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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

von jeher waidmännische Subordination das erste Gesetz auf der Jagd, und nie habe ich mir, so oft es anderwärts geschehen mag, erlaubt, ohne specielle Erlaubniß eigenmächtig auf unverhofft vorkommendes Wild zu schießen. Darum blieb ich denn auch hier nur Zuschauer, den ritterlich geführten Zweikampf der beiden wilden Burschen zu beobachten, und nur das prickelnde Vergnügen gönnte ich mir einmal dabei, die gespannte Büchse an den Kopf und damit den stärksten der Kampfgenossen so recht präcis auf’s Korn zu nehmen. Wohl flüsterte mir eine innere Stimme dabei zu: „der Mensch versuche die Götter nicht!“ Denn die leiseste unwillkürliche Berührung des Stechers würde alle meine Achtung vor dem Gesetz in ein sehr zweifelhaftes Licht gesetzt haben, und ich hätte dann die Wahrheit auf’s Heiligste betheuern können – der erlegte Keiler würde mich doch Lügen gestraft haben. Wie schon gesagt, gleichsam von einem schweren Bann befreit, wandten sich daher meine Augen nach geschehener Flucht der Sauen meinem eigentlichen Ziele wieder zu, und zur höchsten Freude erblickte ich wirklich den weißen Spießer noch draußen in den jungen Fichten stehen. Thatsächlich mit noch vor Aufregung zitterndem Schritt nahm ich jetzt meinen unterbrochenen Pürschgang wieder auf und kam auch bald auf Schußweite an den Ausersehenen hinan. Nun hob ich die Büchse zum wirklichen, todbringenden Schusse, der auch, als er den stillen Wald durchdröhnte, seine Schuldigkeit gethan.

Erst hoch emporschnellend floh der Getroffene seitab, während der ganze Trupp Mutterwild auf die andere Seite prellte und flüchtig wurde. Durch des Angeschossenen leuchtendes Kleid konnte ich ihm mit dem Auge weithin folgen und sehen, wie er sehr bald matter wurde und nun ganz langsam hinzog, bis er gar stehen blieb, dann aber zu wanken begann und endlich zusammenbrach. Mit gewohnter Vorsicht rückte ich, die Büchse bereits wieder zum Feuern bereit, dem Daliegenden zu Leibe, um ihm nöthigenfalls noch eine Kugel zuzusenden, doch kein Glied mehr rührend, war auch er bereits verendet, als ich schließlich ganz an ihn herantrat. Schnell eilte ich jetzt, die Beute gleich hinter mir herschleifend, nach der Linie, wo der Wagen, den ich diesmal ungebührlich lange hatte warten lassen, meiner harrte. Ehe ich jedoch noch das Holz verlassen, war auch der indianerschnelle Leibschütz schon da, den Spießer, da er reinlich geschossen war, nur lüftend und dann ihn schleunigst zum Wagen bringend. Ich aber erzählte meine Erlebnisse und, wie ich vermuthet, richtete darauf der Jagdherr die fast vorwurfsvolle Frage an mich, warum ich denn nicht eine der Sauen geschossen?

Die Reue kam zu spät, und um so mehr trieb ich nun, da auch die Zeit bereits ziemlich vorgeschritten war, zur Eile an, den Ort zu erreichen, wo ich ja noch hoffen durfte, auf dem Anstand ein Schwein zu schießen. In der Nähe desselben, an einer Wildfütterung angekommen, wo der betreffende Förster unsere Ankunft bereits erwartete, führte mich dieser zur nicht mehr fern liegenden Kirre, während der Graf in einem etwa hundert Schritt seitab liegenden Waldhäuschen meiner warten wollte, da die schnell eintretende Dunkelheit mich doch bald wieder zurückführen mußte und der beobachtete Keiler spätestens mit der einbrechenden Dämmerung eintreffen sollte.

Still, thunlichst lautlos, um etwa in der Nähe stehendes Wild, wohl gar den möglicherweise schon auf dem Wechsel begriffenen Keiler, nicht rege zu machen, schritt ich mit meinem Führer durch düsteres Tannenrevier, in dessen dichten Beständen die schrägeinfallenden Sonnenstrahlen nur hier und da einen der mächtigen Stämme stellenweise anglühten oder einen tiefhängenden Zweig streifend, purpurn vergoldeten und dann am Boden über das fahle Moos der alten Wurzelstöcke, die dürren Reiser und den dichten Anflug hinhuschten. Aber schnell genug schwanden diese in die Tiefe des Waldes eingedrungenen Lichtblicke, und nur noch die Wipfel der ehrwürdigen Baumriesen blieben noch einige Zeit von der dunstigen Gluth des scheidenden Taggestirns übergossen. Jetzt waren wir indessen auch am Ziele, einer mitten in altem Tannen- und Fichtenbestande liegenden kleinen Blöße, welche die Kirre enthielt. Das Fallwild, das man hier hingeworfen hatte, war schon vielfach von den Sauen angenommen, und die einzelnen umhergezerrten und bereits abgenagten Glieder bildeten ein wirres, wildes Durcheinander. Wohl gedeckt hinter einem Stamme, von wo aus ich nicht nur den ganzen Platz, sondern auch noch mehrere Hauptwechsel bequem beschießen konnte, faßte ich Stand und harrte mit Spannung des kommen sollenden schwarzen Patrons.

Die Sonne war inzwischen zur Neige gegangen und damit auch das letzte schimmernde Leuchten am hochragenden Waldesfirst verglommen, während der Aether am Horizont noch immer durch die Lücken des geschlossenen Forstes feuerfarben flammte und dadurch auch noch genügendes Licht zum Schießen verbreitete. Aber bald durchzog mehr und mehr blauer Dämmerduft den Wald und tiefe, tiefe Ruhe herrschte im ganzen Gebiet; nur in leisen Tönen klang das Abendläuten vom fernen Haidedorf herüber, denn selbst der so heimliche Dreischlag fleißiger Drescher näherliegender Wohnstätten, den man bisher vernommen, war verstummt. Immer dunkler ward es, Stämme und Unterholz, wie dazwischen liegende Lücken, Alles schwamm mehr und mehr zusammen, und nur mühsam konnte man noch das Zeug der Büchse gegen einige hellere Stellen des Waldes zusammenbringen, – dennoch wollte das ersehnte Wild nicht kommen. Endlich ward es völlig Nacht um mich her, und nothgedrungen mußte ich für diesen Abend, ja, da ich des andern Tags bestimmt abreiste, überhaupt für diesen Winter davon absehen, das erhoffte Schwein zu erbeuten. Wahrscheinlich hatte es auf dem Wechsel andere Nahrung gefunden und sich dabei verweilt.

Schweren Herzens trat ich denn ab und hatte also durchaus keine Ursache, dem gewiß wunderbaren Ideengang jenes Dichters zu folgen, der da sagt:

„Und rennt ein feistes wildes Schwein
In meinen Jägerspieß,
Gleich fällt mir dann mein Weibchen ein,
Mein zweites Paradies.“

Vielmehr nichts weniger als in paradiesischer Laune stolperte ich eiligst durch die Finsterniß über Wurzeln und hartgefrorene Erdschollen dem Forsthause zu, wo der Jagdherr bereits nicht ohne Besorgniß meiner harrte, da ich bis zum Aeußersten lange ausgeblieben war. Trotz der Finsterniß brachte uns der bewährte Pürschkutscher rasch genug in das heimische Asyl, in dessen behaglichen Räumen ich für diesmal nur noch eine Nacht zu weilen hatte. Und so schied ich denn am andern Morgen, zwar ohne die Gewehre eines Keilers als Trophäe mit nach Hause nehmen zu können, aber doch mit froher Rückerinnerung glücklich verlebter Tage von der mir lieben und theuren Stätte.




Blätter und Blüthen.


Das harte Brod des Locomotivführers. Eine Schreckensstunde auf der Bahn. Die Gartenlaube hat schon im Jahre des hoffentlich „letzten deutschen Kriegs“, als sie in dem Artikel „Der Dampf auf der Flucht“ die unter den größten Gefahren unternommene und gelungene Bergung sächsischer Locomotiven vor den eindringenden Preußen schilderte, mit Freude die Gelegenheit benutzt, über das schwere, aufreibende und so verantwortungsreiche Amt der Locomotivenführer sich auszusprechen. Der Locomotivführer ist in der That, wie jüngst eine gewichtige Stimme betonte, „einer jener wackeren Kämpfer im Dienste der Civilisation, die ihre Lorbeeren nicht auf dem blutigen Schlachtfelde erobern, aber dennoch Tag und Nacht ihr Leben einsetzen, um rastlos auf dem eisernen Friedensgürtel zu arbeiten, der Länder und Völker verbindet“. Die Wahrheit dieser Worte wird an Eindringlichkeit gewinnen, wenn wir ein Bild der Gefahren dieses Berufs von einem Berufsgenossen selbst uns vorführen lassen, wie dies in den nachstehenden Mittheilungen geschieht, die wir einem sächsischen Locomotivführer, Herrn. H. P., verdanken. Er erzählt:

Am 28. December 1866 hatte ich den von Hof nach Zwickau Nachmittags vier Uhr vierzig Minuten abgehenden Postzug als Locomotivführer zu fahren. Nachdem ich meine Maschine auf das Gewissenhafteste untersucht und alle Theile in gehöriger Ordnung gefunden, fuhr ich aus dem Maschinenhause, um mich an die Spitze des bald abgehenden Zuges zu setzen. Doch hatte ich denselben noch nicht erreicht, als ein Knall und eine augenblickliche Umhüllung von Wasser und Dampf mich belehrten, daß mir das Wasserstandsglas gesprungen sei, jene wichtige Vorrichtung an jeder Maschine, durch welche dem Locomotivführer der Stand des Wassers im Kessel angezeigt wird und ohne die es, hauptsächlich zur Nachtzeit, die größte Aufmerksamkeit erfordert, um den Stand des Wassers durch eine anderweite Vorrichtung zu erkennen, bei welcher nicht das Gesicht, sondern das Gefühl und Gehör maßgebend sein muß. Ein schlechter Anfang zu meiner Fahrt; doch galt hier kein langes Besinnen. Nachdem Maschine und Wagen durch die Ketten verbunden waren, suchte ich den entstandenen Schaden nach Möglichkeit zu heilen, und dies gelang mir nach einiger Anstrengung,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_174.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2022)