Seite:Die Gartenlaube (1869) 130.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

ich will es nicht bezweifeln – aber – nichts für ungut – die Zartheit der Liebe besitzen Sie nicht, sonst würden Sie nicht ein Etwas in Jutta’s Seele so rauh ignoriren, das nun einmal da ist, das die Herren Socialisten und Demokraten mit all’ ihrer Weisheit nicht wegzuspotten vermögen, das unter dem schwersten Drucke fortlebt, weil es thatsächlich göttlichen Ursprunges ist – ich meine das Bewußtsein der höheren Abkunft!“

Der Student schnellte ein Stück mit seinem Stuhl zurück, und die hochgehobene geballte Hand wäre sicher mit einem zerschmetternden Schlag auf den Tisch niedergefallen, hätte sie nicht der Hüttenmeister noch rechtzeitig ergriffen und festgehalten; aber so ernst warnend er auch den jungen Heißsporn ansah, er bedurfte offenbar selbst aller ihm zu Gebote stehenden Energie, um seine äußere, ruhige Haltung zu behaupten.

„Und so denkst Du auch, Jutta?“ fragte er mit schwerer Betonung.

„Mein Gott, wie Du doch Alles gleich so tragisch nimmst!“ entgegnete sie verdrießlich.

Ihre großen, dunklen Augen hatten einen Moment mit wahrhaft vernichtender Kälte den Studenten gemustert, der es wagte, seine ungeschliffenen Burschenmanieren in das weiße Schloß mitzubringen. Jetzt richteten sie sich auf den Hüttenmeister.

„Du kannst doch unmöglich verlangen, daß ich eine Hymne zur Ehre des Hauses anstimme, in welchem ich mich namenlos elend und verlassen gefühlt habe?“ fuhr sie fort. … „Aber ich bitte Dich, Theobald, stehe nicht so entsetzlich entschlossen dort! Muß es denn immer heißen: ‚entweder, oder‘?“

Sie deutete mit der Hand auf den Stuhl.

„Komm, setze Dich noch einen Augenblick!“ forderte sie ihn fast zutraulich auf. Ein Lächeln irrte um ihre Lippen, ein flüchtiges, kühles Lächeln, – aber es war für heute das erste und einzige – es hatte etwas Versöhnliches für den jungen Mann. Er setzte sich.

„Ich weiß einen Ausweg“ – hob sie an. Frau von Herbeck, die sich nach ihrer erhabenen Rede wieder in die Sophaecke hatte fallen lassen, legte hastig ihre Hand auf den Arm des jungen Mädchens.

„Nicht jetzt, meine Liebe!“ warnte sie mit bedeutungsvollem Blick. „Der Herr Hüttenmeister scheint mir durchaus nicht in der Stimmung, die an sich so harmlose Sache auch harmlos anzusehen –“

„Aber, mein Gott, einmal muß es ja doch gesagt werden!“ rief Jutta ärgerlich. „Theobald, ich habe einen Vorschlag, Plan, oder – nenne es wie Du willst“ – die Vorschläge schienen heute in der Luft des weißen Schlosses zu liegen – „mit einem Wort: die Fürstin von A. will mich als Hofdame placiren. …“

Da war ja der Moment, wo sich die Fugen lösten, wo es verhängnißvoll knisterte und wankte über dem Haupt eines verrathenen Menschen – er hatte ja selbst mit seinem ersten Wort an das schwebende Unheil gerührt.

Er fragte nicht: „Kannst Du es über’s Herz bringen, Dich von mir zu trennen?“ Diese Frage aus einem Männermunde war bereits, angesichts des „beherzten, wohlüberlegten“ Planes der jungen Dame, zur „lächerlichen Sentimentalität“ geworden. … Er sprach überhaupt nicht. Wollte dies schöne, schwermüthige Gesicht mit den fest auf kein Boden haftenden Augen zur Leblosigkeit erstarren? Nur an den Schläfen stieg es unheimlich roth in die Höhe, als sei der Kreislauf des Blutes jählings aus seinen gewohnten Bahnen gewichen und stürme gefahrdrohend nach dem Gehirn. Erst als er nach einer lautlosen, peinvollen Pause die Lider hob, da sah man, daß seine Seele einen tödlichen Schlag erhalten halte.

„Weiß die Fürstin, daß Du verlobt bist?“ frug er tonlos, den erloschenen Blick auf seine Braut richtend.

„Bis jetzt noch nicht. …“

„Und Du glaubst, man werde in dem etikettestrengen A. die Braut eines bürgerlichen Hüttenmeisters als Hofdame zulassen?“

„Wir hoffen zuversichtlich, daß die Herrschaften diesmal, in Rücksicht auf den alten Namen ‚Zweiflingen‘ eine Ausnahme machen werden,“ nahm Frau von Herbeck rasch und lebhaft das Wort. „Freilich muß man diese delicate Angelegenheit sehr, sehr subtil anfassen – überlassen Sie das mir, mein bester Herr Hüttenmeister! … Zeit bringt Rosen! … Im ersten halben Jahr brauchen die Durchlauchten noch gar nichts zu wissen – und dann –“

„Ich bitte Sie, lassen Sie mich mit meiner Braut allein, gnädige Frau!“ unterbrach der Hüttenmeister den Redestrom der Dame.

Sie starrte ihn wortlos an. … Wie, dieser Mann, den man nothgedrungen hie und da auf eine Stunde im weißen Schlosse duldete, er wagte es, sie hinauszuweisen, und noch dazu aus einem Zimmer, das zu ihren eigenen Appartements gehörte? … Nicht einmal Seine Excellenz der Minister erlaubte sich diesen eiskalten, kurzen Ton, wenn er allein zu sein wünschte. … Eigentlich war die bäurische Naivetät, mit der die Begriffe geradezu auf den Kopf gestellt wurden, einfach lächerlich und amüsant – aber die gnädige Frau brachte das Lachen nicht fertig, dem furchtbaren Ernst und der finsteren Entschlossenheit gegenüber, mit welcher sich der junge Mann erhoben hatte und auf ihr Hinweggehen wartete.

Sie warf einen raschen Seitenblick auf Jutta, und angesichts dieses elastischen Profils mit den in leisem Hohn vibrirenden Nasenflügeln und trotzig geschlossenen Lippen, mit dem Gesammtausdruck eines kaltgrausamen Muthes gab sie plötzlich ihren beabsichtigten Widerstand auf – nun war ihr auch, dem „ungeschliffenen Menschen“ gegenüber, jedes Wort zu kostbar. … Sie erhob sich spöttisch lächelnd in ihrer ganzen Majestät, und rauschte, weder rechts noch links sehend, hinüber in den Salon, während der Student hinausgehend die Corridorthür hinter sich schloß.

Jutta stand auf und trat in die tiefe Fensternische, wohin ihr der Hüttenmeister folgte. … Da stand das junge Paar, in vollendeter Körperschönheit Eines des Anderen würdig. Dicht neben ihnen rauschten die grünen Vorhänge nieder, sie gleichsam abschließend von dem Verkehr und Treiben im Schlosse. Von den Wänden herab kamen die Ranken des großblätterigen schottischen Epheu und schlangen sich versöhnlich über die Beiden, und draußen vor dem Fenster lag die weite Welt, über die der Frühling hinlächelte. … Die jungen Bäume trieben neue Wurzeln, und die Blumen, die dereinst ihre bunten Köpfchen im Sonnenlicht wiegen wollten, drückten den kleinen Fuß fest in das Erdreich – Alles wurzelte und trieb tief ein in dem heimischen Boden, sich selbst fesselnd und bindend, um droben in den sonnigen Lüften um so freudiger und sorgloser blühen zu können . … und hier fiel ein Menschenherz von dem anderen ab, und riß in gewaltsamer Selbstbefreiung erbarmungslos an dem fesselnden Band, das mit tausend Wurzeln und Widerhaken in den tiefsten Tiefen der anderen Seele hing.

„Du stehst bereits in Beziehung zu dem A.’schen Hofe?“ begann der Hüttenmeister – eine entschiedene Frage, der man aber das Herzklopfen angstvoller Spannung anhören konnte.

„Ja,“ entgegnete die junge Dame. Sie streifte mit den Händen über ihre knisternde Seidenrobe. „Diesen Stoff hat mir die Fürstin geschickt, und außerdem eine große Kiste voll der feinsten fertigen Leibwäsche, Shawls, Spitzen etc. – mein Ankleidezimmer sieht aus wie ein Bazar. … Die Fürstin kennt meine finanzielle Lage, und es ist ihr wegen des Hofgeschwätzes unangenehm, wenn ich pauvre nach A. komme.“ …

Dies Alles sagte sie leichthin, als etwas Selbstverständliches, während der Hüttenmeister, sprachlos vor schreckensvoller Ueberraschung, förmlich zurücktaumelte. … Aber jetzt brach auch bei diesem Mann der weisen Geduld und Mäßigung ein heiliger Zorn, ein schmerzlicher Ingrimm durch.

„Jutta, Du hast es gewagt, eine so erbärmliche Komödie mit mir zu spielen?“ stieß er erbittert hervor.

Sie maß ihn mit einem stolzen Blick vom Kopf bis zu Füßen. „Ich glaube gar, Du willst mich beleidigen!“ sagte sie kaltlächelnd, aber ihre Augen flimmerten in unheimlichem Glanze. „Hüte Dich, Theobald – ich bin nicht mehr das unwissende Kind, das sich einst willenlos von Dir und – einer verbitterten Mutter hat regieren lassen!“

Er starrte, wie aufgeschreckt, einen Augenblick in das dämonisch schöne Mädchengesicht – dann strich er sich tiefaufseufzend mit der Hand über die Stirn.

„Ja, Du hast Recht - und ich bin blind gewesen!“ murmelte er, „Du bist nicht mehr das Kind, das sich einst freiwillig an mein Herz legte und mir, dem Verzagten, sagte: ,Ich habe Dich lieb – ach, so lieb!’“ – Er biß die Zähne zusammen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1869, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_130.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2021)