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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Gräfin ist, weiß ich für uns Beide nichts Lieberes als diesen Aufenthalt … verzeihen Excellenz, wenn meine Vorliebe mich zu weit führte!“

Mit wenigen Schritten stand sie vor einer Flügelthür der nördlichen Saalwand und schlug sie zurück – die Schloßkirche that sich in ihrer ganzen Tiefe auf. Trotz des Sonnenglanzes und der Juligluth draußen webte ein graues, kaltes Halbdunkel unter der mächtigen Kuppel; die schwer vergoldete, fast überreiche Ornamentirung schimmerte bleich herüber, und unten, neben dem Altar, hob sich das blendend weiße Marmor-Monument des Prinzen Heinrich gespenstig aus dem Dunkel.… Ein wahrer Grabesodem wehte hinein in den Saal – die Baronin zog die Mantille fester um die Schultern und hielt das Taschentuch an die Lippen.

„Sagen Excellenz selbst, ob das nicht ganz wundervoll ist!“ fuhr Frau von Herbeck fort. „Ich meide geflissentlich die Neuenfelder Kirche, so lange der Antichrist da drüben von der Kanzel herab gegen unsere Bestrebungen intriguirt. … Es bleibt mir mithin nur die eine Erquickung, mir wöchentlich einige Mal den Greinsfelder Schulmeister herüber kommen zu lassen – er ist streng bibelgläubig und spielt mir Choräle auf der Orgel.“

Ein flüchtiges, aber sehr boshaftes Lächeln zuckte um die schönen Lippen der Baronin – vielleicht gedachte sie jenes Momentes, wo diese kleine, fette Frau da im Eckstübchen der Neuenfelder Pfarre majestätisch auf- und abgerauscht war, maßlos empört, daß man ihr zugemuthet hatte, einen Choral anhören zu müssen.

Der Gouvernante entging dies fatale Lächeln nicht – ein stechender Blick sprühte aus den schwimmenden Augen.

„Ich bin übrigens nicht so egoistisch,“ fügte sie nicht ohne eine Beimischung von Schärfe hinzu, „bei Benutzung dieser Räume lediglich an das Bedürfniß und das Heil meiner Seele zu denken – das gesammte Schloßpersonal und die Gutsangehörigen sind gezwungen, hier mit mir zu verkehren. … Excellenz, ich arbeite nicht allein im Weinberge des Herrn, sondern auch –“

„O bitte“ – unterbrach sie die Baronin, indem sie ihr abwehrend die Hand entgegenstreckte – „glauben Sie, ich wisse nicht, was uns gegenwärtig noth thut? … Ich begreife genau so gut, wie Sie, meine verehrte Frau von Herbeck, wo der Zügel straff anzuziehen ist, und so weit meine Machtvollkommenheit irgend reicht, sehe ich unerbittlich streng darauf, daß man nicht anders denkt und – glaubt, als ich es wünsche. … Deshalb aber werden Sie mir doch nicht im Ernst zumuthen wollen, das, was ich mit Recht von meinen Untergebenen verlange, in eigener Person zu vertreten? … Wenn es Ihnen Vergnügen macht, sich zu kasteien, ei, so thun Sie es doch – aber für sich ganz allein, wenn ich bitten darf! … Daß Sie mich hierhergeführt haben, sieht ein ganz klein wenig aus wie – die bekannte Herrschsucht der Gläubigen, und deshalb, meine liebe Frau von Herbeck, werde ich den Kaffee nicht hier trinken in diesen Räumen, wo uns der Staub in die Sahne fällt und alle die gequälten und heiligen Augen an den Wänden den Appetit verderben.“

Wie das beißend klang von den feinen Lippen, wie diese wundervollen schwarzen Augen funkelten in dem Gemisch von beleidigtem Stolz und eisigem Hohn! … Selbst in der graciösen Bewegung, mit welcher sie abstäubend über den Arm fuhr, der die Stuhllehne berührt hätte, lag eine ironische Demonstration. Sie nahm ihr Kleid auf und verließ den Saal.

„Der Kaffee wird im weißen Zimmer, unten bei Seiner Excellenz getrunken!“ befahl sie im Vorübergehen dem Bedienten, der im Corridor wartete.

Frau von Herbeck folgte ihr schweigend und widerspruchslos, aber ihre Wangen glühten, und die Blicke, welche sie auf die vor ihr hinschwebende schöne Frauengestalt warf, sprühten nun auch in unverhehlter Bosheit. Möglicherweise gedachte auch sie der Vergangenheit und vielleicht gerade des blauen Sammetmantels, den sie einst barmherziger Weise um jene schwellenden Glieder geworfen, damit die jetzige Herrin des weißen Schlosses wenigstens „einigermaßen anständig“ ihren Einzug halten konnte.

(Fortsetzung folgt.)




Bilder aus dem Schwarzwalde.

IV.0 Im Thale von Gutach.

Zu Laufenburg am Rhein ist dem Schriftführer, der bis dahin die Reisechronica aufgezeichnet,[1] die Feder jählings entfallen. Den Maler aber trieb es noch weiter umher an den Gestaden des Rheinstroms und in den Schwarzwaldthälern. Dort sammelte er Studien für seine Bilder zu den „deutschen Volks- und Lieblingsliedern“ und zeichnete noch mehrere harmlose Bildlein. Ihrer drei davon sollen nun in Holz geschnitten diese Blätter zieren. Auf daß sich aber, wie es deren Herkommen erheischt, auch ein Wort zum Bilde füge, ergreift jetzt der Maler jene entfallene Feder und schreibt noch Einiges zusammen, so gut es die Erinnerung ihm bietet. Lobenswerther scheint es ihm, diesen wenn auch ungewohnten Pfad zu betreten, als seine Zeichnungen ohne alle Auslegung zu lassen.

Also von Laufenburg nach Säckingen, dem alten, lebendigen Rheinstädtlein, das den Frommen von Alters her durch St. Fridolinus, den Kindern der Welt erst neuerdings durch den „Trompeter von Säckingen“ lieb und theuer geworden ist. St. Fridolin soll vor zwölfhundert Jahren aus Hibernien gekommen sein und da eine namhafte Werkstätte für Christenthum und Heidenbekehrung aufgeschlagen haben. Im Frauenstifte, das seinen Ursprung bis an den keltischen Heidenapostel hinaufführt, zeigt man den Schrein mit seinen Gebeinen und ein Kreuz, welches Agnes, die Kaiserin, hieher verehrt haben soll, als Albrecht, der Kaiser, ihr Gemahl, von Johann von Schwaben erschlagen worden war. Auch einige uralte Stickereien sind zu sehen, welche St. Fridolin aus Irland mitgebracht haben soll.

Das war nun Alles sehr anregend und belehrend, indessen zeigte sich unsere Empfänglichkeit damit noch nicht vollkommen befriedigt. Wir dachten auch an leibliche Erquickung und fanden dieselbe im goldenen Knopfe, einem Gasthofe, welcher in der deutschen Dichtkunst eine nicht unansehnliche Stelle einnimmt. Es soll nämlich dessen Wirth schon vor zwei Jahrhunderten in wohlverdienter Achtung gestanden sein, so berichtet in seiner lieblichen Erzählung wenigstens der Dichter des Trompeters, und wir haben allen Grund, ihm auch in dieser Sache eine scharfe historische Kritik zuzutrauen.

Von Säckingen geht’s den Gestaden des Rheins entlang bis Basel in einer besonders schönen Gegend. Dicht an der Bahn die Weinberge, unten in der Niederung der langsam fluthende Rheinstrom, zur Rechten die Berge des Schwarzwaldes, zur Linken die Höhen der Schweiz und über diesen in weiter Ferne die Alpen.

Also kamen wir, freudig angeregt von Allem, was wir sahen, im Abendschein zu Basel an. Von dieser Stadt, wie sie majestätisch am Rheine liegt, der hier den großen Bogen macht, um die Richtung nach der Nordsee zu gewinnen, während er geradeaus gehend mitten nach Frankreich hineinkäme, von dem stolzen Dome auf seiner gebietenden Terrasse und von anderen Merkwürdigkeiten mehr wollen wir hier lieber schweigen. Nicht als ob wir nicht einiges Gute darüber zu sagen wüßten, sondern in dem stillen Glauben, daß es Andere wohl schon besser gesagt.

Hier ging übrigens die Gesellschaft, die bisher treu und redlich zusammengehalten hatte, in zwei Theile auseinander. Der eine der Gefährten schlug sich Zürich zu, um heimzukehren, der andere dagegen, welcher ich selbst war, bedenkend, daß ihm von allen irdischen Gütern keines reichlicher zu Theil geworden, als freie Zeit, erhob sich wieder und machte sich auf, um noch einige schöne Herbsttage im Lande umherzuschlendern. Und als er einmal das vielbesungene Wiesethal entlang schlenderte – gar nicht weit von dem alten Basel – da stand er plötzlich vor einer wunderschönen Villa, in welche er eingeladen war. Sie heißt der

  1. – und der kein Anderer gewesen, als der erst neuerdings wieder durch seine vortrefflichen „Culturbilder aus Baiern“ vielgenannte Ludwig Steub. D. Red.     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_164.jpg&oldid=- (Version vom 3.6.2022)