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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Nirgends scheint uns indeß genügend betont, in welcher wahrhaft künstlerischen Weise hier der Künstler für den Künstler und dessen zuweilen bedürftige Hinterlassenen sorgt. Eine gemeinschaftliche Vorschußcasse in Fällen der Verdienstlosigkeit Einzelner, eine gemeinschaftliche Unterstützungs- und Krankencasse hat ein echt brüderliches Band um die Musenjünger geschlossen, dessen Wirkungen sich schon in tausend Fällen segenbringend und wohlthätig erwiesen.

Als wir am Abend die Räume des Gesellschaftssaales in Begleitung von Knaus und Oscar Begas aus Berlin betraten, hatten wir ein Beispiel dieser innigen Zusammengehörigkeit vor Augen. Vor Kurzem war ein „Malkästner“ in nicht gerade gesegneten Glücksumständen dahingeschieden; seine Hinterbliebenen bedurften der Unterstützung. Rasch regten sich geschäftig Hunderte der Genossen und stifteten für den Zweck einer Verloosung Werke eigener Hand und eigenen Kopfes. Der Werth von eintausendfünfhundert Thalern (nebst einem erklecklichen Betrag für sämmtliche Verloosungskosten) war an jenem Abend in den ausgestellten und gestifteten Kunstwerken erreicht und die Loose zum selben Werthe gleichzeitig innerhalb des Malkastens – dem ungefähr hundert außerordentliche Mitglieder, die geistig bedeutendsten Leute der Stadt, angehören – verkauft und abgesetzt. Eine künstlerische und klingende Unterstützung zugleich! Wahrlich, wo solch’ ein echter Geist der Kunst und Zusammengehörigkeit waltet, da wird Erfolg und treue helfende Brüderlichkeit nimmer fehlen!

Unter Plaudern und Scherzen verfliegen in jenem anregenden Kreise die kurzen Abendstunden. Nahe vor uns, auf dem Ofen, steht ein mächtiger Behälter, der wohl ungefähr einen Eimer Weins zu fassen vermag und den der Malkasten einst für sich erworben. Er stammt aus der Zeit der Goethe-Periode. Damals muthmaßlich als Weinkühler in Benutzung, wird er jetzt öfter im Malkasten als Weinbowle gebraucht. Er sollte auch heute nicht unbenutzt bleiben. – Und siehe, dem blinkenden Messingbehälter entsteigen wunderliche Gestalten! Amoretten und buntwechselnde Landschaften, Charakterköpfe und idyllische Stillleben, Hasenclever’sche Originale und rheinische Burgen, die Schneeriesen der Schweiz, Tirols und wellenbewegte Seestürme. Ueber Allem aber schwebt in lichtstrahlender Glorie der Lorbeerkranz des deutschen Künstlerruhmes, in seiner Mitte die goldblitzenden Worte „Düsseldorf“ und „Malkasten“!




Die Königin von neun Tagen.

In einem der Thürme des Londoner Towers liest man an der Wand eines Zimmers, das früher zum Gefängniß gedient hat, die vier Buchstaben: Jane (Johanna). Sie erinnern an eine der unglücklichsten und lieblichsten Gestalten der englischen Geschichte, an eine Jungfrau, die, kaum dem kindlichen Alter entwachsen, ihr schönes Haupt auf den Block legen mußte, weil sie, von Verwandten und Großen des Reichs gedrängt, die Krone, die ihr zu gebühren schien, nicht zurückgewiesen hatte. „Jane“ ist Johanna Gray, die Königin von neun Tagen.

Auf Heinrich den Achten, den herrischen und grausamen Urheber der englischen Kirchenreformation, war Eduard der Sechste gefolgt. Man mußte darauf gefaßt sein, daß der schwächliche Knabe sterben werde, ehe er eine Heirath eingehen könne. Wem in diesem Falle die Krone gebühre, das vermochte der klügste Mann in England nicht zu sagen. Acht Personen, eigenthümlicher Weise lauter Frauen, konnten Anspruch auf die Krone machen. Die beiden ihrer Geburt zufolge nächsten Blutsverwandten, Marie und Elisabeth, Heinrich’s des Achten Töchter, waren von der Thronfolge ausdrücklich ausgeschlossen worden. Unter den übrigen berechtigten Frauen waren zwei, die beide auf dem Blutgerüst enden sollten: Maria Stuart und Johanna Gray. Die schottische Königin hatte Sünden begangen und Verbrechen wenigstens zugelassen und selbst begünstigt, so daß ihr gewaltsamer Tod als Buße betrachtet werde kann, Johanna Gray war so rein geblieben wie der junge Tag. Als Eduard der Sechste starb, zählte sie kaum sechszehn Jahre, die sie in Stille und Einsamkeit verlebt hatte. Lieblich und schön wie eine Rosenknospe, gewann sie die Herzen durch die Sanftmuth ihres Wesens. Obgleich sie eine Urenkelin Heinrich’s des Siebenten war, hatten ihre Eltern doch nie an den Thron gedacht und dieser Lieblingstochter eine fast gelehrte Erziehung gegeben. Fremder Ehrgeiz machte Johanna zu seinem Opfer. Ihr böser Geist war der Herzog Johann von Northumberland, ein kühner, hochmüthiger und schlechter Mann. Er war unter den englischen Großen der mächtigste. Um den Thron für seine Nachkommen zu erwerben, suchte er für seinen Sohn Guilford Dudley um die Hand Johanna Gray’s nach. Die Eltern fühlten sich durch den Antrag des Herzogs, der in ihren Augen der größte Mann Englands, ja Europa’s war, zu sehr geschmeichelt, um nicht mit Freuden ihre Einwilligung zu geben. Die stille und ernste, doch dabei wahrhaft liebenswürdige Johanna wagte keine Einwendungen zu machen. Sie hegte keine Neigung für den siebenzehnjährigen Guilford und hatte sogar ihr kleines Herzensgeheimniß, doch als sie hörte, daß auch der König ihre Verlobung wünsche, da neigte sie zustimmend den hübschen Kopf und folgte ihrem Verlobten zum Altar. Nach der Trauung bat sie, daß man sie mit ihrer Mutter fortgehen und so lange im elterlichen Hause bleiben lasse, bis sie und ihr Mann zu reiferen Jahren kämen. Ihr Wunsch war ein Befehl; vor der Kirche trennten sich die Neuvermählten. Sechs Wochen nach dieser Trauung war der Thron erledigt, und die Stunde für den kühnen Plan des Herzogs von Northumberland hatte geschlagen.

In einer Sommernacht (6. Juli 1553) entschlummerte König Eduard so sanft, daß sein Tod während dieser Nacht und des ganzen folgenden Tags verheimlicht werden konnte. Diese Zeit benutzte der Herzog von Northumberland für sich. Jedermann wußte, daß Johanna, die jetzige Gemahlin seines Sohnes Guilford, von königlichem Blut sei und ein gewisses Anrecht auf den Thron habe. Die Londoner Rathsherren und angesehensten Kaufleute, die in den Palast beschieden und dort zu dem königlichen Leichnam geführt wurden, schöpften deshalb keinen Argwohn, als der Herzog ihnen ein Papier zeigte und als eine von Eduard dem Sechsten aufgestellte Thronfolge-Ordnung, in der Johanna Gray für die rechte Erbin erklärt wurde, bezeichnete. Die Londoner Herren unterzeichneten dieses angebliche königliche Testament und versprachen, über den Tod Eduard’s so lange zu schweigen, bis die Lords ihn öffentlich bekannt gemacht hätten.

Der Herzog glaubte seinem Sohne Anhänger geworben zu haben und setzte seine Vorbereitungen in der Stille fort. Zwei Aufgaben waren für ihn die nächsten: die Königstochter Maria gefangen zu nehmen und Johanna Gray nach London führen zu lassen. Guilford’s jungfräuliche Gemahlin weigerte sich, das elterliche Haus zu verlassen. Als aber ihr Mann selbst erschien und sich auf ihre Pflicht, ihm zu folgen, berief, machte sie sich mit ihrer Mutter auf den Weg. Sie wußte nicht, daß der König seit drei Tagen todt sei. Plötzlich strömten die großen Lords des Reichs in ihr Zimmer, fielen vor ihr auf’s Knie und küßten ihr die Hand. Der erste von allen war der ewig lachende, ewig über Bösem brütende Graf von Arundel, der Todfeind ihres Hauses. Johanna wurde ohnmächtig, als man ihr sagte, daß sie Königin sei. Sie hatte den König wie eine Schwester geliebt, mit ihm gelesen, mit ihm gespielt, seine Geheimnisse und seine Hoffnungen getheilt, und als sie nun hörte, daß er todt sei, da schwanden ihr die Sinne. Die Lords knieeten noch vor ihr, als sie ihr Bewußtsein wieder bekam, und da alle bei ihrem Seelenheil betheuerten, daß sie kraft ihrer Geburt und nach Eduard’s Willen die rechtmäßige Königin sei, so erklärte sie sich bereit, die Krone, von der sie niemals geträumt habe, annehmen und zu Gottes Ruhm und des Volkes Wohl tragen zu wollen.

Der erste Tag dieser neuntägigen Regierung war ein schöner. Der hellste Sonnenschein strahlte vom Himmel nieder, als Königin Johanna in der königlichen Barke, von einer Flotte anderer Fahrzeuge begleitet, unter heiterer Musik, Glockengeläut und Kanonendonner die Themse hinab zum Tower fuhr. Der alte Bau war Schloß, Gerichtsgebäude und Gefängniß zugleich. Johanna landete an der königlichen Treppe, die nur bei feierlichen Gelegenheiten benutzt wurde, und schritt mit einem Gefolge von Herzogen und Grafen durch Reihen knieender Bürger in die Prunkzimmer des Schlosses. Während sie hier die Huldigungen der Großen annahm,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_184.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)