“ oder „Böckchen“ genannt werden.

Man benutzt von Norddeutschland aus zu diesem Vergnügen die Eisenbahn bis Hirschberg, fährt von da zu Wagen oder Schlitten nach Schmiedeberg und besteigt hier zuerst Hörnerschlitten, aber größere als zur freien Herabrutschfahrt, weil wir bergauf von Pferden gezogen werden. Wir waren gegen fünf Uhr Abends in Schmiedeberg angelangt. Von dem Hôtel von Ruppert aus werden die Fahrten nach der Grenzbaude unternommen. In den Gaststuben wimmelte es von Fremden, die, von nah und fern hergekommen, ihre Schlittenpartieen theils schon gemacht hatten, theils frisch daran gingen oder eine Wiederholung derselben am nächsten Tage beabsichtigten.

Bald verkündete mehrstimmiges Glockengeläut die Ankunft der Hörnerschlitten. Jeder Schlitten war mit einem jener kräftigen Gebirgspferde bespannt, die eine fabelhafte Geschicklichkeit besitzen, die steilen und glatten Pfade emporzuklimmen. Dicht hinter jedem Pferde, sich an den Kufenhörnern festhaltend, den Zügel um den Hals gelegt, ging im Schnellschritt der Führer des Schlittens.

So fuhren wir durch Ober-Schmiedeberg das Gebirge hinauf. Wir waren durchaus nicht einsam. Bald links, bald rechts vom Wege tauchten einzelne Gebirgsbewohner auf, welche das schwierige Geschäft des Schlittentransportes übernommen hatten und mit Benutzung aller möglichen abkürzenden Pfade die zur Herabfahrt benutzten Schlitten hinaufzogen, die sich von den unsrigen dadurch unterschieden, daß sie niedriger und länger und mit einer Rücklehne versehen waren. Eine Strecke weiter, an einer nicht gerade steilen Stelle, sahen wir von oben herab einen gespenstigen Zug auf uns loseilen. Eine verspätete Partie, die aus einer Grenzbaude

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_187.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)